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Sind die Tyrannen gestürzt, umarmen sich die Völker

Revolution von 1830

Heute, im Herbst 2015 steht die westliche, von den USA dominierte Politik vor den Trümmern ihrer eigene Utopie. Der schreckliche Mordterror islamistischer Radikaler, fokussiert in ISIS, hat auch Europa erreicht und führt uns drastisch dieFehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2) Zerstörung der politischen Vernunft vor Augen.Auf der Seite des Westens war die Zerstörung der Vernunft ein enthusiastischer Prozess der

Selbstzerstörung. Der Untergang der Sowjetunion, das Ende des kalten Krieges gab dem Liberalismus im Westen einen kräftigen Schubs in Richtung Utopie. In der Wirtschaftspolitik brachte uns dieser utopische Überschwang die Dominanz des neoliberalen Glaubens an die automatische Rationalität des Marktes, der bis weit in die Sozialdemokratie hinein reicht. Folge waren die Privatisierungsorgien, die deregulierten Arbeitsmärkte, die entfesselten Finanzmärkte. Außenpolitisch und sicherheitspolitisch entspricht dem Glauben an die Märkte der ebenso utopische Glaube an den welthistorischen Sieg der Demokratie, was gleichbedeutend sei mit dem ewigen Frieden. In der politischen Wissenschaft bekam dieser Traum Konjunktur unter dem Titel „Demokratischer Frieden“.

Vom ewigen Frieden

Der Traum vom ewigen Frieden durch den Sieg der Demokratie, der Frieden nach dem Sturz der Tyrannen, ist so alt wie die demokratische Revolution. In der Rhetorik der französischen Revolution fand er seine klassische Formulierung. Für Maximin Isnard, einen der großen Redner der Gironde, war die Sache ebenso klar wie zwingend:

 

Verkünden wir (ganz Europa), dass die Schlachten, die die Völker auf Befehl der Despoten schlagen, den Schlägen gleichen, die zwei von einem gemeinen Anstifter gegeneinander aufgestachelte Freunde einander im Dunkeln versetzen; sobald sie die Klarheit des Licht sehen, werfen sie ihre Waffen nieder, umarmen sich und nehmen Rache an dem, der sie täuschte. So werden sich auch die Völker, wenn mitten im Kampfe zwischen den feindlichen und unseren Armeen das Licht der Philosophie ihr Auge erleuchtet, im Angesicht der gestürzten Tyrannen und unter einem zufriedenen Himmel umarmen.
Maximin Isnard, Journal des assemblées nationales …, 29.11.1791

Dieser chiliastische Traum aus den Zeiten der Aufklärung eroberte in den 1990ern die amerikanische Regierungspolitik, verschmolz mit dem amerikanischen Messianismus und verbreitete sich von dort aus in den Eliten des Westens. Selbst der eher dröge Bundespräsident Roman Herzog legte 1995 ein Bekenntnis zu dieser Utopie ab und beschrieb in einem Satz, wie aus einer Utopie politische Überzeugung wurde:

Vor 200 Jahren schrieb Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum Ewigen Frieden“, daß Demokratien untereinander nicht Krieg führen. Was damals noch als idealistische Utopie erscheinen mochte, ist heute die konkrete Vision einer internationalen Friedensordnung.
Ansprache von Bundespräsident Roman Herzog beim Staatsakt aus Anlaß des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges

Der Traum vom Weltfrieden durch Tyrannensturz finden sich in fast allen Reden amerikanischer Präsidenten der letzten Jahre, bei George W. Bush ebenso wie bei Barack Obama:

Seit dem Tag unserer Gründung haben wir verkündet, dass jeder Mensch auf dieser Welt Rechte und Würde und einen unvergleichbaren Wert hat, da er als Ebenbild des Schöpfers von Himmel und Erde geschaffen wurde. Über Generationen hinweg haben wir das Gebot der Selbstverwaltung verkündet, da niemand als Gebieter geschaffen wurde und niemand es verdient, ein Sklave zu sein. Das Vorantreiben dieser Ideale ist die Mission, die unsere Nation entstehen ließ. Das ist die ehrwürdige Errungenschaft unserer Väter. Heute ist das dringend erforderlich für die Sicherheit unseres Landes. Das ist der Ruf unserer Zeit.

