Freitag, April 19, 2024
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Südostasien: Abschottungspolitik macht Flüchtlingsboote zu “schwimmenden Särgen”

Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar im Jahr 2012 bei dem Versuch, Bangladesch zu erreichen – Bild: Anurup Titu/IPS

NEW YORK (IPS) – Am 14. Mai bestiegen Journalisten auf der kleinen Insel Kop Lipe im Südwesten Thailands ein Boot in Richtung Andamanensee. Kaum hatten sie das Meer im Nordosten des Indischen Ozeans erreicht, erblickten sie ein marodes dreistöckiges Holzschiff mit zerlumpten Männern, Frauen und Kindern an Bord, die laut um Hilfe riefen.

Bei den Verzweifelten handelte es sich um hunderte Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya. Sie zählen zu den Opfern des ‘maritimen [adrotate group="2")Pingpongs’, mit dem sich verschiedene südostasiatische Staaten gegen die Ankunft von Bootsflüchtlingen wehren. Aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit werden die Rohingya in ihren Heimatländern Myanmar und

Bangladesch politisch verfolgt.

Von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) war später zu erfahren, dass die Menschenhändler das Schiff und seine Passagiere verlassen hatten, nachdem sie in Thailand nicht vor Anker gehen durften. Zuvor hatte die Besatzung ebenso vergeblich Malaysia angesteuert. Am 5. Mai schleppten die thailändischen Behörden das Schiff wieder auf das offene Meer hinaus und erklärten, die Passagiere wollten ihre Reise fortsetzen.

Dass die völlig abgemagerten Flüchtlinge, die bereits drei Monate lang auf hoher See trieben, tatsächlich nicht an Land gehen wollten, war allerdings höchst unwahrscheinlich: Sie hatten kaum noch Wasser- und Lebensmittelvorräte.

Tausende Flüchtlinge auf hoher See

Die IOM geht davon aus, dass noch etwa 6.000 der rund 8.000 Flüchtlinge, die seit Anfang März auf dem Meer gesichtet wurden, nach wie vor auf Booten vor den Küsten Thailands, Indonesiens und Malaysias treiben. Diese Länder, allesamt Mitglieder des Verbands Südostasiatischer Staaten (ASEAN), nehmen angesichts der Flüchtlingskrise unterschiedliche Positionen ein.

Laut der IOM sollen inzwischen etwa 1.500 Menschen in Malaysia und Indonesien an Land gegangen sein. Tausende seien dagegen abgewiesen und in einigen Fällen sogar wieder auf das offene Meer hinausgeschleppt worden.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon appellierte am 14. Mai an die Regierungen, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und die Flüchtlinge an Land zu lassen. Grenzen und Häfen sollten für diejenigen, die in Not seien, geöffnet bleiben. Bislang stoßen die Appelle jedoch auf taube Ohren gestoßen.

Angesichts der verzweifelten Lage der Schiffbrüchigen hat die IOM am 15. Mai eine Million US-Dollar aus einem Nothilfefonds bereitgestellt. Mit den Geldern soll den Flüchtlingen zu Land und zu Wasser geholfen werden. Diese finanziellen Mittel könnten Hunderte Leben retten, beteuerte der IOM-Kommunikationschef Leonard Doyle. Die umliegenden Länder müssten aber unbedingt reagieren und die Flüchtlinge aufnehmen, bevor diese mit dem Nötigsten versorgt werden könnten.

“Wir haben keine Flotte, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Viele Staaten in der Region wären hingegen dazu in der Lage”, sagte Doyle. “Und sie hätten allen Grund dazu, denn andernfalls wird es vor ihren Küsten bald schwimmende Särge geben.”

Der IOM-Sprecher forderte insbesondere die regionalen Schwellenländer dazu auf, ihre Marinekapazitäten einzusetzen, um Kranke an Land zu bringen. Unter den Schiffbrüchigen werden auch schwangere Frauen vermutet. Doch keine Regierung macht bisher Anstalten, ihnen zu helfen.

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) schätzt, dass etwa 25.000 Menschen in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Golf von Bengalen in See gestochen sind. Das sind etwa doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum der Jahre 2014 und 2013. Seit vergangenen Oktober sind demnach wahrscheinlich 300 Menschen auf hoher See an Dehydrierung, den Folgen von Hunger oder nach schweren Misshandlungen durch Schiffspersonal gestorben.

Geldverleiher verlangen Wucherzinsen

Die größtenteils aus Bangladesch und Myanmar stammenden Flüchtlinge zahlen für ihre Schiffspassagen jeweils umgerechnet zwischen 90 und 370 Dollar. Tausende Dollar werden zudem an Zinsen für skrupellose Geldverleiher fällig oder als Schmiergelder an Beamte der Einwanderungsbehörden gezahlt.

Grund für den plötzlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen könnten unter anderem die schwierigen Lebensbedingungen in den Vertriebenenlagern in Myanmar sein. Dort finden sich mehr als 140.000 Menschen, zumeist Rohingya, die vor fast drei Jahren vor der Gewalt im Rakhine-Staat im Westen des Landes geflohen sind. Auch materielle Not und ethnische Verfolgung haben die Muslime laut den Vereinten Nationen zur Flucht genötigt.

Die Tatsache, dass so viele von ihnen bereit sind, auf dem Meer ihr Leben zu riskieren, sagt viel über die Misere in ihren Heimatländern aus. Wie die IOM erklärt, wurden in den vergangenen drei Jahren schätzungsweise 160.000 Menschen von Myanmar und Bangladesch aus in Schiffen nach Thailand geschmuggelt und von dort aus auf dem Landweg nach Malaysia gebracht.

Seit Anfang Mai in Lagern der Menschenschmuggler Massengräber entdeckt wurden, gehen die thailändischen und malaysischen Behörden mit aller Macht gegen die illegalen Händler vor. Dieses Problem soll im Fokus eines regionalen Gipfels stehen, der für Ende Mai geplant ist. Ban sprach in diesem Zusammenhang von einer Chance “für alle Staats- und Regierungschefs Südostasiens, in dieser besorgniserregenden Lage ihre individuellen und kollektiven Anstrengungen zu verstärken und die Ursachen zu bekämpfen”.

Manche Beobachter befürchten allerdings, dass eine Einigung zum jetzigen Zeitpunkt für viele zu spät kommen dürfte.

“Diese Menschen werden nicht lange durchhalten”, meinte Doyle. “Sie müssen sofort gerettet werden, und genau das fordern wir. Ein Tag auf einem solchen Schiff ist schon schlimm genug, doch sind sie bereits seit Monaten auf hoher See. Das ist ein schockierender Umgang mit Menschen.”

Verteiler: Neopresse

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