Donnerstag, April 18, 2024
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Wie viele Juden gab es in Reichweite von NS-Verfolgung und potentieller Vernichtung?

Seit den Nürnberger Verfahren 1945-1946 gilt es als allgemein bekannt, daß die NS-Verfolgung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg fünf bis sechs Millionen jüdische Opfer zur Folge hatte. Aber bereits im Juni 1946 veröffentlichte eine Schweizerische Zeitung einen Artikel, der darauf drängte, daß ein Sonderausschuß der Vereinten Nationen die Zahl der jüdischen Opfer feststellen sollte. Der Grund für dieses Ansinnen war eine veröffentlichte Berechnung, die zeigte, daß die Zahl der europäischen Juden außerhalb der Sowjetunion, die in Reichweite der Nationalsozialisten gewesen waren, weit unter fünf Millionen lag. Bedauerlicherweise haben die Vereinten Nationen nie einen solchen Ausschuß eingesetzt. Dennoch können wir heute etwas besser als 1946 wenigstens die Zahl der Juden berechnen, die sich in Reichweite der NS-Regierung befanden. Die Hauptquelle ist ein Bericht von Himmlers Chefstatistiker, Dr. Richard Korherr (NMT-Dokument NO 5193-5196).

Laut diesem als streng geheim klassifizierten Bericht von März 1943 kamen mit der Zeit folgende Kontingente von Juden unter deutsche (oder damit verbündete oder abhängige) Jurisdiktion und wurden folglich durch eine Vernichtungspolitik oder sonstige Verfolgung gefährdet, die Hitler und Himmler zu dieser Zeit betrieben haben können:

Juden im Altreich (30. März 1933) 561.000

Juden im Sudetenland (Oktober 1938) 3.000

Juden in Österreich (März 1938) 220.000

Juden in Böhmen u. Mähren (März 1939) 118.000

Juden im Memelgebiet (1939) 3.000

Juden in Danzig (1939) 10.000

Juden in Italien (1939/40) 52.000

Juden in Dänemark (1940) *6.000

Juden in Norwegen (1940) *2.000

Juden in Belgien (1940) 80.000

Juden in den Niederlanden (1940) 135.000

Juden in Luxemburg (1940) *3.000

Juden in Tunesien (1943) *85.000

Juden in Libyen *21.000

Juden in Frankreich (1940) 280.000

Juden in Jugoslawien (1941) 75.000

Juden in Ungarn (1941) 750.000

Juden in Rumänien (1941) 302.000

Juden in Bulgarien (1941) 50.000

Juden in Griechenland (1941) 90.000

Juden in Albanien (1941) *1.000

Juden in Finnland (1941) 2.000

Gesamtzahl gefährdeter Juden in ganz unter deutscher Herrschaft stehenden oder verbündeten Ländern 2.849.000

*Zahl stammt nicht von Korherr

Der Korherr-Bericht spezifiziert nicht, wieviel Juden in den Teilen Polens und der Sowjetunion lebten, die nach und nach unter deutsche Herrschaft kamen. Wir sind daher gezwungen, diese Zahlen mit Hilfe anderer Quellen zu berechnen. Was die polnischen Juden in Reichweite der Nationalsozialisten angeht, so wurde die letzte Volkszählung in Polen vor dem Krieg 1931 durchgeführt. Dabei wurden 3,1 Millionen Juden registriert. Wir haben guten Grund zu der Annahme, daß diese Zahl bis September 1939 drastisch gefallen war, weil es nämlich wahrscheinlich ist, daß in diesen Jahren eine erhebliche jüdische Emigration aus Polen erfolgte, vor allem nachdem Hitler in Deutschland die Macht übernommen hatte (1933) und die polnische Regierung Jabotinskys Plan unterstützt hatte (1937), 1,5 Millionen osteuropäische Juden innerhalb eines Jahrzehnts nach Palästina zu überführen.1 Viele Emigranten verließen Polen wahrscheinlich in den letzten Monaten vor dem deutschen Angriff, eben weil sie einen solchen befürchteten.

