Samstag, April 20, 2024
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Wenn Sex nicht mehr Sex, sondern Gewalt ist

Auch in Österreich wird gefordert, dass ein Nein vor oder während des Geschlechtsverkehrs genügen muss.

Nur wenige Frauen trauen sich nach einer Vergewaltigung zur Polizei. Ein Gesetzesentwurf könnte Lücken schließen, doch Taten zu beweisen bleibt schwierig

Wien – Ein Nein muss genügen: Das forderten jene Feministinnen, die seit Herbst letzten Jahres Unterschriften für eine Reform des Sexualstrafrechts sammelten: Damit Vergewaltigung strafbar wird, müsse es schon ausreichen, dass Sex erkennbar

verweigert wurde, der Täter die Handlung aber trotzdem fortsetzt.

Diese Forderung findet sich nun in einem Entwurf fürs neue

Strafgesetz wieder, das derzeit in Begutachtung ist. Laut dem Paragrafen "Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung" soll jemand, der mit einer Person ohne deren Einverständnis Sex hat, bestraft werden können. Auch, wenn das Opfer "okay" gesagt hat, könnte die Tat strafbar sein – und zwar dann, wenn vor Gericht erwiesen ist, dass das Opfer zuvor eingeschüchtert wurde.

Der Beweis ist schwierig. Dennoch sahen Kritiker die aktuelle Gesetzeslage als lückenhaft an: Viele Anzeigen wegen Vergewaltigung hatten keine Folgen, weil Sex wider Willen bisher nur dann strafbar war, wenn bewiesen war, dass eine gefährliche Drohung oder tätliche Gewalt angewendet wurde. Dass erzwungener Sex an sich schon ein Akt der Gewalt ist, war durch das Gesetz nicht gedeckt. Laut Entwurf wäre jemand, der "den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung" vornimmt, auch dann strafbar, wenn keine Gewalt ausgeübt oder beispielsweise kein Mord angedroht wurde – vorausgesetzt, es mangelte am Okay des Gegenübers.

Die Novelle wäre ein Erfolg, ist Strafrechtlerin Katharina Beclin von der Uni Wien überzeugt: Die Juristin erzählt von einer verheirateten Frau, die sich aus Rücksicht auf die schlafenden Kinder weder stark gewehrt noch geschrien habe. Die Frau habe geweint und ihren Mann mehrmals darum gebeten, sie in Ruhe zu lassen – doch der habe nicht aufgehört. Im Prozess wurde der Angeklagte freigesprochen. Schuld sei eine Rechtslücke, die nun geschlossen werden könnte, glaubt Beclin.

Tatsache ist, dass Vergewaltigungen oft strafrechtlich folgenlos bleiben. Setzt man die Zahl der gerichtlichen Verurteilungen mit den Anzeigen ins Verhältnis, so lag die Quote 2003 noch bei über 20 Prozent, 2013 nur noch bei 13 Prozent (siehe Grafik links).

Zeugen gibt es fast nie

Warum das so ist? "Das wüssten wir gerne", sagt die Juristin Birgitt Haller vom Institut für Konfliktforschung – doch um der Frage wissenschaftlich nachzugehen, fehle das GELD.

Viele Fälle landen erst gar nicht vor Gericht: Es fehlt den Staatsanwälten an Beweisen. Zeugen gibt es bei Vergewaltigungen naturgemäß fast nie, meist steht Aussage gegen Aussage – und da kommt es stark auf die Glaubwürdigkeit der Beteiligten an. Hier ergebe sich ein Problem aus der hohen Belastung der Staatsanwaltschaften, sagt Beclin: Aus Zeitmangel arbeiten sie in der Regel nur mit den Einvernahmeprotokollen der Polizei, ohne die Opfer selbst noch einmal zu befragen. In diesen Protokollen, die die Aussagen laut Beclin "mal schlechter, mal besser zusammenfassen", gehe viel an Authentizität verloren. Immer wieder scheitert es aber auch am unbeholfenen Umgang der Justiz mit der Art, wie schwer traumatisierte Menschen über das ihnen Widerfahrene berichten: "Oft sprechen sie seltsam kühl über die brutalen Vorfälle – für Außenstehende mag das unglaubwürdig wirken." Oft ändert sich die Erzählweise stark, je nachdem, ob man Tage oder Monate nach dem Vorfall mit dem Opfer spricht. Strafverfahren finden aber nie zeitnah zur Tat statt. Spricht das Opfer vor Gericht anders über die Tat als vor der Polizei, heißt es wiederum: "Widersprüchlich, also unglaubwürdig."

Medizinische Befunde sind deshalb oft prozessentscheidend – wobei es hier nicht nur um Verletzungen im Genitalbereich oder um Hämatome geht: Auch kleine Punkte auf den Augäpfeln, die auf eine Strangulation hindeuten, sind ein wichtiges Indiz für Gewalteinwirkung. Doch auch nachgewiesene Verletzungen sind kein Garant dafür, dass das Opfer recht bekommt, wenn der Mann das Gericht davon überzeugen kann, dass es eben härterer Sex war.

Wenn es bisher schon schwierig war, Vergewaltigung nachzuweisen, wird Sex ohne Einverständnis noch schwerer zu beweisen sein. "Es ist ein Grundsatz, dass Strafbarkeit an äußere Erscheinungsmerkmale geknüpft ist", sagt Strafrechtsprofessor Helmut Fuchs – in diesem Fall sei das anders: Hier müsse bloß ein innerer Mangel an Einverständnis vorliegen – und das sei schwer zu beweisen.

Das sieht auch Juristin Haller so. Sie glaubt trotzdem, dass der Paragraf ein Fortschritt wäre – und zwar wegen seiner symbolischen Wirkung. "Es ist sinnvoll, ein Strafrecht zu haben, das klar sagt: Das geht, und das geht nicht."

Der Mythos, dass Frauen Männer wegen Vergewaltigung anzeigen, um sie zu verleumden, lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. Laut einer EU-Vergleichsstudie liegt die Quote der Falschanschuldigungen in Österreich bei maximal vier Prozent.

Täter aus der eigenen Familie

Auffallend ist hingegen das Missverhältnis zwischen der Zahl der Vorfälle und der Zahl der Anzeigen: Zwar gaben laut Gewaltprävalenz-Studie in Österreich sieben Prozent der Frauen an, einmal Opfer einer Vergewaltigung gewesen zu sein – doch nicht einmal jede Zehnte von ihnen traute sich zur Polizei. Oft liegt es daran, dass das Opfer mit dem Täter in einer Beziehung steht: Jeder dritte Vergewaltiger stammt aus der eigenen Familie. Nur jede zehnte Vergewaltigung wird von einem völlig Fremden begangen – wobei diese Quote, die auf Anzeigenstatistiken beruht, vermutlich nicht die Realität abbildet: Bedenkt man die Dunkelziffer an häuslicher Gewalt, ist der Anteil der Vergewaltigungen durch Unbekannte wohl noch geringer.

Die Anzeigebereitschaft ist je nach Land unterschiedlich ausgeprägt. Im Jahr 2006 kamen auf 100.000 Einwohnerinnen in Österreich 8,5 Anzeigen wegen Vergewaltigung – in Schweden waren es 46,5 Anzeigen. Oft scheitert es daran, dass Frauen, die Partnergewalt erlebt haben, diese gar nicht mehr als Straftat erkennen.

Für die Gewaltopfer sei der neue Paragraf deshalb ein wichtiger bewusstseinsbildender Faktor, sagt Beclin. Und nicht zuletzt für die Täter. "Für 90 Prozent der Männer ist es ohnehin selbstverständlich, nicht ohne das Einverständnis der Partnerin weiterzumachen", so Beclin. "Für alle anderen ist es aber wichtig, dass sie es schwarz auf weiß haben, dass das eine Straftat ist."

(Beate Hausbichler und Maria Sterkl, DER STANDARD, 4.4.2015)

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