Freitag, April 26, 2024
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Religion und Krieg

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Religionen stellen sich heute als friedliebend dar. Eine genaue Betrachtung hingegen zeigt, dass sie aus inneren Gründen nicht friedfertig sind;

vielmehr musste ihnen Friedfertigkeit erst aufgedrängt werden.

Die folgende scharfsinnige Untersuchung führt eindringlich vor Augen,

wie selbst Religionen, die Gewaltlosigkeit lehren, Krieg – zum Teil auf krummen Wegen – immer wieder gerechtfertigt haben. Dabei schreibt das Buch keine weitere Geschichte der Religionskriege, was immer dann nahe liegt, wenn Kriege als »Ketzerkriege«, »Missionskriege« oder »heilige Kriege« klassifiziert werden.

Hartmut Zinsers richtet sein Interesse auf eine viel grundlegendere Fragestellung: nämlich auf das »Kriegspotential der Religionen«; ob Religionen nicht selbst ständig Gewalt hervorbringen und wenn ja, wie diese Mechanismen entstehen und funktionieren.

Da es ohne einen Frieden der Religionen kaum Aussicht auf das geben wird, was Kant vor Augen stand, als er vom ›ewigen Frieden‹ sprach, muss von ihren Amtsträgern und Anhängern gefordert werden, dass sie selbstkritisch ihre kriegstreibenden Tendenzen bedenken und eindeutig alle Kriege abweisen und dies auch gegen Positionen und Gruppen innerhalb ihrer eigenen Reihen vertreten.

Erst dann könnten Religionen zu friedensstiftenden Instanzen werden.

Inhaltsverzeichnis und Leseprobe

I. RELIGIONSKRIEGE, HEILIGE KRIEGE UND ANDERE


RELIGIÖS KONNOTIERTE KRIEGE……………………………. 19

II. WAS IST KRIEG, WAS IST RELIGION? ……………………….. 33


Definitionen des Krieges in internationalen Verträgen…………… 33


Definitionen von einigen Religions- und anderen


Fachwissenschaftlern…………………………………………………. 40


Carl von Clausewitz………………………………………………….. 45


Was ist Religion? …………………………………………………….. 56

III. HELDENTUM, RUHM UND HERRSCHAFT ………………….. 59


Doppeldeutigkeit der Religionen …………………………………… 59


Krieg in genealogischen Gesellschaften und Religionen:


Heldentum, Ruhm…………………………………………………… 61


Krieg und Aneignung ……………………………………………….. 63


Verteidigung der individuellen und kulturellen Identität………… 67

IV. BELLUM IUSTUM – BELLUM SANCTUM. KRIEGSLEHREN


IN DER RÖMISCHEN ANTIKE UND IM CHRISTENTUM …….. 73


Die römische Theorie des bellum iustum …………………………. 73


Moralisierung des Krieges bei Cicero ………………………………. 77


Krieg im Neuen Testament und frühen Christentum ……………. 79


Übernahme des Begriffs des bellum iustum im Christentum


Augustinus – Thomas von Aquin…………………………………… 83


Töten als religiöse Leistung – Die Umdeutung des Buß- und


Ablaßwesens in den Kreuzzügen – bellum sanctum………………. 86


Warum wieder die sog. bellum iustum Theorie? …………………. 92

V. KRIEGSLEHREN EINZELNER RELIGIONEN –


BEGRÜNDUNGEN UND RECHTFERTIGUNGEN …………….. 97


Kriegslehren im Hinduismus ……………………………………….. 97


Krieg und Gewaltlosigkeit im Buddhismus ………………………. 106


Kriegslehren im Islam ………………………………………………. 114

VI. RELIGION UND BÜRGERKRIEG – TERRORISMUS………….. 137


Religion und Bürgerkrieg…………………………………………… 137


Carl Schmitts Begriff des Politischen ……………………………… 140


Was ist Terrorismus, was religiöser Terrorismus? ……………….. 147

VII. SIEGERRELIGION –


INTERPRETATION VON MILITÄRISCHEN NIEDERLAGEN …. 173

VIII. SCHLUSSBEMERKUNGEN …………………………………….. 185


Zitierte Literatur …………………………………………………….. 193

Einleitung

In den letzten Jahren, nach dem 11. September 2001, ist außerordentlich viel über Krieg und Gewalt in den Religionen geschrieben worden. Diese Publikationen befassen sich vornehmlich mit den Formen religiöser oder genauer religiös begründeter Gewalt, die als Terrorismus angesehen werden. Vielfach wird die religiöse Begründung oder Legitimation von gewaltsamen militärischen Aktionen als Mißbrauch von Religion gedeutet und manche Religionen weisen solchen Mißbrauch explizit ab – zumindest nach außen und im öffentlichen Dialog.

Es wird auch häufig nach den Potentialen gefragt, mit denen die Religionen Ressourcen für einen Frieden bereitstellen,


eine sicher lohnenswerte und sinnvolle Fragestellung. Umgekehrt muß aber auch danach gefragt werden, ob Religionen nicht selber ständig Gewalt hervorbringen und ob dies nicht nur eine Ausnahmeerscheinung und einen Mißbrauch oder einen Verfallszustand von Religion darstellt. Indem ich in meiner Untersuchung die Direktion der Fragestellungen direkt auf das Kriegspotential der Religionen richte, muß sich notwendigerweise eine Gewichtung herausbilden, der man Einseitigkeit vorhalten könnte. Ich halte eine solche einseitige Gewichtung für legitim und wissenschaftlich geboten, um die


kriegstreibenden Tendenzen der Religionen herauszuarbeiten. Eine Untersuchung der friedfertigen Bestrebungen der Religionen würde anders aussehen.

Wenn man sich die Geschichte der heute verbreiteten und aktiven Religionen ansieht, muß man (leider) feststellen, daß Religionen und Kriege auf das Innigste verschlungen und verknüpft sind. Keine Religion, auch nicht diejenigen, die Frieden explizit lehren und alles Töten und Rauben verurteilen, ist dem entgangen, in Kriege verstrickt zu werden, Kriege zu legitimieren oder sogar selber Kriege zu führen – zumindest in gewissen Perioden ihrer langen Geschichte. Es ist deshalb


geboten, auch einmal danach zu fragen, ob nicht Religionen oder bestimmte Lehren in ihnen selber Gewalt und Krieg hervorbringen und ständig die mentalen Voraussetzungen dafür schaffen.

Hans Küng hat in einer programmatischen Schrift mit guten Gründen die These aufgestellt: „Kein Friede unter den Nationen ohne einen Frieden unter den Religionen“.1

Er sprach den Religionen die „unbestrittene“ Fähigkeit zu: „daß sie im Negativen, im Zerstörerischen, unendlich viel geleistet haben und sich immer noch leisten, […]. So viel Streit, blutige Konflikte, ja ‚Religionskriege‘ gehen auf ihre Konten;


so viele ökonomisch-politisch-militärische Konflikte wurden von den Religionen ausgelöst, teils eingefärbt, inspiriert und – dies gilt auch für die beiden Weltkriege – legitimiert“. „Wenn Gott ‚mit uns‘ ist, unserer Religion, Konfession, Nation, unserer Partei, dann ist gegenüber der Gegen-Partei, die ja logischerweise des Teufels sein muß, alles erlaubt. Dann darf sogar im Namen Gottes hemmungslos verletzt, verbrannt, zerstört und gemordet werden“.2

Selbst Religionen, die explizit jede Gewaltanwendung und alles Töten und Rauben verwerfen, haben in bestimmen gesellschaftlichen und geschichtlichen Situationen Kriege religiös legitimiert oder gar als Gottes Wille verkündet. Andere vertreten von Anfang an auch religiös begründete und interpretierte Kriege und Kriegslehren und benötigen keine umständlichen, uns heute meist abwegig erscheinende Argumentationsstrategien, um Kriege zu rechtfertigen und als mit ihren


Lehren vereinbar zu erklären.