So sagt z.B. Zygmunt Nissenbaum2: “Der Kriegsausbruch kam für uns nicht überraschend, wir hatten ihn schon lange befürchtet.” Dann kam die Aufteilung Polens. Laut Dabrowska, Waszak und Grynberg3 sollen etwa1.830.000 Juden auf die deutsche Seite gekommen sein – sofern jeder dort verblieb, wo er war. Korherr stellt aber fest, daß sich die Zahl polnischer Juden im deutsch kontrollierten Gebiet zwischen 1939 und 1942 um 763.000durch Emigration (im Gegensatz zu Evakuierung) und Sterbeüberschuß verringert hat. Der Hauptteil dieser Emigration ist natürlich erfolgt, bevor die betreffenden Gebiete unter deutsche Besetzung kamen, mit den bekanntlich darauf folgenden starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.

Nehmen wir daher an, daß drei Viertel, also 572.000 dieser Emigranten nie im Einzugsbereich der Nationalsozialisten waren. Wir können somit etwa 1.26 Millionen (1,830,000 – 572.000 = 1,258,000) zu der oben genannten Zahl gefährdeter Juden hinzufügen. Sicherlich müssen wir hier mit einem beträchtlichen Unsicherheitsfaktor rechnen, sagen wir ± 15 Prozent. Wir müssen noch die Zahl der Juden in den deutsch besetzten Gebieten der Sowjetunion schätzen, die zurückblieben, als alle, die fliehen konnten, vor den vordringenden Deutschen flohen.

Es ist berechnet worden, daß in den Sowjetgebieten, die im Lauf des Krieges von den Achsentruppen besetzt wurden, 3,6 Millionen Juden lebten, von denen mindestens 80 Prozent ins Hinterland der Sowjetunion evakuiert wurden.4 Folglich müssen wir weitere 720,000 (20% von 3,6 Millionen), ± 15 % zu der Zahl der gefährdeten Juden hinzufügen.

Insgesamt haben wir gefährdete Juden:

in der Sowjetunion 720.000

in Polen 1.260.000

in allen anderen Ländern 2.850.000

Gesamtsumme 4.830.000 ± 300.000

Die letzte Zahl, 4,83 Millionen (±) stellt die Höchstzahl der möglichen Opfer im Falle eines NS-Programms zur Judenvernichtung dar. Aber auch ohne irgendeine derartige Politik hätte es 1945 natürlich nicht 4.83 Millionen Überlebende gegeben. Menschen sterben im Krieg wie im Frieden an natürlichen Todesursachen. Kinder werden auch in Kriegszeiten geboren, wenngleich die Geburtenrate zweifellos niedriger liegen wird.

Angesichts dieser Faktoren darf man bei jeder der oben genannten Gruppen bis zum Mai 1945 von einer natürlichen Abnahme von einem Prozent jährlich ausgehen. Wir sollten daher 30.000 von der Zahl sowjetischer Juden, etwa 75.000 von der Zahl polnischer Juden, etwa 65.000 von der Zahl der Juden im Altreich und etwa 95.000 von der Zahl der Juden in allen anderen Ländern abziehen, das macht zusammen 265.000.

Ohne jegliche Verfolgung und ohne irgendwelche Kriegsverluste, Epidemien und Hungersnot hätten 1945 höchstwahrscheinlich etwa 4.565.000 “erreichbare” Juden gelebt. Mit dem (±) könnte es 4,25 Million als Minimum und 4,85 Millionen als oberste Grenze gewesen sein. Berücksichtigt man die recht gut gesicherte Schätzung, daß es 1945 zwischen 2,7 und 3,6 Millionen “Holocaust survivors” gab, kann die Zahl der Verluste nicht höher als etwa 2,15 Millionen (4,85 – 2,7) gelegen haben. Andererseits kann die Zahl jüdischer Kriegsverluste auch “nur” 650.000 (4,250,000 – 3,600,000) betragen haben.