Deswegen ist es die politische Strategie der Vereinigten Staaten, demokratische Bewegungen und Institutionen in jedem Land und jeder Kultur zu suchen und ihre Entwicklung zu unterstützen, um letztendlich die Tyrannei in der Welt zu beenden.
Zweite Antrittsrede von US-Präsident George W. Bush 2005

Wir haben gemeinsam mit einer breiten Koalition und dem Mandat des UN-Sicherheitsrats in Libyen eingegriffen, weil wir die Möglichkeit hatten, den brutalen Mord an Unschuldigen zu verhindern, und weil wir davon überzeugt waren, dass die Sehnsüchte der Menschen mehr Macht haben als ein Tyrann.
Bei diesem Treffen hier erklären wir erneut, dass das Regime von Baschar al-Assad enden muss, damit das Leid der Syrer enden und es einen Neuanfang geben kann.

Wir haben diese Haltung eingenommen, weil wir der Meinung sind, dass Freiheit und Selbstbestimmung nicht kulturspezifisch sind. Dies sind nicht nur amerikanische oder westliche Werte, es sind allgemeingültige Werte. Auch wenn der Übergang zu Demokratie enorme Herausforderungen mit sich bringen wird, so bin ich doch davon überzeugt, dass eine Regierung des Volkes, vom Volk und für das Volk letztlich eher zu der Stabilität, dem Wohlstand und den Chancen für jeden einzelnen führt, die als Basis für Frieden auf unserer Welt dienen.
Erinnern wir uns also daran, dass wir in Zeiten des Fortschritts leben.
US-Präsident Barack Obama vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York vom 25. September 2012.

Welterlösung

Ernst-Otto Czempiel, langjähriger Leiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat in Deutschland diese Utopie mit leidenschaftlicher Vehemenz verfochten. Die Grünen hat diese Utopie im Sturm erobert und den alten Pazifismus der Friedensbewegung gründlich verdrängt, aber auch in den anderen bundesdeutschen Parteien und in der medialen Öffentlichkeit hat sie deutliche Spuren hinterlassen. Die Rhetorik hat sich zwar in den letzten 200 Jahren gewandelt, sie hat ihre Bildhaftigkeit verloren, tritt weit weniger leidenschaftlich auf und kleidet sich heute in den Jargon der politischen Wissenschaften, in der Sache ist aber kaum ein Unterschied festzustellen.

Die Diskussion in der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen, die seit Jahrzehnten vor allem in den USA geführt wird, hat das unbestreitbare Resultat erbracht, daß Demokratien untereinander noch nie Krieg geführt haben. (…) Die USA haben das seit Woodrow Wilson gewußt und darauf ihre außenpolitische Strategie nach 1945 gegründet. Der Marshallplan war das Demokratisierungsinstrument für Westeuropa par excellence. Nach dem Ende des Kalten Krieges hatten vor allem Präsident Bill Clinton, sein Sicherheitsberater Anthony Lake und der Stellvertretende Außenminister Strobe Talbott diese Strategie verstärkt – in der richtigen Erkenntnis, daß die Demokratisierung der Herrschaftssysteme die beste Sicherheitsstrategie für die USA darstellt. Sind alle Staaten in ihrer Umwelt demokratisch verfaßt, geht von ihnen keine Gefahr mehr aus. Die USA sind dann sicher in einem Grad der Verläßlichkeit, der von keiner Verteidigungsbereitschaft erzeugt werden kann. Der wichtigste Bestandteil aller «Friedenszonen» auf dieser Welt ist das demokratische Herrschaftssysten.

Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht, 38/39

Diese Identifikation von Demokratie und Frieden lädt beide Begriffe mit einem Charisma auf, das Welterlösungsqualität besitzt. Wenn Demokratien untereinander niemals Krieg führen, sondern prinzipiell friedlich kooperieren, so ergibt sich eine globale Agenda, die keine Schranken, keine Grenzen anerkennt, ja nicht anerkennen darf. Dafür steht zu viel auf dem Spiel: Weltweite Demokratie bedeutet in dieser Perspektive ewiger Weltfriede, ein Menschheitstraum, den bisher im Abendland allein die Parusie, die Wiederkehr Christi versprach.

