Mittwoch, April 24, 2024
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Smartphones: Ablenkung und Störung – “Nutzer bald so geächtet wie Raucher”

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“Unerwünscht wie Rauchen.” Deutsche zunehmend von Handy-Manie genervt. Hamburger Schule verbietet Telefone. Der Soziologe Matthias Horx spricht von einer “Kultur der Störung”, in der wir leben.

Bewahrheitet sich diese These, dann sind bald 40 Millionen Deutsche gesellschaftlich isoliert. Der Soziologe Matthias Horx und der Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt sorgen mit einer provokanten Voraussage für Aufsehen. Dem “Hamburger Abendblatt” sagte Horx: “In wenigen Jahren wird das Suchtverhalten mit den elektronischen Medien so sanktioniert sein wie das Rauchen. Man wird dann als ungebildet und charakterschwach gelten, wenn man auf sein Smartphone starrt.” Fehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 3)

Reinhardt spricht in diesem Zusammenhang sogar von “Ächtung”

Eine Ansicht, die ganz schön Sprengkraft in sich birgt. Immerhin besitzt fast jeder Zweite in Deutschland ein Smartphone. Doch Horx geht es um den ausufernden und nicht enden wollenden Konsum der Mobilgeräte. Horx sieht in der Gesellschaft eine “Kultur der Störung”, in der Menschen “zunehmend abgelenkt, 

unkonzentriert, nervös und geradezu asozial” würden. Von Zukunftsforscher Reinhardt, der für die Hamburger BAT-Stiftung arbeitet, erhält Horx Unterstützung. Reinhardt rechnet in Zukunft mit einer spürbar abnehmenden Nutzung von Smartphones. “Nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil die Faszination nachlässt und ein Umdenken stattfindet”, sagte er der Zeitung.

Smartphones machen “asozial”

Hände weg vom Handy! Zukunftsforscher sind sich sicher, dass es im Umgang mit Smartphones zu großen Veränderungen kommen wird. Er erwarte insgesamt eine abnehmende Nutzung, sagte Professor Dr. Ulrich Reinhardt von der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfragen gegenüber dem Abendblatt: “Nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil die Faszination nachlässt und ein Umdenken stattfindet. Gerade die junge Generation würde sich eigentlich lieber mit Freunden treffen, als nur mit ihnen zu skypen, zu simsen oder zu telefonieren.” Der Soziologe Matthias Horx spricht von einer “Kultur der Störung”, in der wir leben und dadurch zunehmend abgelenkt, unkonzentriert, nervös und geradezu asozial werden. “In wenigen Jahren wird das Suchtverhalten mit den elektronischen Medien so sanktioniert sein wie das Rauchen. Man wird dann als ungebildet und charakterschwach gelten, wenn man auf sein Smartphone starrt”, so Horx. An vielen Orten werde dann die Nutzung elektronischer Geräte verboten sein.

Auch Ulrich Reinhardt glaubt, dass sich “die Ächtung” ausweiten werde: In Kirche, Kino und Theater sei die Nutzung digitaler Medien heute schon verpönt, in Zügen seien die Ruhebereiche ohne Handynutzung die beliebtesten, und bei privaten Verabredungen werde das Handy in der Tasche gelassen. “Wer sich nicht an diese Vorgaben hält, erzeugt mehr als Missfallen”, so Reinhardt. Immer mehr Bundesbürger seien schon vom Piepsen des Handys genervt, vom Mithören der Gespräche ganz zu schweigen.

Eine zunehmende Empörung vieler Menschen über das geradezu suchtartige Verhalten einiger Handy-Nutzer beobachtet auch Etiketteberaterin Meike Slaby-Sandte. Sie empfiehlt ein Verbot an Orten, in denen viele Menschen aufeinandertreffen wie der Bahn oder dem Wartebereich in Flughäfen, nicht nur wegen der störenden Lautstärke, sondern weil durch die Geräte ein Teil unserer Kommunikationskultur verloren gehe: “Niemand muss überhaupt noch jemanden ansprechen, um zu kommunizieren.” Denn jeder habe seinen Ansprechpartner dabei – das Telefon.

Gerade junge Menschen greifen in jeder freien Minute zum Smartphone und gehen online. Einige Hamburger Schulen haben bereits ein generelles Handy-Verbot eingeführt. Lars Holster, schulpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion und Lehrer an der Stadtteilschule Süderelbe, sagt, dass es zunehmend Probleme durch auf YouTube gestellte Handy-Videos gegeben habe, außerdem seien viele Smartphones geklaut worden. Nun gibt es an der Stadtteilschule ein Verbot im Unterricht sowie in den Pausen. Lediglich die Oberstufe darf ihre Geräte in Freistunden im Aufenthaltsraum nutzen. Bei Verstößen wird das Telefon abgenommen, erst durch die Unterschrift der Eltern erhält man es zurück. Die Regelungen wurden gemeinsam von Lehrern, Eltern und Schülern entwickelt. Holster: “Die Schüler forderten selbst die härtesten Konsequenzen.”

Interview

Herr Horx, Sie sind Zukunftsforscher und befassen sich mit den Trends von morgen. Wie sehr beherrscht mittlerweile das Internet und Online-Sein unseren Alltag?

Das Sich-Überschlagen der digitalen Welle findet jetzt statt. Das haben wir Zukunftsforscher schon vor Jahren erkannt.

Wir realisieren allmählich, dass wir in einer Kultur der Störung leben, in der wir zunehmend abgelenkt, unkonzentriert, fahrig und nervös, ja geradezu asozial werden. In wenigen Jahren wird das Suchtverhalten mit den elektronischen Medien so sanktioniert sein wie das Rauchen. Man wird dann als ungebildet und charakterschwach gelten, wenn man auf sein Smartphone starrt. Und an vielen Orten wird die Nutzung elektronischer Geräte verboten sein.

Was resultiert aus dem „Sich-Überschlagen der digitalen Welle“?

Mehr und mehr Menschen ziehen Bilanz und hinterfragen die Heilsbotschaft des Digitalen. Führt das Internet wirklich zu mehr Wissen, besserer Information, guter Kommunikation und höherer Produktivität? Sind Beurteilungen von Hotels und Produkten im Netz glaubwürdig? In den USA gibt es einen neuen Kult der „technologischen Schüchternheit“. Die amerikanische Internet-Aktivistin Alexa Clay hat diesen Begriff geprägt. Sie sagt: „Digitale Technologien desorientieren und überreizen das archaische, menschliche Orientierungssystem. Um es sinnvoll zu nutzen, brauchen wir eine neue Treue zu unseren genuin menschlichen Bedürfnissen.“

Was sind daneben die wichtigsten Trends der Mediennutzung?

Wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen massiven Diffusionstrend erlebt: Medien wurden allgegenwärtig, multi-kanal, mobil, interaktiv – und gleichzeitig immer flacher, schneller, unbedeutender. Wenn man heute eine Nachrichten-Website anklickt, finden sich dort Porno-Berichte aus dem „Dschungelcamp“ neben sieben Tipps zur Katzenpflege und der Frage, warum Obama ein tragischer Held ist. Die Klick-Logik führt zu einer Beliebigkeit, die alles in Bedeutungslosigkeit verwandelt.

Wie sieht es beim Fernsehen aus?

Dort ist es ähnlich: Die Aufmerksamkeit schwindet, TV zerlegt sich in unendlich viele Bilder-Ströme, das Geschäftsmodell der „Sendeschema-Kanäle“ geht zu Ende. Wir sind uns sicher, dass es in den nächsten Jahren zu einer Re-Fokussierung kommt. Einerseits werden sich Medien wieder mehr Sinn- und Interpretationsfragen zuwenden, andererseits führt das Web zu mehr Spezialisten-Plattformen.

Wie verändert das Internet die Wirtschaft, zum Beispiel mit App-Diensten wie dem Fahrdienstvermittler und Taxi-Konkurrenten Uber?

An Uber sieht man, dass Ausbeutungs-Geschäftsmodelle auch in der „Share Economy“ weiterexistieren. Während das Smartphone erst Teilungsmodelle wie Carsharing möglich macht, setzt Uber auf die brachiale Technik der Marktzerstörung. Das wird schiefgehen, es werden sich langfristig kooperative Modelle durchsetzen, Mitfahrzentralen neuen Typs. Allerdings lässt sich die Taxi-Branche jetzt etwas einfallen, um Service und Qualität zu erhöhen.

Kommen wir zum politischen Weltgeschehen. Angesichts der Krisen und kriegerischen Konflikte – die Zeiten werden rauer, oder?

Es entsteht so etwas wie die neue Ernsthaftigkeit. Lifestyle-Fragen wirken plötzlich seltsam deplatziert. Gleichzeitig wuchern Verschwörungstheorien, der Hysterisierungs- und Erregungsgrad wächst. Das ist die Gefahr, dass wir uns aus lauter Angst von den Erregungsherden anstecken lassen und Teil einer Front werden.

Stehen wir auf der Schwelle zu einem Flächenbrand?

So schrecklich die Konflikte mit der Terrormiliz IS und in der Ukraine sind – sie haben eine innere Selbst-Begrenzung. Moderne Gesellschaften sind nicht mehr so leicht formier- und mobilisierbar. Wir zweifeln mehr, die öffentliche Meinung ist viel differenzierter, widersprüchlicher, psychologisierter. Wir verstehen, dass Gewalt immer aus der Schwäche kommt. Fanatische Feldzüge wie der IS-Terror haben im Grunde schon verloren, wenn sie anfangen. Sie sind ja nun nicht gerade attraktiv für Menschen, die ein einigermaßen hoffnungsvolles Leben haben.

Was unterscheidet die neuen Konflikte generell?

Beide Konflikte stehen für einen neuen Typus des „Kränkungskrieges“. Der wahre Gewaltantrieb liegt in einer tief empfundenen Beleidigung, einer historischen Demütigung – einem katastrophalen Verlust an Selbstwertgefühl. Die IS-Kämpfer sind die Verlorenen der Weltgesellschaft, im Grunde auf dem Selbstmord-Trip. Jetzt könnte man angesichts der vielen Gedemütigten auf der Welt einen endlosen Flächenbrand voraussagen. Aber es gibt ja auch viele Gewinner der Globalisierung. Und die bilden eine Gegenkraft.

Zur Person: Horx (59) ist einer der renommiertesten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Der studierte Soziologe arbeitete zunächst als Journalist und eröffnete 1993 mit Peter Wippermann das Trendbüro in Hamburg. Fünf Jahre später gründete er sein Zukunftsinstitut, das mittlerweile in Frankfurt am Main angesiedelt ist. Das rein privatwirtschaftlich organisierte Institut hat in den Büros in Frankfurt, München und Wien gut 30 Mitarbeiter und verfügt über ein Netzwerk von 30 Referenten. Horx ist Dozent für Trend-und Zukunftsforschung an mehreren Universitäten.

Quellen: dpa/huffingtonpost.de/abendblatt.de/tagesspiegel.de vom 27.12.2014

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