Wie hoch auch immer die wirkliche Zahl sein mag – die obige Analyse erlaubt natürlich keinerlei sichere Aussage über die Todesursache selbst. Dennoch können in begrenztem Umfang Schlußfolgerungen gezogen werden. Die niedrigere Verlustzahl beträgt 15% der Gruppe der “Erreichbaren”. Diese Zahl ist vergleichbar den gegenwärtig offiziellen Verlusten an Menschenleben in der Sowjetunion (ca. 15 %), in Jugoslawien (11 %) und unter den Nichtjuden in Polen (ca. 10 %).

Angesichts der Ereignisse in diesen Ländern würde man nur bei etwa fünf bis sieben Prozent der erreichbaren Juden erwarten, daß sie durch Exekutionen oder irgendwelche Mordaktionen gestorben sind. Die verbleibende hohe Sterberate wäre auf schlimme Lebensbedingungen und allgemeine Schikanen zurückzuführen, wie sie auch in Polen und Jugoslawien oftmals herrschten. Die obere Zahl, 2,15 Millionen Verluste, oder 44 Prozent, beinhaltet, daß eine Politik betrieben wurde, die die Zahl der Juden stark verminderte.

Wenn das Ziel jedoch wirklich ein Völkermord gewesen wäre, würde man einen höheren Prozentsatz, nämlich 80 bis 90 Prozent erwarten. Daher sind wir selbst in diesem Fall zu der Annahme gezwungen, daß die NS-Politik auf weniger als die totale Vernichtung des europäischen Judentums abzielte. Jedenfalls wissen wir derzeit nicht, wo in dem Intervall zwischen 15 und 44 % die wirkliche Zahl zu finden ist. Außerdem wissen wir nicht die Zahl der Juden, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges auf der sowjetischen Seite der Front landeten und die in Stalins – und nicht Hitlers – Gewahrsam umkamen. Aufgrund der vorliegenden Untersuchung läßt sich sehr wenig darüber sagen, was Hitlers “Endlösung des Judenproblems” beinhaltete. Es ist jedoch offensichtlich, daß sie nicht die physische Vernichtung aller Juden in seiner Reichweite bedeutete. Und vor allem kann die Zahl der jüdischen “Holocaust”-Opfer nicht im Bereich von fünf oder sechs Millionen liegen, wie bisher die meisten glauben.

Anmerkungen

1 Encyclopaedia Judaica

2 “I was in the Umschlagplatz”, Dialectics and Humanism, 1989:1, S. 129.

3 W. Benz, Dimension des Völkermords, Oldenbourg, München 1991, S. 419.

4 Für Einzelheiten dieser Berechnung siehe Walter Sanning, Die Auflösung des osteuropäischen Judentums, Grabert, Tübingen, 1983

Von Carl O. Nordling

Auswanderung der Juden aus dem Dritten Reich

Die nationalsozialistische Judenpolitik war in enger Abstimmung mit den damaligen Zionistenführern bis circa 1939 auf eine weitgehende und organisierteAuswanderung der Juden aus dem Dritten Reich insbesondere nach Palästina ausgerichtet. Die Abwicklung dieser jüdischen Auswanderungsbewegung wurde ab 1933 von der Reichsvertretung der Juden in Deutschland gemeinsam mit den reichsdeutschen Staatsbehörden durchgeführt.