 

Die Perspektive des „Demokratischen Friedens“, in den Texten der Debatte stets groß geschrieben, ist schwindelerregend: Es ist die Perspektive einer liberalen Weltordnung (nach der liberalen Weltrevolution) die weit mehr ist als ein normales Reformprojekt. In der „konkreten Vision“ einer „internationalen Friedensordnung“ wird die gesamte internationale politische Landschaft zur Gegenstand einer Politik, die keine Kompromisse kennen darf.

Die ordnungspolitische Aufgabe des Westens endet nicht in Warschau, sondern in Wladiwostok. Er muß nicht nur dafür sorgen, daß auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion langsam aber sicher Existenzbedingungen entstehen, die den seinen einigermaßen entsprechen. Er muß sich auch um die Machtfigur dieses Gebildes kümmern. Die Errichtung einer russischen Hegemonie muß verhindert und dazu die Dezentralisierung dieses Landes gefordert werden. Es entstünde dann eine Machtfigur, die der der Europäischen Union vergleichbar wäre. (…) Demokratisierung der Herrschaftssysteme stellt die wichtigste Sicherheitsstrategie dar. Man braucht sich nur vorzustellen, welche Sicherheitsgarantie für ganz Europa entstünde, wenn in Moskau ein Herrschaftssystem installiert wäre, das dem in Washington oder in Berlin gleichkommt.

Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht, 135

Ideologische Asymmetrie

Die außenpolitische Strategie ändert sich damit grundsätzlich. Die alten Prinzipien der diplomatischen Vorsicht sind außer Kraft gesetzt, an die Stelle der Interessenpolitik, der Rücksichtnahme auf Einflusssphären und dem Grundsatz der wechselseitigen Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten tritt eine ideologische Asymmetrie: Das Messen mit zweierlei Maß wird zur Selbstverständlichkeit, ja zur moralischen Pflicht. Die Unterstützung von russlandfreundlichen Parteien in der Ostukraine durch die russische Regierung ist nach diesen doppelten Standards eine illegitime „Destabilisierung“, die Unterstützung der Protestbewegung des Euromaidan dagegen eine legitime Förderung der Demokratie, usw.

In der modernen liberalen Staatstheorie ist der Träger der Souveränität nicht «der Staat», sondern das Volk, die Gesellschaft. Wenn sie von einem Diktator oder einem Autokraten beherrscht und unterdrückt wird, dann ist es die Pflicht der internationalen Umwelt dieses Landes, der Gesellschaft, dem eigentlichen Souverän, zu Hilfe zu kommen. Wer von außen der Demokratisierung aufzuhelfen versucht, interveniert nicht, weil er nicht gegen den Souverän, sondern für ihn tätig wird. Diese Einmischung ist nicht nur nicht verboten, sie ist geradezu geboten. (…)
Auf diesem Zusammenhang beruhte schon die Legitimation des Westens in der politischen Auseinandersetzung mit den kommunistischen Regimen im Warschauer Pakt. Darauf beruhte der 1995 in Dayton, Ohio, eingeleitete Versuch des Westens, in Bosnien-Herzegowina ein demokratisch legitimiertes Herrschaftssystem zu installieren. Darauf beruhte 1998 die Drohung der NATO, Serbien militärisch anzugreifen, wenn Belgrad nicht die Unterdrückung des Kosovo beendete, darauf beruhte auch der Angriff seit dem 24. März 1999.

Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht, 137 (Die Schrift stammt von Anfang 1999)

Zerstörung der politischen Vernunft

Der Sturz nicht-demokratischer Herrschaftssysteme ist welthistorische Verpflichtung, dafür ist jede Einmischung legitim, die Abwehr einer solchen Einmischung, die Verteidigung der vorhandenen Ordnung ist dagegen illegitim, da eine Behinderung der weltweiten Demokratisierung den Weltfrieden gefährdet.
Der letzte Punkt ist entscheidend. Bedeutet der bewaffnete Sturz der Tyrannei in „Wahrheit“ Friede, verkehren sich die Begriffe. Aus „Krieg“ wird „Frieden“. „Kriege“ heißen dann auch folgerichtig „Friedensmissionen“, oder „humanitäre Interventionen“, die Kriegstoten werden zu „Kollateralschäden“. Diese Verkehrung der Begriffe hat eine unangenehme Folge: Die Zerstörung der politischen Vernunft, denn ohne logisch konsistente Begriffe kann man nicht folgerichtig denken. Die Konsequenz ist eine orwellsche Situation des „Neusprech“.

Demokratische Intervention

Umstritten ist in der akademischen Diskussion über den Demokratischen Frieden einzig wie militant diese Einmischung sein darf. Unstrittig ist eine ideologische Intervention, etwa die massive finanzielle Förderung von Demokratiebewegungen über diverse NGOs und Stiftungen, eine direkte militärische Intervention trifft jedoch auch bei vielen Anhängern der Utopie vom Demokratischen Frieden auf Vorbehalte. Eine Skepsis, die nach dem Desaster der revolutionären Demokratisierungskampagnen der Bush-Regierung wuchsen. Man erinnerte sich wieder einer Erkenntnis, die schon Robespierre bekannt war:

Niemand liebt bewaffnete Missionare; und das erste, das Natur und Klugheit einem eingeben, ist, die Eindringlinge wie Feinde abzuwehren.

Maximilien Robespierre, 2. Januar 1792

Die Intervention der NATO in den libyschen Aufstand hat uns jedoch demonstriert, dass die militärische Option nicht wirklich vom Tisch ist. Die politische Rhetorik ist vielleicht etwas vorsichtiger geworden, eine grundsätzliche Revision hat jedoch nicht stattgefunden. Ziel ist immer noch, wie wir oben beim Obama-Zitat sehen konnten, der Sturz der Tyrannis, auch wenn es ins Auge springt, dass der Sturz von Hussein und Gaddafi nicht zum Demokratischen Frieden, sondern zu Chaos, Bürgerkrieg und dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung geführt haben und damit den Raum für ISIS schufen. Der Demokratische Frieden ist erfahrungsresistent.

Erfahrungsresistenz

In dieser Hinsicht gleicht die politische Utopie des Demokratischen Friedens der wirtschaftspolitischen Utopie des Neoliberalismus. Colin Crouch spricht vom befremdlichen Überleben des Neoliberalismus, eine vergleichbare Erfahrungsresistenz läßt sich auch bei der Utopie des Demokratischen Frieden beobachten. Es wirken ähnliche Immunisierungsstrategien.

Der Demokratische Friede blieb selbstverständlich nicht unwidersprochen, jedoch perlt die Kritik ab. Matthew White hat auf seiner Website eine gründliche und vernichtende Kritik am Konzept des Demokratischen Friedens vorgelegt und beschreibt dort auch die ebenso einfache, wie wirksame Immunisierungsstrategie: Historische Beispiele für Kriege zwischen Demokratien, die sich finden lassen, werden mit den erprobten Mitteln der scholastischen Rhetorik abgewehrt: Die französische Besetzung des Ruhrgebietes 1922 war gar kein „richtiger Krieg“, da es keine großen Kämpfe gab, oder der Britisch-Amerikanische Krieg von 1812 bis 1815 ist kein Gegenbeispiel, da England zu der Zeit noch keine „wahre Demokratie“ war. Es existiert eine kaum noch zu überblickende Flut an Texten, die einzig mit der Immunisierung der Utopie beschäftigt sind.
Nicht nur in dieser Hinsicht gleicht der Demokratische Friede dem ökonomischen Neoliberalismus. Er ist das politische Pendant zum ökonomischen liberalen Radikalismus. Wie dieser beruht er nicht auf empirischer Evidenz, sondern auf metaphysischer Überzeugung, auf einem chiliastischen Glauben.

Ein Chiliasmus der Elite

Europa hat in seiner Geschichte einen reichen Schatz an Erfahrungen mit chiliastischen Bewegungen angehäuft, religiösen ebenso wie säkularen Varianten und entsprechende geistige Abwehrkräfte entwickelt. Bei Neoliberalismus und Demokratischen Frieden versagen diese Immunreaktionen jedoch, da dies der erste Chiliasmus der Elite ist. Die früheren chiliastischen Bewegungen waren Revolutionen der entwurzelten, orientierungslosen Armen, gegen die die Eliten sich entsprechen wirkungsvoll wehren konnten. Der heutige Chiliasmus ist ein säkulares prophetisches Projekt der Mächtigen, eine Revolution von oben. Eine frühzeitige Abwehr, also eine Abwehr die die unvermeidlichen Katastrophen, die jede chiliastische Revolution zur Folge hat, verhindert, ist entsprechen schwieriger.

Literatur:

Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht, – Außenpolitik für das 21. Jahrhundert. C.H.Beck, München 1999, ISBN 3406453112

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