Ob es wirklich Kriege gegeben hat, die allein aus religiösen Gründen, mit religiöser Motivation und religiösen Zielen geführt wurden, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Was es aber auf jeden Fall gegeben hat, sind religiöse Interpretationen von Anlässen, Begründungen und Rechtfertigungen von Kriegen. Auch ist es eine bezeichnende Tatsache, daß die Gruppierungen von Menschen in gewaltsamen Konflikten und Kriegen vielfach in den Bahnungen der Zugehörigkeit zu religiösen Gemeinschaften erfolgen. Den Religionen, so scheint es, gelang es über lange Zeiten, die Menschen in Freund oder


Feind gegenüberzustellen.

Das Thema Religion und Krieg ist ein dorniges und schwieriges Thema. Das hat viele Ursachen. Zunächst stellen sich heute die meisten Religionen als friedlich und friedliebend dar. Das war nicht immer so. In vielen Religionen gehörte Krieg zur Normalität, es gab Kriegsgötter und das kriegerische Heldentum galt als erstrebenswert, z. B. bei den antiken Römern, da man im Krieg den Ruhm erwerben konnte, nach dem alle oder viele strebten,3 oder bei den Germanen, die den Helden des Krieges nach dem Tode das Eingehen ins Walhall versprachen, in das Altersschwache, im Bett Verstorbene nicht oder selten kommen konnten.

Krieg war ein Mittel zum Erwerb von Reichtum und Ruhm. Ein solches Verständnis des Kriegers fand sich zumindest bis zum Ersten Weltkrieg noch in Ansprachen von Generälen an ihre „Männer“; im letzten Jahrhundert meist ohne ein jenseitiges Versprechen, sondern nur mit Verweis darauf, daß es ruhmund ehrenvoll sei, fürs Vaterland, die Freiheit oder die Demokratie zu sterben. Diese, meist belliziös genannte Position, die den Krieg und Kampf als Lebensform schätzt und ihn höher bewertet als z. B. Arbeit und Kunst, wird von manchen als wahrhaft männliche Lebensweise verteidigt.

In Deutschland allerdings ist eine solche Auffassung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges diskreditiert. Verteidigung und damit Krieg wird eher als – vielleicht unausweichliches – Übel angesehen. Eine Verherrlichung von Krieg und Kriegern ist als political incorrect verworfen. Ein Ziel der deutschen Politik nach 1945 war, keine Kriege zu führen und Krieg als Mittel einer zwischenstaatlichen Regelung von Konflikten auszuschließen und zu verurteilen. Erst ein grüner Minister, der aus der Friedensbewegung kam, konnte dem Drängen nicht widerstehen und hat deutsche Soldaten mit der Waffe auf sechs Kriegsschauplätze geschickt. Diese Einsätze des Militärs wurden allerdings nicht als Krieg, sondern als Friedensmission oder als humanitäre militärische Intervention bezeichnet. Das Wort Krieg ist nach wie vor tabu.

Krieg ist seit dem Kellogg-Briand-Pakt von 1928 und der UN-Charta als Mittel der internationalen Politik „outlawed“, außerhalb des Rechts gestellt. Nur die UN hat sich das Recht zugesprochen, ggf. auch mit militärischen Mitteln zu intervenieren. Seitdem gilt das ius ad bellum, das Recht, Krieg zu führen, als aufgehoben. Deutschland hatte nach der Unabhängigkeit und der Wiedervereinigung auf Grund der vertraglichen Beschränkungen seines Militärwesens auch ganz praktisch nicht die Möglichkeiten, einen Krieg zu führen. Selbst eine Beteiligung an militärischen UN-Missionen war lange Zeit ausgeschlossen.

Eine friedliche Regelung aller internationalen Konflikte ist das Ziel aller deutschen Politik. Ob das das Ergebnis der Lehren


aus zwei verlorenen Weltkriegen ist oder Resultat der alliierten Politik nach 1945 oder vielleicht beides, möchte ich dahingestellt sein lassen.

