Donnerstag, April 25, 2024
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US-Marine im Ernstfall bereit, russische Tanker zu versenken. Was nun?

Die US-Seestreitkräfte sind im Ernstfall in der Lage, eine Seeblockade gegen Russland aufzustellen. Das erklärte dieser Tage US-Innenminister Ryan Zinke. Nach seiner Auffassung wäre das eine akzeptable Methode, um Russlands Rolle auf dem internationalen Energiemarkt einzugrenzen.

„Die Vereinigten Staaten verfügen über die Möglichkeit, mithilfe unserer Flotte zu garantieren, dass die Seewege frei sind; und eine Seeblockade zu verhängen, falls dies nötig sein sollte, um zu garantieren, dass russische Energieträger nicht auf den Weltmarkt kommen“, sagte Zinke in Pittsburgh.

Der Minister verwies darauf, dass die russische Wirtschaft größtenteils vom Export von Energieträgern abhänge. Die USA erwägen nach seinen Worten ähnliche Maßnahmen zum Einfluss auf den Iran und Russland, um die beiden Länder vom Energiemarkt zu verdrängen. „Wir können das tun, weil die Vereinigten Staaten der größte Öl- und Gaslieferant sind“, wurde Innenminister Zinke von der Zeitschrift „Washington Examiner“ zitiert.

Aber welche russischen Energielieferungen könnten denn die Amerikaner eigentlich blockieren? Russland ist bekanntlich der zweitgrößte Ölexporteur der Welt – nach Saudi-Arabien. 2017 verkaufte es insgesamt 253 Millionen Tonnen „schwarzes Gold“ ins Ausland und verdiente daran 93 Milliarden Dollar. Bei Öllieferungen in entlegene Regionen wird der Rohstoff traditionell mit Tankschiffen befördert. Die wichtigsten Handelshäfen sind Noworossijsk (am Schwarzen Meer), Primorsk und Ust-Luga (an der Ostsee) und Kosmino (am Stillen Ozean). Zwischen Januar und August dieses Jahres wurden über diese Terminals jeweils 12,56 Millionen, 25,3 Millionen, 11,79 Millionen und 20,22 Millionen Tonnen Öl verladen.Über die Häfen am Schwarzen Meer und an der Ostsee transportiert Russland Erdöl nach Europa. Aus Kosmino wird es nach China, Japan, Südkorea und sogar in die USA befördert. Vorerst pachtet Russland zu diesen Zwecken ausländische Tankschiffe, aber in absehbarer Zeit wird sich die Situation ändern. Am 11. September wohnte Präsident Wladimir Putin im Fernen Osten der Kiellegung des ersten russischen Tankers bei, dessen Nutzlast zwischen 95.000 und 110.000 Tonnen betragen wird und das damit für die Beförderung von 500 000 bis 700 000 Barrel Öl geeignet sein wird. Das erste von insgesamt zehn Schiffen wird den Namen „St. Petersburg“ tragen. Der technologische Partner dieses Projekts ist die südkoreanische Hyundai Heavy Industries Co. Ltd. Als Betreiber der Tankschiffe wird die Firma „Rosneftflot“ agieren.

Theoretisch könnten die USA also gerade diese Öllieferungen per See blockieren – beispielsweise im Falle von antirussischen Sanktionen nach dem „iranischen Szenario“.

Darüber hinaus ist für Russland der Bau der weltweit größten Flotte von eisbrechenden Tankschiffen, die den Brennstoff von der Halbinsel Jamal durch die Nordostpassage befördern würden, äußerst wichtig. Im Juli wurde bekannt, dass Russland in Südkorea 15 solche Schiffe bestellt hat.

Diese Tanker sollen mehr als 300 Meter lang und mehr als 50 Meter breit sein – und damit die größten Schiffe für die Gasbeförderung in der Geschichte. Sie werden insgesamt 16,5 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr transportieren – das wäre genügen, um beispielsweise Südkoreas jährlichen Gasbedarf zu 50 Prozent zu decken.

