Freitag, März 29, 2024
StartPolitikEuropa„So kann man keine Politik gestalten“: MdB Gehrcke zu Russland-Debatte im Bundestag

„So kann man keine Politik gestalten“: MdB Gehrcke zu Russland-Debatte im Bundestag

Ein Antrag der Linken-Bundestagsabgeordneten „für eine neue Ostpolitik Deutschlands“, sprich für ein besseres Verhältnis zwischen Berlin und Moskau, ist abgelehnt worden. Der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke kommentiert im Sputnik-Gespräch das „Trauerspiel“ und äußert kühne Zukunftswünsche.

Im Plenarsaal im Reichstagsgebäude zitierte Gehrcke am Donnerstag den jüngst verstorbenen russischen Dichter Jewgeni Jewtuschenko mit dessen an die Deutschen gerichteten Frage „Meinst Du, die Russen wollen Krieg?“. Der Abgeordnete stellte die Frage auch umgekehrt und versicherte, dass beide Seiten keinen Krieg wollten.

„Wenn man keinen Krieg will, dann darf man auch nichts machen, dass einen Krieg befördern kann“, so Gehrcke am Freitag gegenüber Sputnik. „Ich hätte mir mehr gewünscht, dass auch Abgeordnete begreifen, dass hier Handlung notwendig ist.“

Dennoch sei es als positiv einzustufen, dass das Thema im Parlament zur Sprache gekommen sei. „Ich glaube, dass solche Debatten Kreise ziehen und das ist das, worauf ich baue und worüber ich mich freue“, äußert der Politiker guten Mutes.

Aufeinander zugehen

Ihm zufolge wäre es nun notwendig, „erste Schritte zu gehen“. Den für 2. Mai angesetzten Sotschi-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, wo sie sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen wird, hält er für „erstmal in Ordnung“.

Dabei kommt er auch auf gemeinsame Initiativen zwischen Deutschland und Russland in Sachen Syrien-Krise und Ukraine-Konflikt zu sprechen. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die Einstellung der Stromlieferungen seitens der ukrainischen Behörden nach Lugansk und bezeichnet diese beiläufig als „unglaublich und furchtbar dumm“.„Ich glaube es gibt viele Chancen, durch kleine Schritte zu signalisieren: Nach einer Eiszeit kommt Tauwetter und es beginnt eine Phase der Zusammenarbeit“, so Gehrcke. „Das war unser Anliegen, da hätte ich mir eine aktive Rolle des Parlaments gewünscht.“

„Zwei Jahre Ausfall“ der Berliner Russland-Politik

Ihm zufolge wurde am Donnerstag viel „Unsinn“ gesprochen. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, warf beispielsweise Moskau vor, für die Eiszeit in den deutsch-russischen Beziehungen verantwortlich zu sein. Gleichzeitig behauptete er, der Westen habe sich stets für eine konstruktive Kooperation zwischen der EU und Russland eingesetzt.

„Welche Bilanz zieht er (Erler – Anm. d. Red.) denn für seine Arbeit? Er verantwortet doch die Arbeit in den letzten zwei Jahren. Er verantwortet auch einen Teil der Eiszeit. Er verantwortet doch, dass die OSZE keinen Weg gefunden hat, im Ukraine-Konflikt wirklich zu vermitteln. Erler und Russland-Politik war zwei Jahre Ausfall – darüber muss er sich mal Klarheit verschaffen.“

Selbst wenn einige Ansätze in dem von den Linken ins Parlament eingebrachten Antrag „falsch“ seien, sei es schon längst an der Zeit, dass sich SPD und CDU gemeinsam – oder auch einzeln – Vorschläge überlegen, wie denn die Beziehungen zu Russland tatsächlich besser gestaltet werden könnten.

„Verbesserungsvorschläge waren nicht da, stattdessen nur sehr plakative, sehr einseitige und sehr unsolidarische Vorwürfe an Russland“, äußert Gehrcke. „So kann man keine Politik gestalten!“

Schlichte Ideenlosigkeit

Oleg Krasnitzky, Gesandter an der russischen Botschaft in Berlin, bemängelte, dass es trotz der schon drei Jahre andauernden Beteuerung seitens der Bundesregierung keinen konstruktiven Dialog gab. Es habe zwar 40 bis 50 Telefonate und Treffen im Normandie-Format gegeben, doch hätten sich diese stets auf den Konflikt in der Ostukraine beschränkt.

Gehrcke hält diese Kritik für „stimmig“. Dennoch wolle er sich nicht gegen derartige Telefonate aussprechen. Es gebe „so viel in Europa, was man zusammen lösen muss“, betonte er. Man stelle sich nur mal vor, dass Russland die Eurasische Union weiter ausbaue und es zu einer Kooperation mit der EU komme. Dabei könnte ein „toller wirtschaftlicher und sozialer Raum“ entstehen.„Ich bemängle in der Politik der Bundesregierung die Ideenlosigkeit und leider auch ein Stück weit Kalter Krieg.“

Sanktionen als politisches Kampfmittel

Elisabeth Motschmann aus der Unionsfraktion beteuerte in der Sitzung, die antirussischen Sanktionen seien „zurzeit das einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansionspolitik Putins zu ziehen“.

Gehrcke bezeichnet dies als „völlig irrsinnige Argumentation“, da man doch immer auf Gespräche und Verhandlungen setze.

„Das heißt, dass die Wirtschaft als politisches Kampfmittel eingesetzt wird. Sanktionen sind nicht die Alternative zum Krieg, sondern ein Krieg auf einer anderen Ebene.“

Es sei unvorstellbar, dass Deutschland tatsächlich glaube, einen so großen Nachbarn wie Russland „mit so einem Zeug“ in die Knie zwingen zu können. Ein paar Jahre Sanktionen hätten überhaupt nichts gebracht. Ein paar Jahre Zusammenarbeit wären da durchaus „günstiger“.

Entsetzen bei der russischen Seite

Im Anschluss an die Debatte traf sich Gehrcke mit dem Wolgograder Oberbürgermeister Andrej Kosolapow, der dieser ebenso beiwohnte.

„Ich hatte den Eindruck, er war entsetzt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in einem Parlament so viel gelogen wird, was die Beziehungen zu Russland angeht und wie man Russland wahrnimmt“, so Gehrcke. „Er konnte sich nicht vorstellen, dass so viel Kalter Krieg in den Reden noch vorhanden ist.“

Der Abgeordnete habe versucht, ihn zu beruhigen, und beteuert, dass man sich gerade in diesen Zeiten nicht entmutigen lassen dürfe und man das Ganze sehr gelassen nehmen müsse.

Zukunftsaussichten

Wie man nun Bewegung in das eingestaubte Verhältnis zwischen Europa bzw. Deutschland und Russland bringen könnte, sei eine schwierige Angelegenheit. Man müsse sich überlegen, welche Vermittlungsinstanzen es gebe.

„Wenn die Politik versagt, muss Volksdiplomatie Raum greifen.“

Partnerschaften von deutschen und russischen Städten könnten dabei eine Rolle einnehmen und den kulturellen Sektor in Gang bringen. Ebenso müssten Diplomaten gut zusammenarbeiten und die Kirchen als „wichtige Instrumente“ berücksichtigt werden. Dabei erwähnt Gehrcke auch auf das Deutsch-russische Forum und den Petersburger Dialog. All dies könne seiner Auffassung nach zumindest ein wenig Bewegung in das Ganze bringen.

Beitragsbild: CC BY-SA 2.0 / DIE LINKE /

Quelle: Sputnik Deutschland

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