Mittwoch, März 27, 2024
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„Vasall der USA“: Kann sich Europa von Amerika losreißen?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat dieser Tage wieder Kritik an den USA geübt. Er sagte, dass Europa sich auf keinen Fall zum Vasallen der Amerikaner machen lassen dürfe. Dabei brachte er die Empörung der Europäer zum Ausdruck, dass Washington mit ihnen in letzter Zeit fast ausschließlich in der Sprache von Ultimaten spreche.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die langjährigen Verbündeten der USA als Teil der „amerikanischen Welt“ wegfallen? Damit setzt sich die Online-Zeitung Vz.ru am Freitag auseinander.

Der französische Staatschef nannte zwar die USA „einen historischen Verbündeten“ seines Landes, „aber Verbündeter zu sein, heißt nicht, ein Vasallenstaat zu sein. Wir sollten nicht von ihnen abhängen“, betonte Macron. Sein Land sollte nach seinen Worten souverän und dessen Verteidigung autonom bleiben. „Kann ich den Franzosen sagen, dass ich die ganze unsere Sicherheit den Vereinigten Staaten anvertraue? Nein. Denn ich glaube an unsere Souveränität und an die Souveränität Europas.“ In einigen Bereichen hänge Frankreich „viel zu stark“ von den USA ab und das sei „nicht gut“, stellte Macron fest.

Zuvor hatte er für die Schaffung einer einheitlichen europäischen Armee plädiert, die die Alte Welt nicht nur vor Russland und China schützen sollte, sondern auch vor den USA – damit sie von Washington in Sicherheitsfragen unabhängig bleiben könnte.

Die EU-Beauftragte für Justiz, Vera Jurova, stimmte Macron generell zu. „Wir Europäer können es nicht akzeptieren, dass ein anderes Land, selbst unser nächster Freund und Verbündeter, Entscheidungen über unseren legitimen Handel mit anderen Ländern trifft“, betonte die Bulgarin.

Damit meinte sie die Situation um den Austritt der USA aus dem so genannten „Iran-Deal“. Die Amerikaner drohen nämlich europäischen Unternehmen mit Sanktionen, falls sie weiterhin mit iranischen Partnern Handel treiben sollten. Jurova zufolge setzen Frankreich, Deutschland und Großbritannien die Arbeit zwecks „vollständiger Erfüllung“ des Atom-Deals mit der Islamischen Republik fort.Der Vorsitzende der Kommission für Informationspolitik im russischen Föderationsrat (Parlamentsoberhaus), Alexej Puschkow, zeigte sich überzeugt, dass die USA ihre europäischen Verbündeten schon immer als „Vasallen“ behandelt hätten, aber Präsident Trump tue das „besonders grob und unverhohlen“. Das lassen sich die Europäer allerdings nicht gefallen. „Aber wenn ein Land den Nato-Haushalt zu 75 Prozent füllt, wie sollte denn eigentlich das Kräfteverhältnis sein? Natürlich spielen die USA die Führungsrolle in der Nato“, so der Politiker.

Nach seinen Worten gibt es nur fünf Nato-Länder, deren Beiträge zur Allianz zwei Prozent von ihrem BIP erreichen, und Frankreich gehöre nicht dazu.

„Macrons Erklärung widerspiegelt die Reaktion der Europäer auf den unangenehmen Stil Donald Trumps, der das Kind beim Namen nennt und will, dass Europa das akzeptiert“, stellte Puschkow fest. Dennoch wolle Macron „seinen Bürgern zeigen, dass Frankreich nach wie vor eine unabhängige und selbstständige Großmacht ist“.

Ferner erinnerte der russische Politiker daran, dass Charles de Gaulle das Vorgehen der USA dermaßen empörend fand, dass Frankreich aus der Militärorganisation der Nato ausgetreten war. Mehr noch: 1963 musste das Hauptquartier der Allianz Paris verlassen. „Jetzt aber wird es dazu nicht kommen – es geht nur um Rhetorik“, zeigte sich Puschkow überzeugt.

Er schloss nicht aus, dass die Europäer tatsächlich versuchen werden, mit dem Iran trotz der Position Washingtons weiter zu kooperieren, „und das wäre wenigstens irgendeine praktische Bestätigung  für die Erklärungen von der Notwendigkeit der Unabhängigkeit“.

Was Macrons Absichten zur Aufstellung der europäischen Streitkräfte angeht, so ist es Puschkow zufolge unklar, wie diese bestehen könnten, wenn man bedenkt, dass die USA Europa in militärischer Hinsicht kontrollieren – über die Nato. Die Europäer haben weder die Weltraum-Aufklärungskräfte noch Möglichkeiten zur Verlegung von größeren Truppenverbänden über größere Entfernungen, unterstrich er.

„Das westliche Militärbündnis wäre lebensunfähig ohne die USA, aber die Europäer zeigen Trump ihre Unzufriedenheit mit seiner einseitigen Politik und sagen: ‚Na ja, wenn es so weiter geht, würden wir europäische Streitkräfte aufstellen.‘“

Der deutsche Politologe Alexander Rahr stellte fest, dass Deutschland in letzter Zeit tatsächlich eine Art „Vasall“ der USA geworden sei. Die Amerikaner versuchen, Berlin daran zu hindern, den energetischen Dialog mit Moskau zu führen. Sie wollen, dass Deutschland auf die Pipeline „Nord Stream 2“ verzichtet, obwohl diese Entscheidung deutschen Unternehmen und generell der EU vorbehalten sei. „Die Amerikaner mischen sich ganz frech in die europäischen Angelegenheiten ein“, so Rahr.

Zugleich erinnerte er daran, dass eine Gruppe von US-Senatoren einst Bulgarien besucht und diesem Land die Teilnahme am Bau der Pipeline „South Stream“ verboten hatte. Jetzt lassen sich die Amerikaner die Idee zur Schaffung der europäischen Streitkräfte nicht gefallen. „Was ist das denn – etwa keine Vasallität?“, fragte der Politologe rhetorisch. Das sei in vielen Bereichen spürbar, aber vor allem seien die Europäer über die von Washington verhängten exterritorialen Iran-Sanktionen empört, wobei alle bestraft werden, die es wagen sollten, mit Teheran weiter zu kooperieren.

Ein anderes Problem sei, dass im Grunde nur Frankreich und Deutschland über diese „Vasallen“-Haltung gegenüber Washington empört seien, fuhr der deutsche Politologe fort. „Aber solche Länder wie Polen und die baltischen Länder — und sogar Großbritannien – akzeptieren diese Rolle der ‚Knechte‘ gegenüber den Amerikanern. Und sie werden Europa weiter in diese Richtung ziehen – und nicht zur Unabhängigkeit.“

Ob Macrons These „Wir können nicht von ihnen abhängen“ eine weitere Entwicklung bekommt, konnte Alexander Rahr nicht sagen. Angesichts seiner Kultur, seiner historischen Größe und seiner Selbstidentität „müsste Europa irgendwann Amerika den Rücken kehren und sein eigenes Leben beginnen. Was macht Amerika überhaupt in Europa? Amerika hatte einst gemeinsam mit der Sowjetunion Hitler besiegt und ist in Europa geblieben, um dort die Stabilität und Marktwirtschaft voranzubringen. Die Vereinigten Staaten haben Europa Demokratie gegeben – das muss anerkannt werden. Aber das war vor fast 80 Jahren. Und was machen die USA jetzt in Europa? Die Europäer sollten sich diese Frage stellen und eigentlich den Amerikanern die Hand schütteln und sagen: ‚Lasst uns Freunde sein, aber aus einer Entfernung. Wir haben unsere eigene Politik.“

„Da aber die Amerikaner in den letzten Jahrzehnten die Eliten faktisch aller europäischen Länder sehr geschickt transformiert haben und jetzt die dortigen Medien, Non-Profit-Organisationen usw. stark beeinflussen, wird sich Europa meines Erachtens kaum von den Amerikanern trennen können“, zeigte sich Rahr pessimistisch. „Leider wird sich das europäische Projekt künftig unter der Schirmherrschaft der Pax Americana entwickeln. Das versteht man immer mehr in Russland und China. Das ist eine tragische Entwicklung. Ich hoffe nur sehr, dass ich Unrecht habe.“

Der Vorsitzende des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands, Fjodor Lukjanow, verwies seinerseits darauf, dass die Beziehungen zwischen der EU und den USA immer sehr kompliziert gewesen seien. „Es wäre wohl übertrieben, zu sagen, dass dies Overlord-Vasall-Beziehungen wären, aber es bestand schon immer die transatlantische Gemeinschaft, wo es den vereinigenden Faktor gab bzw. gibt – die Nato als Sicherheitsorganisation, und den spaltenden Faktor – die EU als einzelne europäische Struktur“, so der Politologe.

Er erinnerte daran, dass die Europäer schon Ende des 20. bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts einen Versuch zur Förderung ihrer Selbstständigkeit unternommen hatten. Allerdings konnte sich die EU als wirklich starker und strategisch wichtiger Akteur nicht etablieren. Es habe eine Krise begonnen – sowohl innerhalb der EU, weil ihr Modell transformiert werden musste, als auch im Rahmen der Nato, weil sich die Welt verändert habe, so dass die Aufgaben der Nato auch anders wurden.

„Die Identitätskrise in der Europäischen Union, die wir gerade beobachten, wird weiter andauern. Und es ist unklar, welche Form sie annehmen wird“, so der Experte. „Eine ähnliche Krise gibt es auch in den USA, die sich ihre Rolle in der Welt neu überlegen.“

Lukjanow zufolge gibt es zwischen den Ländern wirtschaftliche und politische Kontroversen. Trotz der engen Wirtschaftskooperation sind und bleiben Europa und Amerika Konkurrenten füreinander. Und im politischen Bereich verändern die Amerikaner ihr Prioritätensystem – Europa werde für sie weniger wichtig, stellte der Experte fest.

„Die Europäer wissen nicht, was sie mit diesem verworrenen Dualismus anfangen sollen. Sie sind nicht zu einer richtigen strategischen Autonomie bereit. Aber sie verstehen auch nicht, wie sie mit den USA umgehen sollten, wenn sie für Amerika nicht mehr zu den Prioritäten gehören“, so der Politologe weiter.

Unter solchen unklaren Bedingungen passen diese Beziehungen keiner der Seiten. „Amerika hat es aber leichter: Unter Trump formulieren sie ihre Aufgaben klar und deutlich – die Beziehungen mit Europa sollten für die USA lukrativ sein. Europa hat es schwerer: Einerseits will es sich nicht unter Druck setzen lassen. Andererseits spielt es ohne die USA bzw. die Nato absolut keine Rolle im Sicherheitsbereich“, stellte Lukjanow fest.

Er fügte hinzu, dass die Frage nach der Fähigkeit der Nato, ihre Funktionen im Sicherheitsbereich zu erfüllen, offen bleibe, auch wenn alle von Anfang an annehmen, dass diese Aufgaben der Allianz vorbehalten seien.

„Jetzt wird auf Macrons Initiative hin wieder über die europäischen Streitkräfte geredet. Aber das ist bei weitem nicht das erste Mal: So war das auch in den 1950er Jahren, doch dies führte bisher zu nichts. Es ist völlig unklar, wie die Nato und das transatlantische Sicherheitssystem einerseits und ein selbstständiges europäisches Sicherheitssystem andererseits einander angepasst werden könnten. Das ist unmöglich, und man müsste sich da entscheiden, aber Europa kann das nicht tun“, zeigte sich der Politologe überzeugt.

Versuche zur Überwindung der Abhängigkeit wird es nach seinen Worten voraussichtlich auch weiter geben, doch das werden Versuche einzelner Länder sein – das Weltsystem, dem die amerikanische Dominanz zugrunde liege, habe sich erschöpft.

„China und Russland erwägen inzwischen Alternativen für das Dollar-System und befassen sich mit der Frage, ob der Euro eine Reservevariante wäre. Meines Erachtens wird das alles Europa zwingen, seine besondere Position zu formulieren“, so Lukjanow weiter.

Allerdings zweifelt der Experte an der Fähigkeit der Alten Welt, im Bereich der Sicherheitspolitik selbstständig zu sein.

„Europa hat keine innere Einheit und keine Führungspolitiker, die in ihren eigenen Ländern zuversichtlich wären. Macron, der vor eineinhalb Jahren sehr gute Aussichten zu haben schien, wird inzwischen mit sehr geringen Popularitätswerten und mit etlichen Problemen konfrontiert. Merkel wird sich bald zurückziehen, und Großbritannien befasst sich mit eigenen Problemen. Was in Italien passiert, ist völlig unklar. Wie sollte da eine Führungskraft entstehen, die den strategischen Durchbruch ermöglichen würde? Das ist unklar. Der einzige, mit dem solche Hoffnungen verbunden werden könnten, wäre Macron. Aber vorerst ist er dazu nur in der Rhetorik fähig“, schlussfolgerte Lukjanow.

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