1933 lebten maximal 600.000 Juden im Deutschen Reich. Wären pro Jahr 100.000 Juden ausgewandert, wäre Deutschland innerhalb von nur sechs Jahren fast vollständig entjudet gewesen. Zum Vergleich: Etwa 150.000 Deutsche verlassen jährlich die Bundesrepublik Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

[Verbergen]

Vision der Zionisten

Für die Zionisten war eine Zukunft für Juden nur in einem eigenen Land, dem damaligen Palästina, denkbar. Allerdings war auch für sie die Idee, daß alle Juden Deutschland verlassen sollten, nicht vorstellbar. Sie wollten vor allem jüngere Juden für die Auswanderung gewinnen, die auch die schwere Arbeit in Palästina leisten konnten. Zur Förderung ihrer Idee hielten sie eine Zusammenarbeit zwischen der nationalsozialistischen Regierung und ihrer Organisation nicht nur für möglich, sondern für die einzig realistische Perspektive überhaupt. Und sie behielten mit ihrer Prognose recht. Im Laufe der Jahre kam es zu einer immer engeren und für die Juden, die nach Palästina auswandern wollten, überaus positiven Kooperation.

Den deutschen Institutionen lag daran, die Auswanderung so schnell wie möglich abzuwickeln. Wie bereits gesagt, fanden sich die jüdischen Gruppen und Organisationen erst nach einer gewissen Zeit bereit, aufgrund der Zeitumstände die Notwendigkeit einer Auswanderung einzusehen.

Jüdische Auswandererorganisationen

Umschulungslager im Deutschen Reich (1936)[1]

Diese Gedenktafel prangt heute in Berlin-Charlottenburg, Meinekestr. 10 und erinnert an das jüdische Palästina-Amt, das dort bis Ende 1942 die Auswanderung der Juden organisierte. Die jüdischen Auswanderungen wurden also von der „Jewish Agency“ betrieben, also jener Organisation, die heute die Holocaust-Betrugsgelder organisiert. Und das alles zu einem Zeitpunkt, an dem die Vergasung der Juden angeblich auf Hochtouren lief. Das beweist: Es gab keinen Ausrottungs-, sondern einen Auswanderungsplan. Die Inschrift der Gedenktafel wurde geändert. Ursprünglich stand da „bis Ende 1942“. Im Lexikon „Charlottenburg-Wilmersdorf von A bis Z“ kann man nämlich folgenden Satz nachlesen: „Bis Ende 1942 befanden sich hier ca. 30 zionistische Organisationen.“

Die jüdische Auswanderung koordinierten neben der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ hauptsächlich drei jüdische Auswandererorganisationen, die zum Teil schon seit Beginn des Jahrhunderts in Berlin bestanden.[2]

Der Hilfsverein für deutsche Juden war zuständig für die Auswanderung in alle Länder mit Ausnahme Palästinas. Er unterhielt zahlreiche Korrespondenten im Ausland, die die Möglichkeiten von Einwanderung und Ansiedlung, bzw. Unterbringung deutscher Juden prüften und Kontakte mit den dortigen jüdischen Organisationen aufnahmen, um den Neueinwanderern die Eingewöhnung zu erleichtern.

Das Palästinaamt, eine Abteilung der „Jewish Agency for Palestine“, beschäftigte sich ausschließlich mit der „Alija“ – wörtlich: „Aufstieg“, gemeint ist der Aufstieg nach Jerusalem als Synonym für die Einwanderung nach Palästina. Seine „Kunden“ waren vor allem jüngere Juden, die für die schwere körperliche Arbeit, die eine Ansiedlung in Palästina mit sich brachte, geeignet waren.

Eine dritte Einrichtung war die Hauptstelle für jüdische Wanderfürsorge. Die 1917 geschaffene Zentralwohlfartsstelle der deutschen Juden half in erste Linie jüdischen Durchwanderern und Binnenwanderern und baute zu diesem Zweck die „Hauptstelle für jüdische Wanderfürsorge“ auf, die sich ab 1933 um die Auswanderung nichtdeutscher, vielfach staatenloser Juden kümmerte.

Die nationalsozialistische Regierung versuchte ihrerseits die Auswanderung der ihr unerwünschten jüdischen Bevölkerung weitgehend zu fördern. Es waren vor allem zwei Abkommen, die die Auswanderung staatlich regelten: die „Haavara“ und das „Rublee-Wohlthat-Abkommen“. Die Haavara galt von 1933 bis 1941 und betraf die Auswanderung nach Palästina. Dieses Abkommen wird inzwischen in der einschlägigen Literatur regelmäßig erwähnt. Der ehemalige Direktor der Haavara, Werner Feilchenfeld, gab 1972 eine eigene Broschüre darüber heraus.

Das Rublee-Wohlthat-Abkommen hingegen wird allgemein totgeschwiegen. Es betraf die Mehrzahl der auswandernden Juden, all jene, die nicht nach Palästina gingen, sondern in ein anderes europäisches oder überseeisches Land. Das waren ca. zwei Drittel aller Auswanderungen. Das Abkommen war nur acht Monate in Geltung, dann brach der Krieg aus und die geregelte Auswanderung fand ihr Ende. Das Abkommen verdeutlicht, daß die deutsche Regierung die „Vernichtung der Juden“ nicht beabsichtigte.

Auswanderung und die SS

Von den deutschen Stellen war es – neben dem Reichswirtschaftsministerium – die SS und ihre Einrichtungen, die die jüdische Auswanderung unterstützten und förderten. In „Das schwarze Korps“, Ausgabe vom 26. September, heißt es:

„Im Rahmen seiner Weltanschauung hat der Nationalsozialismus nicht die Absicht, das jüdische Volk in irgendeiner Form anzugreifen. Die Anerkennung des Judentums als einer Rassegemeinschaft, die sich auf das Blut und nicht auf die Religion gründet, führt die deutsche Regierung dazu, die rassische Getrenntheit dieser Gemeinschaft ohne jede Einschränkung zu garantieren. Die Regierung selbst findet sich in völliger Übereinstimmung mit der großen geistigen Bewegung innerhalb des Judentums, dem sogenannten Zionismus, mit seiner Anerkennung der Solidarität des weltweiten Judentums und der Ablehnung jeglicher Überlegungen zur Anpassung. Auf dieser Grundlage unternimmt Deutschland Maßnahmen, die zukünftig bei der Behandlung des weltweiten jüdischen Problems sicherlich eine bedeutende Rolle spielen werden.“[3]

Die SS hatte sich von Anfang an darum bemüht, Einfluß auf die deutsche Judenpolitik zu nehmen. Sie empfahl die Förderung der jüdischen Massenauswanderung, warnte aber gleichzeitig davor, Druck auf diejenigen Juden auszuüben, die sich in erster Linie als deutsch, und dann erst als jüdisch empfanden. Man müsse erst einmal ein jüdisches Bewußtsein und jüdisches Selbstverständnis in ihnen wecken. Das sollte durch die Förderung jüdischer, kultureller Einrichtungen geschehen. Erst ein sich seiner Identität bewußt gewordener Jude würde auch bereit sein, Deutschland zu verlassen und in ein zukünftiges jüdisches Heimatland auszuwandern.[4]

Unter diesen Auspizien standen alle Förderungs- und Schutzmaßnahmen, die SS und Gestapo jüdischen Einrichtungen zuteil werden ließen. So seltsam es sich anhört, aber die Gestapo war damals die Adresse, an die sich viele Juden wandten, wenn ihnen von einer anderen deutschen Behörde eine Benachteiligung ins Haus stand oder sie sonst Hilfe brauchten. Als z. B. im Verlauf der sogenannten Kristallnacht, im November 1938, auch das jüdische Auswanderungsbüro in der Berliner Meinekestraße beschädigt wurde, war es die SS, die Mannschaften zum Aufräumen schickte und alles daransetzte, das Büro so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig zu machen.[5]

