Dienstag, April 23, 2024
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Wenn Willkommenskultur teuer wird: Flüchtlingsbürgen sollen zahlen

Sie wollten helfen, als die Not der syrischen Kriegsflüchtlinge am größten war. Nun werden sie selbst zur Kasse gebeten: Menschen, die freiwillig Bürgschaften für Flüchtlinge übernommen haben. Durch eine Gesetzesänderung wurde die gute Tat für viele zum finanziellen Desaster. Denn nun fordern Jobcenter von den Bürgen Geld zurück.

Ilona Pfeffer

10.000, 20.000, bei Manchen sogar 100.000 Euro – so teuer kann Hilfsbereitschaft und Willkommenskultur einzelne Menschen zu stehen kommen. Dabei war damals, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, alles ganz offiziell durch die Landesbehörden angestoßen worden. In allen Bundesländern außer Bayern wurde massiv dafür geworben, dass freiwillige Helfer im Rahmen der sogenannten Landesaufnahmeprogramme Bürgschaften für Kriegsflüchtlinge übernehmen, um diesen die schnelle und legale Einreise zu ermöglichen.

Mit dem Unterschreiben einer Verpflichtungserklärung übernahmen die Helfer die Aufgabe, für einen überschaubaren Zeitraum für den Lebensunterhalt der betroffenen Personen zu sorgen, nämlich so lange, bis diese als Flüchtlinge anerkannt wurden und selbst öffentliche Leistungen beantragen konnten.

Falsch beratene Bürgen
Doch dann kam die böse Überraschung: Die Jobcenter wollen von den Bürgen Geld zurück. Genauer gesagt, die Beträge, die die Flüchtlinge in Form von Sozialleistungen teilweise über Jahre hinweg erhalten haben. Eine Aufklärung über die Reichweite der Haftung haben die Bürgen vorher nicht bekommen.

„Meine Mandanten sagen, dass sie, im Gegenteil, dahingehend beraten worden seien, dass ihre Haftung ab dem Monat ende, in dem die Betreffenden als Flüchtlinge anerkannt worden sind und eine Flüchtlingsaufenthaltserlaubnis erhalten haben. Davon sind ausnahmslos alle ausgegangen. Das war auch damals die gängige Rechtsmeinung. In der Richtung haben auch die Ausländerämter, die die Verpflichtungen entgegennehmen, beraten und den Leuten unisono erklärt: Sobald die Person einen Flüchtlingsaufenthalt bekommt, endet eure Haftung“, erklärt Dr. Lothar Mahlberg. Der Bonner Rechtsanwalt vertritt eine Reihe von Bürgen, um vor Gericht die Rückzahlungsforderungen anzufechten.

Den Forderungen der Jobcenter liegt eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016 zugrunde. Diese sollte eigentlich den Bürgen zugutekommen und den zeitlichen Rahmen der Verpflichtung präzisieren, so Mahlberg.

„Forderungen in fünfstelliger Größenordnung“
„In den Formularen stand das ganz missverständlich drin: ‚Ihre Verpflichtung endet mit der Ausreise oder mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Zweck.‘ Man ist früher davon ausgegangen, dass die Flüchtlingsaufenthaltserlaubnis dieser andere Zweck ist, wenn die Einreise im Rahmen eines humanitären Aufnahmeprogramms erfolgt ist. Dann hat das Bundesverwaltungsgericht in einer zweiten Entscheidung zur Überraschung aller erklärt: Nein, das ist kein neuer Zweck.“

Daraufhin habe der Gesetzgeber eine zeitliche Begrenzung von fünf Jahren für die Verpflichtungserklärungen beschlossen. Für Verpflichtungserklärungen, die vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung abgegeben worden waren, gelten sogar nur drei Jahre. „Aber das ist immer noch ein erheblicher Zeitraum. Die Leute sind deswegen mit Forderungen in fünfstelliger Größenordnung konfrontiert“, sagt Rechtsanwalt Mahlberg.

Doch was können Betroffene nun tun? Die Bürgschaft zurückzuziehen ist rechtlich nicht möglich. Bleibt der Weg vor Gericht. Mahlberg verweist auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Wiesbaden, das für zulässig erklärt hat, dass die Bürgen ihre Verpflichtungserklärung anfechten, weil sie sich über den Inhalt und die Tragweite der Verpflichtungserklärung geirrt haben. Jedoch bleibt das Thema umstritten. Andere Verwaltungsgerichte haben sich dieser Sichtweise nicht angeschlossen.

NRW-Innenminister teilte gängige Auffassung
Lothar Mahlberg gibt sich dennoch optimistisch, was die Klagen seiner 20 Mandanten angeht:

„Ich setze den Schwerpunkt darauf, dass die Gerichte hier individuell aufklären, ob die Bürgen korrekt beraten worden sind. Meines Erachtens ist diese Sichtweise sehr lebensnah. Denn als in NRW diese Problematik hochkochte, hat der damalige Innenminister mehrere Folgeerlasse zum Landesaufnahmeprogramm herausgegeben, aus denen deutlich hervorging, dass auch er der Rechtsauffassung war, dass mit Erteilung der Flüchtlingsaufenthaltserlaubnis die Haftung endet.“

Wenn es gelänge, das Gericht davon zu überzeugen, dann würde man vielleicht tatsächlich diese Irrtumsanfechtungen greifen lassen und die Forderungen der Jobcenter als rechtswidrig bewerten.

„Das ist die Hoffnung. Ich bin auch durchaus optimistisch, dass das gelingen wird, weil ich ausnahmslos die Information von meinen Mandanten erhalten haben, dass sie in diese Richtung beraten worden seien. Wenn sich das Gericht davon überzeugt, dann sollte man die Haftung aus der Verpflichtungserklärung aus der Welt bekommen.“

Mit einem ersten Urteil rechnet Rechtsanwalt Mahlberg jedoch nicht vor Anfang 2019. Bis dahin heißt es für die großmütigen Helfer weiter Hoffen und Bangen.

Interview mit Dr. Lothar Mahlberg

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