Freitag, April 19, 2024
StartGesellschaftFlüchtlinge„Scheitern der Bundesregierung“ – Seehofer droht mit Alleingang in der Asylpolitik

„Scheitern der Bundesregierung“ – Seehofer droht mit Alleingang in der Asylpolitik

Der Asylstreit zwischen CDU und CSU eskaliert. Bundesinnenminister Horst Seehofer droht Kanzlerin Angela Merkel mit einem Alleingang. Das würde ein Scheitern der Bundesregierung bedeuten, warnt die linke Innenexpertin Ulla Jelpke.

Sollte keine Einigung in der Frage der Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze erzielt werden, wolle der Bundesinnenminister Horst Seehofer notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen. Das machte er nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag in einer Sondersitzung der CSU-Landesgruppe in Berlin deutlich.

Alleingang oder Vertrauensentzug?
Seehofer kann kraft seines Amtes als amtierender Bundesinnenminister die Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen im Alleingang entscheiden. Dafür braucht er nicht die Zustimmung der Kanzlerin oder des Kabinetts. So müsste dann beispielsweise die Bundespolizei umgehend entsprechend seinen Vorgaben handeln.

Das würde ein „Scheitern der Regierung bedeuten“, versichert die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. „Das wäre ein dermaßener Affront gegen Merkel, dass Merkel nicht mehr zu halten wäre. Es ist im Grunde ein Misstrauensantrag innerhalb der Union. Dann haben wir eine echte Regierungskrise“, so Jelpke.

Doch die Kanzlerin hat noch die Möglichkeit, den Alleingang des Ministers zu verhindern, indem sie ihm das Vertrauen entzieht.

„Brandgefährliche Wahlkampfmanöver“
Die Innenpolitikerin der Linken hält die Drohungen des Innenministers für „brandgefährlich“, weil das das Debattenklima in Deutschland nachhaltig vergiften würde. „Vor allen Dingen, was die Rechtsverschiebung der Flüchtlingspolitik angeht“, bemerkt Jelpke. Sie hält die Forderungen von Seehofer für ein „mieses Wahlkampfmanöver“ vor den Landtagswahlen in Bayern.

Es gebe vor allen Dingen auch Kritik an Seehofer aus den eigenen Reihen, bemerkt die Innenexpertin, „weil die meisten aus der Fraktion nicht den Masterplan kennen. Bisher soll ihn ja auch nur Merkel kennen. Da beschweren sich offensichtlich einige, dass sie überhaupt nicht wissen, worum es hier eigentlich geht.“ Es sei völlig klar, dass die Politik Seehofers nur der AfD nützen wird. Das habe sich auch bei der Bundestagswahl gezeigt, findet die Bundestagsabgeordnete.

Die Schwesternparteien streiten seit Tagen darüber, ob auch Asylbewerber ohne Papiere sowie bereits abgeschobene Bewerber, wie von der CSU gefordert, nicht mehr über die deutsche Grenze gelangen dürfen.

Kettenreaktion von Rechtsbrüchen
Immer wieder wird von verschiedenen Seiten gefordert, dass man zu den Dublin-Regeln zurückkehren und Asylbewerber nach Grenzüberquerungen in ihre Erstaufnahmeländer zurückweisen soll. Doch das Zurückweisen von Migranten an der Grenze wäre keine Rückkehr zu den Dublin-Regeln, bestätigt Jelpke. Im Gegenteil: „Wenn die Grenzschließung stattfindet, was schon jetzt teilweise der Fall ist, dass man Grenzen überwacht und auch Menschen zurückgewiesen werden, und wenn man eine nationale Lösung sucht, dann bedeutet das, dass man sich gegen eine europäische Lösung wendet. Diese Kettenreaktion wird dazu führen, dass auch andere EU-Staaten die Grenzen dicht machen. Zum einen wäre das ein Verstoß gegen die Freizügigkeit der EU-Staaten. Aber es wäre auch ein Verstoß gegen die Dublin-Verordnung. Die Dublin-Verordnung sagt eindeutig, dass man die Menschen, die an der Grenze Asyl beantragen beziehungsweise Schutzersuchen stellen, reinlassen muss und dass dann geprüft wird, ob in einem anderen EU-Staat ein Asylverfahren stattfindet. Dann kann es unter Umständen so sein, dass Deutschland dafür zuständig sein wird, das Asylverfahren durchzuführen, weil das Dublin-System beispielsweise Kindeswohl, familiäre Bindung und ähnliches berücksichtigt“, erklärt die Linkspolitikerin.

„Keine halben Sachen mehr“
Das CDU-Präsidium hatte am Donnerstagmorgen bei der Zurückweisung von bereits in anderen europäischen Ländern registrierten Flüchtlingen Kompromissbereitschaft signalisiert. Für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) reicht das Kompromissangebot der CDU aber nicht aus. „Bei der Zuwanderung dürfen wir keine halben Sachen mehr machen“, sagte er gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Um Unterstützung für ihren Kurs in der Asylpolitik warb indes Merkel vor den CDU-Bundestagsabgeordneten. Vor Teilnehmern der Sondersitzung bat sie der DPA zufolge um Vertrauen bis zum EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel. Bis dahin wolle Merkel tiefgreifende Fortschritte für eine gemeinsame Asylregelung in der EU erreichen.

Interview mit Ulla Jelpke (Die Linke)

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »