Donnerstag, April 18, 2024
StartZARONEWS PresseAgenturSexueller Missbrauch in der Kirche – Vatikan-Konferenz sucht Wege aus der Krise

Sexueller Missbrauch in der Kirche – Vatikan-Konferenz sucht Wege aus der Krise

Im Vatikan findet derzeit eine Konferenz statt, die in ihrer Bedeutung von Beobachtern bereits mit den beiden großen Vatikanischen Konzilen der Kirchengeschichte verglichen wird. Die Römisch-Katholische Weltkirche will endlich einen Weg finden, um sexuellen Missbrauch in ihren Reihen zu verhindern und sich aktiver für die Opfer einzusetzen.

Dass die Konferenz „Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ in dieser Form, in dieser Zusammensetzung, mit dieser Öffentlichkeit im Vatikan stattfindet, wird von Beobachtern als Zeichen dafür gewertet, dass die wichtigsten Amtsträger der Katholischen Kirche zumindest begriffen haben: Wenn die Kette der Schreckensmeldungen über sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen in ihren Reihen nicht endlich abreißt, steht über kurz oder lang nicht mehr und nicht weniger als ihre gesellschaftliche Relevanz in der westlichen Welt auf dem Spiel. Ihre Glaubwürdigkeit ist bereits schwer in Misskredit geraten.

Übereinstimmenden Informationen aus Rom zufolge soll der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, eine der treibenden Kräfte für die Einberufung dieser Konferenz gewesen sein. Dass der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz auf Veränderungen drängt, klingt plausibel, auch wenn er im Zusammenhang mit der Missbrauchsstudie der deutschen Bistümer eine wenig überzeugende Leistung ablieferte.

Aber wenn die Katholische Amtskirche tatsächlich „wirksam“, wie der Papst es in seiner Eröffnungsansprache forderte, gegen sexuellen Missbrauch in ihren Strukturen vorgehen will, werden Veränderungen in ihrem strukturellen Selbstverständnis unumgänglich sein. Die aber müssen auch theologisch begründet werden. Das ist Aufgabe des Wissenschaftszweiges der Dogmatik. Traditionell sind die deutschen Religionswissenschaftler international führend, wenn es um katholische Dogmatik geht. Sie bekleiden wichtige Positionen innerhalb der Römischen Kurie und treten nur selten so in den Vordergrund wie der Amtsvorgänger von Kardinal Marx, der jahrelang Chef der wichtigsten vatikanischen Behörde, der Glaubenskongregation, gewesen ist und dann Papst Benedikt XVI. wurde.

Zölibat auf der Streichliste?

Ganz oben auf der Liste der Veränderungen, die von der Außenwelt erwartet werden, steht eine Institution in der Kirche, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur marginal angetastet wird. Der Zölibat, also das Keuschheitsgelübde von Priestern, das es ihnen zeitlebens verwehrt, zu heiraten und Kinder zu zeugen, weil nach kirchlicher Lehrmeinung ein Priester nur mit der Mutter Kirche „verheiratet“ ist. Diese Vorschrift steht bei Wissenschaftlern, die immer wieder die möglichen strukturellen Ursachen von sexuellem Missbrauch in der Kirche untersuchten, schon seit langem im Verdacht, das Risiko für Übergriffe an Minderjährigen zu befördern, weil diese Bestimmung weltfremd sei und die biosozialen Bedürfnisse eines Menschen ignoriere, abgesehen vom Druck des Sexualtriebes, der zu den stärksten menschlichen Trieben überhaupt gehört.

Studien zeigen: überproportional viele Priester wurden übergriffig

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen ist überproportional häufig innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche anzutreffen, verglichen mit anderen Organisationsformen in der Gesellschaft. Die Missbrauchsstudie der deutschen Bistümer, die 2018 veröffentlicht wurde, hat trotz gravierender Mängel in der Datenbasis sehr überzeugend festgestellt, dass über 90 Prozent (!) der Missbrauchstäter oder Missbrauchsverdächtigen, die ermittelt werden konnten, Priester waren. Das kann beim besten Willen nicht mehr mit Zufällen erklärt werden, sondern es muss eine Spezifik in diesem besonderen kirchlichen Amt geben, das entweder das Risiko für sexuelle Übergriffe an Kindern erhöht oder das überproportional häufig Menschen anzieht, die eine problematische sexuelle Präferenz aufweisen oder sich ihrer eigenen sexuellen Orientierung nicht sicher sind oder sich ihr verweigern.

Sexueller Kindesmissbrauch ist weder zwingend pädophil noch homosexuell

Es sei in dem Zusammenhang auch noch einmal klargestellt, dass es möglich ist, dass überproportional viele Täter in der Katholischen Kirche eine sexuelle Präferenz haben, die auf Kinder gerichtet ist, im Allgemeinen als Pädophilie bezeichnet, oder aber die eine homosexuelle Neigung haben. Die schon erwähnte Studie der Deutschen Bischofskonferenz von 2018 äußert auf der Grundlage ihrer Datenbasis einen entsprechenden Verdacht. Aber Kriminalstatistiken belegen, oft zur Verblüffung vieler Zeitgenossen, dass die Mehrheit der sexuell übergriffigen und verurteilten Straftäter, in deutschen Gefängnissen etwa, weder eine pädophile noch eine homosexuelle Neigung aufweisen, sondern sexuellen Kindesmissbrauch als so genannte Ersatzhandlung vornehmen, weil der eigentlich bevorzugte Sexualpartner aus verschiedensten Gründen unerreichbar ist. So zynisch es klingt, Kinder sind für Sexualstraftäter „leichte Beute“.

Möglicherweise viele Missbrauchsfälle so genannte „Ersatzhandlungen“ sexuell Frustrierter

Dieser Erklärungsansatz könnte durchaus auch auf die Katholische Kirche Anwendung finden. Also, dass die organisationsrechtlichen Ausgestaltungen in dieser Kirche sexuellen Kindesmissbrauch erleichtern bzw. befördern und eine Entdeckung vor allem aber eine Ahndung dieses Verbrechens entweder erschweren oder gar verhindern. Soll heißen, dass viele Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche möglicherweise so genannte Ersatzhandlungen sind. Das ist für die Opfer und ihre Angehörigen überhaupt kein Trost, es ist erst Recht keine Entschuldigung für die Täter. Aber um anderen Kindern solches Leid zu ersparen, lohnt es sich immer wieder, über den Zölibat als eine mögliche Ursache für sexuellen Missbrauch in der Römisch Katholischen Kirche zu diskutieren, weil er solche „Ersatzhandlungen“ im Zweifel geradezu provoziert.

Papst hat die Macht, Zölibat abzuschaffen oder zu entschärfen

Unabhängig davon, ob der Zölibat tatsächlich mitursächlich für die scheinbar endlose Reihe von Missbrauchsfällen ist oder nicht. Dem Papst, als einer der letzten echten absoluten Herrscher des Planeten, stünde es frei, den Zölibat in der Katholischen Kirche abzuschaffen oder zumindest deutlich zu entschärfen, also etwa ihn zu einer erstrebenswerten Kann-Bestimmung zu machen. Denn erstens gehört der Zölibat zu jenen kirchlichen Lehrmeinungen, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil kein ausdrückliches Dogma sind, sondern der Befugnis des Papstes unterliegen, zu entscheiden, ob eine Lehrmeinung „wesentlich“ oder „veränderlich“ ist.

Vor allem aber praktiziert die Katholische Kirche diese entkrampfte Sichtweise schon seit Jahrzehnten, wenn auch im kleinen Umfang, aber ohne dass sie in ihren Grundfesten wankt. Beispielsweise ignoriert Rom den Zölibatszwang in allen Fällen, in denen Priester in die Katholische Kirche wechseln, die zuvor Religionsgemeinschaften angehörten, in denen es Amtsträgern gestattet ist, zu heiraten und Kinder zu zeugen. So genannte Ostkirchen, die sich dem Primat des Papstes unterworfen haben, erhielten als Gegengabe das Recht, den Zölibat zu ignorieren. Es ist also logisch nicht einzusehen, dass solche Ausnahmen nicht die Regel werden können, wenn sie zum gelebten Standard innerhalb der Amtskirche geworden sind.

Bessere Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden gefordert

Im Zweifel bedarf es aber solcher für Außenstehende sicherlich sehr abstrakt klingenden theologischen Erörterungen gar nicht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Amtskirche dazu aufraffen könnte, umfassend und schneller mit Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren oder selbst strafrechtlich gegen Amtsträger einzuschreiten, die sich an Minderjährigen vergehen. Dazu liegt bei der Konferenz im Vatikan ein Vorschlag auf dem Tisch, einen eigenen Gerichtshof im Vatikan einzurichten, der sich ausschließlich mit Fällen sexuellen Missbrauchs befasst, was alleine das Tempo solcher Prozesse erhöhen und dem Eindruck von Verschleppung entgegenwirken könnte.

Konsequentere kirchenrechtliche Bestrafungen gefordert

Ohne Probleme wären auch striktere dienstrechtliche Konsequenzen denkbar. Bislang empörte Opfer und Angehörige wie außenstehende Beobachter gleichermaßen, dass bereits überführte Straftäter im Priesteramt ohne Gewissensbisse oft mehrfach in andere Gemeinden versetzt wurden, ohne die betreffenden neuen Gemeinden über die „Vergangenheit“ der Priester zu informieren.

Ein eklatantes Beispiel für Gedankenlosigkeit, aber auch für den Zickzack-Kurs von Papst Franziskus ist der Fall des ehemaligen Erzbischofs von Washington, Theodore McCarrick. Selbst als schwerste und fundierte Anschuldigen wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen öffentlich wurden, hat ihn Papst Franziskus noch mit diplomatischen Sondermissionen betraut. Erst im Juli 2018 zeigte Papst Franziskus endlich, was in der Römisch-Katholischen Amtskirche möglich ist, wenn sie nur will. McCarrick ist seit über 90 Jahren der erste Fall gewesen, in dem ein Kardinal zum Laien degradiert wurde. Kardinäle sind nach dem Papst die ranghöchsten Kirchenfürsten. Sie wählen den Papst. Den mehr als 1,2 Milliarden Katholiken in aller Welt stehen derzeit 223 Kardinäle gegenüber, von denen bei Redaktionsschluss 123 wahlberechtigt waren. Vielleicht macht das die Bedeutung dieser Degradierung deutlicher.

Im Fall des aus Australien stammenden ehemaligen vatikanischen Finanzchefs George Kardinal Pell verzichtete Franziskus 2018 auf die früher übliche Praxis, einen so hochrangigen Kirchenfürsten (Pell galt zu der Zeit als die so genannte Nummer drei im Vatikan) durch diplomatische Immunität im Vatikan vor Strafverfolgung zu schützen, sondern er ordnete an, dass Pell sich in Melbourne vor Gericht einzufinden habe.

Priesterkandidaten besser und sorgfältiger auswählen

Relativ rasch umsetzbar wären auch strengere Zugangsvoraussetzungen für Priesterkandidaten. Und das trotz des gravierenden Mangels an Kandidaten für ein solches Amt. Entsprechende Forderungen wurden im Vorfeld der Vatikan-Konferenz aus verschiedenen prominenten Richtungen der Weltkirche öffentlich gemacht. Der einflussreiche Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, der Gualtiero Kardinal Bassetti, Erzbischof von Perugia, sagte es in einer Videobotschaft vor der Konferenz kurz und bündig:

„Wir können das Risiko nicht mehr eingehen. Das heißt: weniger Priester, weniger Geistliche, aber dafür mehr Besonnenheit.“

Ob dazu ein anderer Weg dienlich ist, den die Katholische Kirche in Deutschland geht, hat sich immer noch nicht als wirklich überzeugend erwiesen. Im „Studienhaus St. Lambert“ auf der Burg Lantershofen, in der Nähe von Ahrweiler in Rheinland-Pfalz betreibt die Katholische Kirche seit 1972 ein in dieser Form in Deutschland einzigartiges Priesterseminar. Dort können Menschen als so genannte Seiteneinsteiger aus einem nichttheologischen Beruf, oft sogar ohne Abitur, ein Studium als Priesteramtskandidat aufnehmen.

Ob diese Priesteramtskandidaten sich als fähiger für dieses seelsorgerische Amt erwiesen haben, ist nicht bekannt. Leiter der Einrichtung ist ein so genannter Regens. Von 1999 bis 2006 hatte Stephan Ackermann dieses Amt inne. Heute ist er Bischof von Trier und folgte seinerzeit direkt Kardinal Marx, als der von Trier nach München auf den dortigen Erzbischöflichen Stuhl berufen wurde. Bischof Ackermann ist der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz.

Ackermann, übrigens promovierter Dogmatiker und „Kaplan seiner Heiligkeit“, ist sich sicher, dass die Konferenz im Vatikan zeigt, „dass die Sensibilität, die bei uns in den letzten Jahren wirklich stark zugenommen hat, weltweit Gestalt annimmt“, wie er in der ARD erklärte und dort weiter ausführte:

„Es gibt natürlich jetzt schon klare, gesetzliche Vorgaben. Der Papst hat schon vor Jahren festgelegt: Alle Bischofskonferenzen müssen Leitlinien zur Aufdeckung von Missbrauch erlassen. Aber das eine sind Gesetze, die sind da. Es braucht auch die Haltung, das umzusetzen. Nicht zu sagen, das sind die Gesetze, und wir lassen uns mal Zeit mit der Umsetzung.“

Am einfachsten für die Kirche umsetzbar: Die Opfer ins Zentrum rücken, nicht die Täter

Schnelligkeit fordert auch Matthias Katsch und zwar schon lange. Katsch, der den so genannten „Eckigen Tisch“ gegründet hat, in dem er mit anderen Menschen, die von kirchlichen Amts- und Würdenträgern sexuell missbraucht wurden, für ihre Rechte streitet, hat auch bei dieser Konferenz den Verdacht, dass die Opfer eigentlich nur stören, obwohl sie auf der Konferenz vertreten sind. Er räumt ein, dass ein erkennbares Umdenken, eine Mentalitätsänderung zu spüren ist, wie er verschiedenen deutschen Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Konferenz sagte.

Dennoch gehöre es leider immer noch zum „Standard“ in der Römisch-Katholischen Amtskirche, dass den Opfern zu oft nicht zugehört, nicht geglaubt wird. Dass sie als Störenfriede oder Denunzianten angefeindet werden. Dass sie jahrelang um strafrechtliche Aufarbeitungen kämpfen müssen. Dass sie oftmals in schwierige materielle Lagen geraten, da sie durch die erlittenen Traumata berufsunfähig wurden. Abgesehen von anderen gravierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, wie Komplikationen bei der Partnersuche, Bindungsängsten, Schwierigkeiten bei Sozialkontakten und vieles mehr.

Katsch ist mit seiner Kritik nicht allein. Viele Vertreter von internationalen Organisationen, die Missbrauchsopfer vertreten, finden, dass von allen möglichen Konsequenzen, die die Katholische Kirche aus den zurückliegenden Skandalen ziehen könne, die am schnellsten und einfachsten umzusetzende mehr und grundsätzliche Empathie für die Opfer ist. Das sehen auch immer mehr wichtige Vertreter des Kirchenapparates so und entsprechende Kritik über falsch verstandene Loyalität und Disziplin waren auch auf der Konferenz zu hören. Dennoch hat die Römisch-Katholische Kirche immer noch den Ruf, bei Missbrauchsvorwürfen eine Art Verteidigungshaltung an den Tag zu legen, die darauf abzielt, die heilige Institution gegen die Feinde des Glaubens, die ihr mit immer neuen Missbrauchsvorwürfen Schaden zufügen, vor weiterem Bedeutungsverlust zu schützen.

Quelle!:

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »