Dienstag, April 23, 2024
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Türkei setzt weiter auf Konfrontation mit Europa – Ein Jahr Flüchtlingspakt mit Erdogan

Die Europäische Union hatte Ankara am Montag aufgefordert, „auf überzogene Erklärungen und Handlungen zu verzichten, welche die Lage weiter zu verschärfen drohen“. Der türkische Präsident Erdogan hatte den Niederlanden und Deutschland im Streit um die Wahlkampfauftritte wiederholt vorgeworfen, „Nazi-Methoden“ anzuwenden und sich wie „Faschisten“ zu verhalten.

Die Türkei setzt weiter auf Konfrontation mit der Europäischen Union: Die Regierung in Ankara beschloss am Montagabend diplomatische Sanktionen gegen die Niederlande, nachdem Den Haag mehrere Minister an Wahlkampfauftritten gehindert hatte.

Einen Aufruf der EU zur Deeskalation wies die Türkei zurück. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sich mit den Niederlanden solidarisiert hatte, warf der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ihr „Unterstützung von Terroristen“ vor.

Im Konflikt mit den Niederlanden erklärte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus am Montagabend nach einer Kabinettssitzung, alle geplanten Begegnungen ab Ministerebene würden ausgesetzt, „bis die Niederlande für das, was sie getan haben, Wiedergutmachung leisten“. Der niederländische Botschafter, der sich derzeit außer Landes befindet, dürfe erst zurückkehren, wenn die Bedingungen der Türkei erfüllt seien.

Am Dienstag wies Ankara zudem einen Aufruf der EU zur Deeskalation zurück. „Die kurzsichtige Erklärung der EU hat für unser Land keinen Wert“, erklärte das Außenministerium. Statt die Lage zu beruhigen, befördere die EU „Fremdenfeindlichkeit und eine antitürkische Stimmung“, indem sie Länder unterstütze, „die gegen diplomatische Vereinbarungen und das Gesetz verstoßen“.

Die Europäische Union hatte Ankara am Montag aufgefordert, „auf überzogene Erklärungen und Handlungen zu verzichten, welche die Lage weiter zu verschärfen drohen“. Erdogan hatte den Niederlanden und Deutschland im Streit um die Wahlkampfauftritte wiederholt vorgeworfen, „Nazi-Methoden“ anzuwenden und sich wie „Faschisten“ zu verhalten.

Lässt die Türkei den Flüchtlingsdeal platzen?

Immer wieder hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Europäern gedroht, den Flüchtlingspakt mit der EU platzen zu lassen. Mit der relativen Ruhe auf der Route über Griechenland und Bulgarien wäre es dann vorbei. Am Samstag wird die Vereinbarung ein Jahr alt. Das Abkommen und seine Wirkung im Überblick:

Warum ist die Türkei in der Flüchtlingsfrage für die EU so wichtig?

Die Türkei beherbergt rund 2,7 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Wegen fehlender Perspektive versuchten 2015 immer mehr Flüchtlinge, nach Europa weiterzureisen. Der weitaus größte Teil kam über die Ägäis nach Griechenland, ein Teil auch über die Landgrenze nach Bulgarien. Die meisten reisten weiter Richtung Deutschland.

Wie hilft Ankara der EU in der Flüchtlingsfrage?

Seit Herbst 2015 handelte die EU mit Erdogan eine Reihe von Vereinbarungen in der Flüchtlingskrise aus. Am 18. März 2016 sicherte Ankara dann zu, alle neu auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen.

Hat das Abkommen gewirkt? 

Ja. Die Ankunftszahlen in Griechenland sind seit der Vereinbarung dramatisch gesunken. Kamen allein im Januar und Februar 2016 laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR noch 124.500 Flüchtlinge in Griechenland an, waren es in den ersten beiden Monaten dieses Jahres nur 2480 – ein Rückgang um 98 Prozent.

Was haben die Europäer im Gegenzug versprochen?

Die EU stellt bis 2018 sechs Milliarden Euro zur Verbesserung der Lebensumstände der Flüchtlinge in der Türkei bereit. Zudem wurden Erdogan beschleunigte Verhandlungen über die Abschaffung des Visa-Zwangs für türkische Bürger und den EU-Beitritt in Aussicht gestellt.

Hat die EU ihre Zusagen erfüllt?

Aus Sicht Erdogans nicht. In der Visa-Frage ging nichts voran, weil Ankara seine weit gefassten Anti-Terrorgesetze nicht ändern will. Die Beitrittsgespräche dehnte die EU zwar auf zwei neue Bereiche aus. Im Dezember stoppten die EU-Staaten aber wegen des massiven Vorgehens Erdogans gegen Regierungsgegner nach dem Putschversuch vom Juli jede weitere Ausweitung.

Ist wenigsten Geld für die Flüchtlinge in der Türkei geflossen?

Ankara beklagt, dass die EU ihre finanziellen Zusagen nur schleppend erfüllt. Brüssel weist dies zurück. Laut EU-Kommission waren von den sechs Milliarden Euro bis Mitte Januar knapp 1,5 Milliarden Euro für konkrete Flüchtlingsprojekte in der Türkei vorgemerkt. Tatsächlich ausgezahlt wurden bis März 750 Millionen Euro.

Will Ankara das gesamte Flüchtlingsabkommen platzen lassen?

Offenbar nicht. Im Streit um die Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Europa hat die türkische Regierung am Montag gedroht, die Landgrenzen Richtung EU zu öffnen. Betroffen wären die Übergänge nach Griechenland und Bulgarien. Anders als bei früheren Drohungen stellte Europaminister Ömer Celik aber klar, dass Ankara die Abriegelung der Route über die Ägäis nicht in Frage stellt, weil die Überfahrt für Flüchtlinge zu gefährlich sei.

Aber hat die EU den Grenzschutz nicht schon verstärkt?

Doch. Die EU-Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex verfügt seit Dezember über eine Reserve von 1500 Beamten, die in Krisenfällen kurzfristig verlegt werden können. Bulgarien hat zudem seit 2014 einen Zaun zur Türkei errichtet: Er deckt mittlerweile 176 von 259 Kilometern Grenze ab. Auch Griechenland hatte schon 2012 einen elf Kilometer langen Stacheldrahtwall am Grenzfluss Evros gebaut – damals sogar mit Millionenhilfe der Türkei.

Würde das reichen?

Wahrscheinlich nicht, wie die Erfahrungen mit den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko zeigen, wo auch ein sechs Meter hohes HighTech-Bollwerk Flüchtlinge nicht aufhält. Sind die Menschen erst auf EU-Territorium, können sie auch nicht mehr einfach zurückgeschickt werden, sondern haben ein Recht auf Prüfung ihrer Asylanträge.

Beitragsbild: Lukas Schulze/Getty Images

Quelle: (afp)

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