Da es nach 1945 keine Kriege geführt hat, brauchte Deutschland auch keine religiöse Deutung von Kriegen. Eine religiöse Rechtfertigung des Zweiten Weltkriegs war angesichts der Verbrechen des Naziregimes ausgeschlossen. Eine religiöse Interpretation der Niederlage von 1945 ist nicht bekannt. Eine Verherrlichung kriegerischen Heldentums gibt es offiziell in Deutschland nicht. Der Gefallenen wird eher, wenn überhaupt, in Trauer gedacht.

Eine Verherrlichung kriegerischen Heldentums wird heute in vielen Religionen, wenigstens offiziell, eher verworfen. Doch darf man sich nicht täuschen lassen, sie ist auch heute noch in zahlreichen Religionen – von anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu schweigen – mehr oder weniger offen oder versteckt anzutreffen.

Und da haben wir ein erstes Problem der Beziehungen von Religion und Krieg. Das erste Opfer des Krieges ist, nach einer alten Weisheit, die Wahrheit. Wir haben die Berichte über Kriege im Alten Testament, über die Geschichtsschreibung der Römer bei Livius und in vielen anderen Berichten bis hin zu den Darstellungen der Kriege der weiteren Geschichte. Die Autoren aber schrieben immer von einem bestimmten Standpunkt aus und haben die Geschichte so dargestellt, wie es diesem Standpunkt entsprach. Was wirklich geschehen war, was zum Krieg geführt hatte, sein Verlauf und eventuell sogar der Friedensschluß, ist allzu häufig von diesen Standpunkten geprägt.

Die Berichte sähen sicherlich anders aus, wenn sie von den Verlierern geschrieben worden wären. Über lange Zeit haben aber nur oder meistens die Gewinner geschrieben und Ursachen und Anlässe, Verlauf und Ende der Kriege so dargestellt, wie es ihren Bedürfnissen entsprach. Dabei wurde dann all das weggelassen, was mit der eigenen Position, dem Selbstbild und den moralischen Ansprüchen nicht so recht vereinbar war. Die Berichterstattung über Kriege war und ist häufig einseitig. Und das trifft auch auf die religiösen Interpretationen und Deutungen von Kriegen zu.

Die Quellenlage für eine Nachzeichnung der religiösen Positionen zu Kriegen ist bisweilen oder meistens so ungenügend, daß ein sachliches Urteil kaum möglich erscheint; zumal wenn die Religionen sich selber als friedliebend und friedensstiftend verstehen, Kriege eigentlich mit ihren eigenen Lehren nicht vereinbar sind und allenfalls Verteidigung gegen Angriffe von außen erlaubt oder geboten werden.

Spätestens seitdem Kriege als Mittel der internationalen Politik „outlawed“ sind, stellen alle kriegführenden Staaten und dann auch ihre religiösen Vertreter Kriege als Verteidigungskriege dar. Ob die Verteidigung erst nach einem tatsächlichen Angriff aufgenommen wurde oder als Prävention ein Angriff unternommen wurde oder, wie es heute lautet, ein präemptiver Militärschlag erfolgt, eröffnet ein weites Feld von Deutungen des eigenen militärischen Handelns. Bei diesem wird dann später kaum noch zu unterscheiden sein, was auf irrtümlichen Informationen beruht und was einer Rechtfertigung eines Angriffskrieges entspringt. Ich werde die Geschichte der Kriege nicht zum Gegenstand machen, sondern nur die Beteiligung und Interpretationen der Religionen. Für eine Geschichte der Kriege sehe ich mich nicht hinreichend kompetent und überlasse das gerne den Historikern.

Auch würde eine detaillierte Erörterung von einzelnen Kriegen den Rahmen meiner Erörterungen sprengen.

