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SPD-Jugendorganisation packt Anti-Semitismus-Keule gegen Jeremy Corbyn aus und blamiert sich

Die Jusos aus Niedersachsen-Nord haben sich vehement gegen eine Rede des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn auf dem laufenden SPD-Parteitag ausgesprochen. Dessen Haltung zu Israel sei „antisemitisch“. Doch die angeführten Belege sind fragwürdig bis falsch.

Die Sozialdemokratie liegt in ganz Europa danieder. In ganz Europa? Nein, auf der britischen Insel gelang der Labour-Partei unter Führung von Jeremy Corbyn mit einem explizit linken Programm eine eindrucksvolle politische Wiedergeburt.

Vor diesem Hintergrund hatten linke SPD-Mitglieder eine Petition an den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz verfasst, in welchem aufgerufen wird, Jeremy Corbyn als Impulsredner zum SPD-Bundesparteitag im Dezember einzuladen. Verwiesen wird auf die Verdreifachung der Mitgliederzahlen unter Corbyn auf 600.000 innerhalb von knapp zwei Jahren und derzeitige Umfragewerte, die Labour bei 40 Prozent sehen.

Das war anscheinend für die SPD-Jugendorganisation, die sich selbst noch immer Jungsozialisten in der SPD (Jusos) nennt, zu viel des Erfolgs. Zumindest für deren Vertreter aus Niedersachsen. Diese starteten umgehend eine Gegenkampagne auf Facebook unter der Überschrift: Corbyn auf dem Parteitag? NO WAY!

Corbyn auf dem Parteitag? NO WAY!Auf dem kommenden Parteitag unser Mutterpartei geht es nach der enttäuschenden…

Posted by Jusos Nord-Niedersachsen on Montag, 4. Dezember 2017

Dann kommen die niedersächsischen Jusos auch gleich zur Sache:

Corbyns Haltung zu Israel und den Konfliktparteien im Nahostkonflikt sind nicht nur gruselig: Sie sind realitätsfern und antisemitisch!“

[…]

Wollen wir jemanden auf dem Parteitag sprechen lassen, der Israel sein Recht auf Selbstverteidigung abspricht? [2]
Wollen wir jemanden auf dem Parteitag sprechen lassen, der Israel als Apartheidsstaat bezeichnet hat? [3]

Ihre Vorwürfe „belegen“ die Jungsozialisten mit zwei Links. Einer führt zu einem Guardian-Artikel vom Juli 2016, der andere zu einem Artikel der Palestine Solidarity Campaign vom Juli 2014, in welchem beschrieben wird, wie zahlreiche Politiker und Kulturschaffende, darunter Corbyn, einen offenen Brief an den damaligen Premierminister David Cameron überreichen. In diesem wird ein Waffenembargo gegen Israel gefordert, angesichts der massiven Militäroperation „Starker Fels“ der israelischen Streitkräfte im Gaza-Streifen, bei der nach UN-Angaben fast 1.000 Zivilisten getötet wurden.

Grund genug für die Jusos aus dem Nordwesten zu zetern, Corbyn spräche mit der Forderung nach einem Stopp von Waffenexporten Israel das Recht auf Selbstverteidigung ab.

Dass damals die stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Flavia Pansieri, im September 2014 in Genf einen Bericht vorlegte, in dem dargelegt wurde, dass Israel sehr wahrscheinlich Kriegsverbrechen begangen habe, indem es Zivilisten und zivile Ziele angegriffen habe, interessiert die Jusos nicht weiter, falls sie überhaupt davon Notiz genommen haben.

Dass SPD-Granden wie der SPD-Partei-Vize Ralf Stegner und der ehemalige deutsche Botschafter in Israel und SPD-Staatssekretär a.D. beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Rudolf Dreßler, ebenfalls mit Verweis auf israelische Kriegsverbrechen in Gaza einen Stopp der Waffenlieferungen an Israel gefordert hatten, ist den Jungsozialisten vermutlich ebenfalls entgangen. Zumindest gab es bisher noch keine Juso-Kampagnen, die ein Parteitagsverbot für Stegner und Dreßler forderten. Aber was nicht ist …

Völlig ins Abseits manövrieren sich die Jusos aber mit ihrem letzten Vorwurf:

Wollen wir jemanden auf dem Parteitag sprechen lassen, der Israel als Apartheidsstaat bezeichnet hat?“

Wie bereits Jens Berger auf den NachDenkSeitenausgeführt hat, stammt dieses von den Jusos verlinkte Zitat überhaupt nicht, wie von ihnen behauptet, von Corbyn, sondern von Hugh Lanning, einem ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär und Pro-Palästina-Aktivisten. Der Publizist Jens Berger stellt hierzu fest:

Was die Jusos hier verbreiten, sind schlicht ‚Fake News‘ – Falschmeldungen, die schon in die Kategorie ,üble Nachrede‘ fallen und die man ja eigentlich eher von Internettrollen aus dem rechtsextremen Milieu kennt.“

Davon abgesehen, dass die UN in einem Bericht von März 2017 Israel explizit einen „Rassenstaat“ nennt, „der einen Apartheidsstaat etabliert hat“, beschrieb der aktuelle geschäftsführende Außenminister und damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seine Erlebnisse in den besetzten palästinischen Gebieten bei einem Besuch im März 2012 mit den Worten:

Ich war gerade in Hebron. Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“

Im Gegensatz zu Corbyn, der diese ihm von den Jusos zugeschriebene Aussage gar nicht getätigt hat, benannte Gabriel damals in seiner Funktion als Parteivorsitzender der SPD Israel tatsächlich als „Apartheidsregime“.

Auch nach Kritik bliebt er bei seiner Einschätzung und verteidigte seine Aussagen:

Mir ist klar, dass dies eine sehr drastische Formulierung ist. Aber genau so erleben die Palästinenser in Hebron ihre Situation. Der drastische Begriff ist das, was mir und nicht nur mir bei den Gesprächen und Besichtigungen in Hebron eingefallen ist.“

Angesichts der verbalen Vehemenz, mit welcher die Jusos gegen eine Aussage Corbyns vorgehen, die er so niemals getätigt hat, stellt sich die Frage, wie die Jungsozialisten sich gegenüber ihrem geschäftsführenden Vizekanzler, Außenminister und langjährigen Parteivorsitzenden positionieren werden. Eine entsprechende Presseanfrage von RT Deutsch an die Jusos vom Bezirk Nord-Niedersachsen blieb bis zur Veröffentlichung des vorliegenden Artikels unbeantwortet.

Doch wenn die Jusos aus dem Nordwesten dem Motto des aktuellen Coverbilds ihrer Facebookseite folgen, dann wird Gabriel wohl bald ein Redeverbot auf SPD-Parteitagen drohen. Denn die Jusos in Niedersachsen fühlen sich demnach der „Klarheit und Glaubwürdigkeit“ verpflichtet:

Beitragsbild: www.globallookpress.com

Quelle: https://deutsch.rt.com/inland/61886-spd-jugendorganisation-corbyn-ist-anti-semit/

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