„Das ist wohl der größte Schritt bei der Entwicklung der Arktis“, sagte Präsident Putin nach den Tests des ersten Tankschiffs dieser Art. „Jetzt können wir zuversichtlich sagen, dass sich Russland in diesem und im kommenden Jahrhundert in der Arktis ausdehnen wird.“

Allerdings zeugen Ryan Zinkes Worte davon, dass man in Washington von diesen Plänen des Kremls nicht gerade begeistert ist. Ist eine Seeblockade Russlands tatsächlich möglich? Und wie würde Moskau auf diesen Schritt der Amerikaner antworten?

„Für die USA ist es zur Wiederbelebung ihrer Wirtschaft lebenswichtig, ihr Schiefergas auf den Weltmarkt, vor allem nach Europa, zu liefern“, meint Generaloberst Leonid Iwaschow, Mitglied der Akademie geopolitischer Probleme und Ex-Chef der Hauptverwaltung für internationale Militärkooperation im Verteidigungsministerium Russlands. „Die gesamte Politik des Weißen Hauses ist in den vergangenen zehn Jahren darauf ausgerichtet, den europäischen Markt vom russischen Gas zu ‚befreien‘ und die Gaslieferungen aus dem Nahen Osten zu blockieren.“

Auf diesem Gebiet haben die Amerikaner Iwaschow zufolge schon viel getan, unter anderem die Gaslieferungen aus Libyen unterbunden – mithilfe des italienischen Konzerns ENI. Nach seinen Worten hatte Libyen vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg etwa zehn Prozent des Ölbedarfs und etwa 16 Prozent des Gasbedarfs Italiens abgedeckt.

„Die Amerikaner entfesseln Konflikte in allen Situationen, wenn es um jegliche Konkurrenz für ihr Schiefergas und —öl geht“, so der Militärexperte. „Nicht umsonst werden seit 2010 unter der Schirmherrschaft der USA sehr umfassende Militärmanöver in unserer nordwestlichen Richtung organisiert. Und dann haben die Amerikaner den Ukraine-Konflikt und auch die neuen Zerstörungen im Nahen Osten ausgelöst.“

Zur Fähigkeit Washingtons, Russlands Lieferungen von fossilen Brannstoffen zu blockieren, sagte Iwaschow: „Sehen wir uns einmal die Ostsee an. Die US-Streitkräfte kooperieren mit den Streitkräften der baltischen Länder im Rahmen von regelmäßigen Nato-Manövern (unter anderem ‚Saber Strike‘ und ‚Baltops‘). Im Rahmen von ‚Saber Strike‘ wird die Verlegung von US- und anderen Nato-Truppen (unter anderem von deutschen Kräften) nach Polen, Estland, Lettland und Litauen geübt. Die ‚Baltops-Baltic Operations‘ haben das Ziel, die Stärke der Seestreitkräfte der Allianz im Ostseeraum zu demonstrieren.“Und was die Arktis und die Nordostpassage angehe, so wurde in der Arktis im März 2018 die Übung ‚Ice Exercise“ unter Beteiligung der USA, Großbritanniens, Kanadas und Norwegens durchgeführt, fuhr der Experte fort. Dabei wurden nach seinen Worten das Atom-U-Boot „Hartford“ der „Los Angeles“-Klasse, das U-Boot „Connecticut“ der „Seawolf“-Klasse sowie das britische Atom-U-Boot „Trenchant“ eingesetzt. Sie alle können Marschflugkörper „Tomahawk“ mit nuklearen Sprengköpfen tragen, betonte Iwaschow.

Er erinnerte daran, dass der Befehlshaber der Nato-Kräfte in Europa, Curtis Scaparrotti, unlängst eingeräumt hatte, dass die Allianz in der Arktis Russland unterlegen sei, weshalb Moskau diese Region in ein paar Jahren unter seine Kontrolle nehmen könnte, falls die Nato nichts dagegen unternehme. „Eine solche Perspektive passt den USA natürlich nicht“, so Iwaschow.

„Also ist die Anspannung der Situation nicht zu übersehen. Klar ist aber auch: Europa will definitiv keinen Krieg – und gegen Russland schon gar keinen. Und es will auch kein teures amerikanisches Schiefergas“, resümierte der Experte.

„Und da muss man verstehen: Russland wird schon Wege finden, die Versuche der USA zur Blockade seiner Lieferungen von fossilen Berennstoffen per See zu vereiteln. In der Ostsee wäre es für uns kein großes Problem, die US-Kriegsschiffe zu versenken. Was das Schwarze Meer angeht, so ist die Situation dort noch schwieriger für die Amerikaner. Wie ausländische Kriegsschiffe die türkischen Meeresstraßen Bosporus und Dardanellen passieren, wird bekanntlich durch das Übereinkommen von Montreux anno 1936 geregelt. Laut diesem Dokument kann nur ein kleineres Militärschiff eines Landes, das nicht am Schwarzen Meer liegt, die Straßen passieren. Also könnte ein US-Flugzeugträger das Schwarze Meer definitiv nicht erreichen. Zudem haben wir im Schwarzen Meer eine große Gruppierung von neuesten Anti-Schiffs-Komplexen und auch unsere Fliegerkräfte“, so Experte Iwaschow.

„Also müssten die Amerikaner es sich gut überlegen, bevor sie gegen Tankschiffe mit russischem Öl und LNG aggressiv vorgehen“, sagte er weiter. „Die jüngste strategische Übung ‚Wostok-2018‘, an der sich fast 300.000 Soldaten beteiligten, war eine Warnung an die Hitzköpfe in Washington.“

Hinzu kommen nach seinen Worten die gemeinsamen russisch-chinesischen Manöver im Südchinesischen und auch im Mittelmeer, die ebenfalls davon zeugten, dass Russland, China und die Mongolei im Falle eines negativen Szenarios zusammenhalten würden. „Also könnten Washingtons Versuche zur Blockade von russischen Öl- und Gaslieferungen per See zu Gegenmaßnahmen seitens Pekings führen.“

Sehr viel Wert legte der Experte darüber hinaus auf Russlands Entscheidung, eigene Tankschiffe zu bauen: „Moskau sichert sich für den Fall ab, dass die USA ihre Partner unter Druck setzen, so dass sie uns keine Tankschiffe zur Verfügung stellen. Wir bauen Tanker sowohl für die Arktis als auch für wärmere Meere. Und diese Flotte ist eben unsere langfristige Absicherung gegen die Blockade unserer Seelieferungen.“

Die Ökonomin Jelena Telegina von der Russischen Öl- und Gasuniversität „Iwan Gubkin“ sagte ihrerseits: „Die Tankerflotte ist der universale Weg zur Ölbeförderung, und ich sehe keine Möglichkeiten, wie die USA sie rein physisch blockieren könnten. Unser Öl wird aus Noworossijsk nach Rotterdam transportiert, und wir wollen unsere LNG-Lieferungen durch die Nordostpassage erweitern – da gibt es keine Probleme.“

Die Expertin verwies zugleich darauf, dass ein Embargo gegen den Ölimport (wie in der Situation um den Iran) „eine kleine Blockade von Tankschiffen durch Kriegsschiffe bedeutet. Das ist die Gefahr von Sanktionen gegen Unternehmen, die dieses Öl kaufen. Theoretisch könnten solche Sanktionen auch gegen Russland verhängt werden. Aber in der Tat können die Lieferungen nicht blockiert werden. Denn es gibt immerhin China, das jedenfalls russisches Öl kaufen wird, ohne auf die Beschränkungen zu achten.“

Europa könnte bei einem solchen Szenario tatsächlich leiden, schloss Telegina nicht aus. „Aber ich denke nicht, dass es dazu kommt.“

Die Branchenkennerin räumte ein, dass Russland die Brennstofflieferungen per See im Falle ihres Ausfalls nur durch Pipelinelieferungen nicht vollständig ersetzen könnten. Die Kapazitäten der aktuellen Leitungen (selbst im Falle der Erweiterung der Pipeline „Ostsibirien-Stiller Ozean“ seien zu gering dafür. „Die Tankerflotte ermöglicht Öllieferungen in alle möglichen Richtungen. Aber durch Pipelines kann das ganze russische Öl in verschiedene Richtungen beim besten Willen nicht gepumpt werden“, stellte Telegina fest.Aber gerade zu diesem Zweck wolle Russland in den nächsten Jahren eigene Tankschiffe bauen, ergänzte die Expertin. „Es wäre einfacher, solche Schiffe zu pachten, aber es ist sehr gut, eigene Tanker zu haben, besonders angesichts der aktuellen geopolitischen Probleme“, betonte sie.

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