Zum Gegenstand werde ich machen: (1) die Lehren einiger Religionen zum Krieg und (2) die Frage, wie die Religionen mit ihren eigenen Lehren umgegangen sind. Natürlich kann das nur an ausgewählten Beispielen erfolgen. Zudem werde ich (3) die Rechtfertigungsstrategien der Religionen für die von ihren Ländern ausgehenden Kriege aufsuchen und vorstellen. Auch das kann nur an Beispielen erfolgen.

Die nächste Schwierigkeit bildet die Frage: Was ist Religion und was ist Krieg? Den Begriff der Religion habe ich deutlich in meinem Buch „Grundfragen der Religionswissenschaft“4 erörtert. Ich will das hier nur kurz ausführen (vgl. Kap. II), da es den Rahmen dieser Untersuchung überschreiten und sie in eine andere Richtung lenken würde. Eine Diskussion und Begriffsbestimmung kann auch vermieden werden oder ist nicht erforderlich, da ich schlicht nur solche gesellschaftlichen


Erscheinungen heranziehe, bei denen es unbestritten ist, daß es sich um Religion handelt, also z. B. Judentum, Christentum,


Islam, Buddhismus und die indischen Religionen, die unter der Bezeichnung Hinduismus zusammengefaßt werden.

Alle genannten Religionen haben eine meist mehr-tausendjährige Geschichte und es ist nicht zu erwarten, daß sie in dieser langen Geschichte immer nur eine Lehre und Position vertreten haben. Das semper idem – immer die gleiche – ist eine Fiktion. Gerade die Religionen waren in ihrer Geschichte abhängig von den gesellschaftlichen und geschichtlichen Verhältnissen und Anforderungen. Keine konnte sich diesen entziehen, es sei denn, sie hat sich tatsächlich auf ein Leben hinter Klostermauern


oder als Asketen aus der Gesellschaft zurückgezogen und auf eine Gestaltung des Lebens ihrer Anhänger verzichtet. Zur Gestaltung des Lebens gehörten nun einmal auch Stellungnahmen oder gar Beteiligung am Kriegsgeschehen, zumindest seiner Rechtfertigung oder „Erklärungen“ der Vereinbarkeit von Krieg mit ihren Lehren.

Radikale und konsequente Verwerfungen von Krieg hat es in der Religionsgeschichte gegeben, aber das blieb in der Regel auf Außenseiter beschränkt. Die Religionen, auch wenn sie Gewalt grundsätzlich ablehnten, konnten sich den gesellschaftlichen Forderungen nicht entziehen, bisweilen haben sie sich auch aktiv an religiösen Begründungen und Rechtfertigungen beteiligt oder gar zum Kriege getrieben.

Bei meinen Untersuchungen gehe ich von einer Vergleichbarkeit der dann Religion genannten kulturellen Schöpfungen aus. Bisweilen wird diese Vergleichbarkeit bestritten und der allgemeine Begriff der Religion als ein Konstrukt der europäischen Wissenschaften angesehen und damit vergleichenden Untersuchungen eine Grundlage abgesprochen.

Zwar basiert Religionswissenschaft auf vergleichenden Untersuchungen der kulturellen Schöpfungen, aber diese kulturellen Schöpfungen haben sich zunächst im Rahmen geschichtlicher Prozesse selber verglichen und auch gleichgesetzt und verwenden heute fast weltweit den Begriff Religion als Eigenbezeichnung. Die Vergleichung unter dem Begriff Religion ist nicht erst ein Konstrukt oder Produkt der modernen Religionswissenschaft, wie man immer wieder lesen kann, sondern war ein Produkt des Kontaktes, in welchen die Kulturen durch Migration, Handel, Krieg und anderes kamen. Die Religionen haben selber einen allgemeinen Begriff von sich hervorgebracht.

Bevor irgendein Religionswissenschaftler Religionen verglichen und zumindest partiell gleichgesetzt hat, haben die dann Religion genannten kulturellen Schöpfungen sich selber verglichen und in Abgrenzung und Widerspruch auch gleichgesetzt. Daß dabei semantisch zunächst andere Wörter verwendet und erst später das Wort religio zur allgemeinen Bezeichnung wurde, ist gegenüber den geschichtlichen Prozessen von geringer Bedeutung (vgl. Kap. II). Eine vergleichende Untersuchung der Kriegslehren der Religionen hat deshalb ein fundamentum in re.

Ich darf damit zu meiner ersten These kommen: Alle Religionen sind nicht friedfertig, ihnen mußte die Friedensliebe aufgedrängt werden. Selbst wenn sie einen grundsätzlichen Gewaltverzicht lehren, haben sie – z. T. auf sehr krummen Argumentationswegen – Kriege gerechtfertigt. Zugleich aber haben alle Religionen – zumindest jene mit einem universalen Anspruch – Gewalt, Töten und Rauben durch Beschränkungen und Bahnungen kanalisiert und einige Religionen


haben die Idee eines Lebens ohne Krieg und Gewalt proklamiert.

Aber was ist Krieg? Ich habe meine Untersuchung mit Absicht nicht Religion und Gewalt genannt, da der Begriff der Gewalt nicht unterscheidet zwischen der legitimen oder legalen Gewalt des Staates, dessen Aufgabe es ist, das Leben und Eigentum seiner Bürger und ihre Rechte zu schützen und diesen Schutz gegen Rechtsbrecher von innen und außen notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen. Ein Staat, der diese Aufgabe nicht erfüllen kann oder will, besteht nicht mehr oder zerfällt, wie wir das heute bei einigen Staaten beobachten können.

Dieses wird als Gewaltmonopol des Staates bezeichnet und das schließt auch ggf. Gewaltmaßnahmen gegen Rechtsbrecher ein. In allen Religionen aber gibt es Lehren, die das Töten und Rauben verbieten und diese Gebote werden ggf. auch mit Gewalt durchgesetzt. Diese Formen von Gewalt werde ich nicht zum Gegenstand machen. Ebensowenig werde ich die Gewalt, die von Rechtsbrechern ausgeht, thematisieren. Allerdings gibt es oder scheint es Situationen gegeben zu haben, in denen staatliche Gewalt, private Gewalt und Krieg, z. B. im Bürgerkrieg, schwer zu unterscheiden sind.

Schematisch könnte man unterscheiden: 1. die Gewalt eines Staates, der sich bei seiner Gewaltausübung an das für alle geltende Recht zu halten hat und dadurch in seiner Gewaltausübung legitimiert und zugleich begrenzt ist; auch ein Staat muß sich an die für alle geltenden Normen halten. 2. Die Gewalt, die von Rechtsbrechern ausgeht, sich also nicht an das Recht hält und deshalb auch als illegitim verurteilt wird, und 3. Gewalt, die zwischen den Staaten ausgeübt und Krieg genannt wird. Diese Gewalt ist im modernen Völkerrecht seit den Haager und Genfer Konventionen ebenfalls bestimmten Rechtsnormen unterworfen (ius in bello). Auch im Kriege waren nicht alle Formen von Gewalt erlaubt, wie z. B. die grundlegende Unterscheidung zwischen Militärs oder Kombattanten und Zivilisten deutlich macht. Verletzungen dieses Kriegsrechtes gelten als Kriegsverbrechen und sollen heute vom internationalen Gerichtshof geahndet werden.

Ob dieser seine Normen gegen alle Staaten durchsetzen kann, stellt ein weiteres Problem dar, da dieser Gerichtshof nicht von allen Staaten anerkannt wird. Beschränkungen der Gewalt auch im Kriege – eventuell abgestuft nach Art des Gegners – finden sich in allen Kulturen und Religionen. Frauen, Kinder, Alte, Kranke usw. sind in der Regel von gewaltsamen militärischen Maßnahmen ausgenommen.

Ob sich die Kulturen immer an ihre eigenen Regeln gehalten haben, ist zweifelhaft.

Ein anderes Problem wirft die sog. Versachlichung von Gewalt auf, zum Beispiel durch die unterschiedlichen ökonomischen Verhältnisse oder sog. Wirtschaftskriege. Ich möchte die Erörterungen gerne auf tatsächliche Kriege eingrenzen. Da aber in einigen Bewegungen die ökonomische Abhängigkeit als Eingriff in ihre Freiheit und Selbstbestimmung angesehen wird, gegen die sie meinen, sich nur gewaltsam wehren zu können, spielt versachlichte Gewalt zumindest für eine Begründung von Widerstand, Krieg und Bürgerkrieg dann doch eine Rolle.

Wenn man sich die Bestimmungen von Krieg ansieht, die in der Religions- und anderen Wissenschaften aufzuweisen sind, so sind diese dann häufig doch sehr unzureichend. Ich werde deshalb für eine Bestimmung des Krieges auf einen Militär, Carl v. Clausewitz, zurückgreifen.

Er scheint mir in seinem vor über 180 Jahren geschriebenen Buch am prägnantesten und unnachgiebigsten zu definieren,


was Krieg ist. Es hilft aber nichts, mit unklaren und unbestimmten Begriffen zu diskutieren. Wir müssen klar und deutlich wissen, wovon wir reden. Wir müssen unterscheiden zwischen Staatenkriegen, Revolutionen und Bürgerkriegen, den asymmetrischen Kriegen, den neuen Kriegen.5

Religionskriege, heilige Kriege und andere religiös konnotierte Kriege

In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion finden sich zahlreiche Verknüpfungen von Religion und Krieg. Es wird von Religionskriegen, Konfessionskriegen, Ketzerkriegen, Missionskriegen, Kreuzzügen und auch heiligen Kriegen gesprochen und geschrieben und darüber gestritten, wie ein bestimmter Krieg einzugruppieren sei. Diese Bezeichnungen entstammen in der Regel nicht der Sprache und damit dem Selbstverständnis der seinerzeitigen Akteure und Beteiligten.


Auch in den Wissenschaften finden sich keine klaren und eindeutigen Bestimmungen, die allgemein anerkannt wären. Die Bezeichnungen stellen häufig einen Versuch dar, „die gesellschaftliche Deutungshoheit im Kriegs-Diskurs zu Gewinnen“, wie Hans-Henning Kortüm über die allgemeinen Kriegsklassifikationen schreibt.6

Und das gilt auch für religiös interpretierte Kriege. Kreuzzüge, heilige Kriege, Missionskriege sind keine Selbstbezeichnung aus den Zeiten, in denen solche Kriege geführt wurden. Der Begriff Religionskrieg stammt erst aus dem 17. Jahrhundert, also aus dem Ende der Zeiten, in denen in Europa die darunter gefaßten Kriege zu beobachten sind, wie Fr. W. Graf deutlich herausarbeitet.7

Ebenso zeigt er, daß der Ausdruck heiliger Krieg keine Selbstbezeichnung war, sondern erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine heutige Bedeutung erhalten hat. Gegen die Übersetzung des islamischen Gihad als heiliger Krieg wird von islamischen Theologen und Gelehrten deutlicher Einspruch erhoben, da er eine antiislamische Polemik enthalte oder produziere


und den Gihad „als Anstrengung auf dem Wege Gottes“ auf Gewalt verenge.

Nun gibt es in der Geschichte und Gegenwart Ereignisse, für die damals und heute keine Selbstbezeichnung vorliegen und erst rückwirkend Benennungen gefunden wurden. Ein sozialer Tatbestand wie Religionskrieg oder Missionskrieg kann aufgetreten sein, ohne daß der Begriff dafür vorhanden war. Diese Bezeichnungen sind deshalb, weil sie nicht eine eigene Konzeption der Zeit waren, nicht von sich aus falsch, aber man wird vorsichtig sein und immer auch das Selbstverständnis der damals Beteiligten berücksichtigen müssen. Da diese Benennungen etwas über die Intentionen, Ziele, Motivationen und Legitimationen dieser Kriege aussagen, sind diese nicht neutral.

Heute stellen sich alle oder doch die meisten Religionen als friedfertig dar und interpretieren ihre kriegerische Geschichte z. B. als aufgedrungene Verteidigung. Wenn es den Religionen mit ihrer Behauptung, immer friedlich zu sein und gewesen zu sein, ernst ist oder sie jedenfalls für die Zukunft aller Gewalt entsagen, wird es darauf ankommen, wie sie mit ihren vergangenen Kriegen und wie sie mit den Möglichkeiten, ihre Lehren und Positionen auch für Kriege einzusetzen und entsprechend auszulegen, umgehen. Solange die früheren Argumentationsstrukturen zur Rechtfertigung von Kriegen von


ihnen nicht ohne Wenn und Aber verworfen und das Wiederauftauchen solcher Argumente nicht eindeutig als mit ihrer Lehre unvereinbar verurteilt werden, wird man eine Skepsis nicht unterdrücken können. Mit der Ausblendung oder Leugnung der von oder im Namen von Religionen geführten Kriege ist dem Frieden und den dafür erforderlichen Änderungen der Lehren und Einstellungen der Religionen nicht gedient. Auch sind die Bewertungen von Krieg heute anders als in früheren Zeiten, in denen „Krieg als Vater aller Dinge“, wie es einmal Heraklit (Fragm. 53) formulierte, propagiert wurde, oder Hobbes Auffassung, daß ein bellum omnium contra omnes der Naturzustand gewesen sei, der durch die Einrichtung von stabiler Herrschaft und von Staaten mit einem Rechtssystem überwunden werden müsse.

Eine Anrufung der Götter, Opfer und Gelübde für einen Sieg, Gebete und Rituale hat es wohl in fast allen Kriegen gegeben, um


sich der Siegeshilfe der Götter oder seines Gottes zu vergewissern. Aber allein deswegen wird man solche Kriege weder als Religionskriege noch als heilige Kriege bezeichnen dürfen. Selbst das Erflehen des Beistandes eines Gottes in einer Schlacht („Gott mit uns“) macht aus einem Krieg keinen heiligen oder Religionskrieg. Auch wird immer zu bedenken sein, daß ein Krieg nicht nur aus einem Motiv, einem Ziel, einer Begründung und Rechtfertigung geführt wird. Vielmehr wird man davon auszugehen haben, daß bei den Beteiligten gleichzeitig verschiedene „Ursachen und Gründe“ vorliegen, darunter auch


solche, die man öffentlich nicht äußern will und es dann vorzieht, eine religiöse, juristische oder andere Deutung beizubringen…

Verweise:

1 Hans Küng. 1990: Projekt Weltethos, S. 102.


2 Hans Küng. 1990: Projekt Weltethos, S. 100. Zu seiner Vorstellung von Religion. S. 161: „Selbst wer die Religionen ablehnt, wird sie ernst nehmen müssen als grundlegende gesellschaftliche und existentielle Realität; haben sie doch zu tun mit


Sinn und Unsinn des Lebens, mit Freiheit und Versklavung des Menschen, mit Gerechtigkeit und Unterdrückung der Völker, mit Krieg und Frieden in Geschichte und Gegenwart.“


3 Vgl. Jörg Rüpke. 1990: Domi Militiae, S. 18 und 249


4 Hartmut Zinser. 2010: Grundfragen der Religionswissenschaft


5 Vgl. Herfried Münkler. 2003: Die neuen Kriege


6 Hans-Henning Kortüm. 2007: Kriegstypus und Kriegstypologie, S. 83.


7 Friedrich W. Graf. 2008: Sakralisierung von Kriegen, S. 3 et passim

Hartmut Zinser: Religion und Krieg


1. Aufl. 2015, 200 Seiten, kart.


ISBN: 978-3-7705-5833-9

Quellen: PRAVDA TV/PublicDomain/fink.de vom 14.02.2015

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