Eine Art Propagandaschrift für die Auswanderung nach Palästina hatte schon 1934 Leopold Edler von Mildenstein, der spätere Judenreferent der SS, verfaßt. Mildenstein fuhr 1934 nach Palästina und blieb ein halbes Jahr dort. Sein Reisebericht unter dem Titel „Ein Nazi fährt nach Palästina“ erschien in mehreren Folgen in der Goebbels-Zeitschrift „Der Angriff“ (26. Sept. – 9. Okt. 1934). Der Bericht ist sehr lebendig und anschaulich geschrieben und gibt ein interessantes Bild der Zustände im englischen Mandatsgebiet und der politischen Strömungen in Palästina Anfang der dreißiger Jahre. Er ist noch heute lesenswert. Als Verfassername benutzte Mildenstein das Pseudonym „Lim“, die ersten drei Buchstaben seines Namens, auf hebräische Art von rechts nach links gelesen.

SS und Gestapo beteiligten sich an der Einrichtung und Finanzierung von Umschulungslagern, die inzwischen in ganz Deutschland von der Zionistischen Organisation angelegt worden waren. Hier sollten vor allem junge Juden landwirtschaftliche und handwerkliche Berufe erlernen und auf das völlig andere Leben in Palästina vorbereitet werden. Teilweise stellte die SS sogar Grund und Boden für die Errichtung solcher Lager zur Verfügung. Nicosia bringt in seinem Buch „Third Reich“ eine Karte mit dem Stand vom August 1936, auf der 40 solcher Einrichtungen verzeichnet sind, die sich über das ganze Reich erstrecken, vom äußersten Norden (Flensburg bzw. Gut Lobitten, Krs. Königsberg/Ostpr.) bis in den Süden, nahe der Schweizer Grenze (Gut Winkelhof).[6]

Auch in Österreich, der damaligen Ostmark, wurden nach dem staatlichen Anschluß solche Umschulungslager eingerichtet. Adolf Eichmann, der Leiter des Wiener „Hauptamtes für jüdische Auswanderung“, setzte sich persönlich dafür ein. Er förderte auch später die illegale Auswanderung zusammen mit dem Mossad tatkräftig. Gelegentlich eskortierten SS-Einheiten jüdische Auswanderergruppen über die Grenze und sorgten dafür, daß sie ungehindert passieren konnten. Hannah Arendt war der Meinung, daß seine Bemerkung vor dem Jerusalemer Tribunal im Jahr 1960, er habe Hunderttausende von jüdischen Leben gerettet, durchaus den Tatsachen entsprach, wenn sie auch im Gerichtssaal mit Hohngelächter quittiert worden sei.[7]

Haltung Hitlers

In den Tischgesprächen zwischen dem 8. August 1941 und dem 24. Juli 1942 äußerte sich Adolf Hitler oft über die Juden und ihr Schicksal.

8.–11. August 1941:
„Wenn ein Land zu Evakuierungen ein Recht hat, so sind wir es, weil wir unsere eigenen Menschen wiederholt evakuiert haben: Aus Ostpreußen allein sind 800.000 Menschen ausgesiedelt worden. Wie empfindsam wir Deutschen sind, läßt sich daran erkennen, daß es uns ein Äußerstes an Brutalität zu sein schien, unser Land von den 600.000 Juden zu befreien, während wir die Evakuierung unserer eigenen Menschen widerspruchslos als etwas hingenommen haben, das sein muß.“
19. November 1941:
„Wenn heute einige Bürger weinten, weil Juden aus Deutschland auswandern müßten, dann sei das sehr bezeichnend für diese Kreaturen von Spießbürgern. Man müsse sie fragen, ob sie früher geweint hätten, als Hunderttausende von Deutschen Jahr um Jahr aus Deutschland auswandern mußten! Diese Deutschen hatten keine Verwandtschaft in der Welt, sondern waren ganz auf sich gestellt, während die Juden ja genügend Verwandte in aller Welt haben.“
25. Januar 1942:
„Wenn ich 150.000 Wolhyniendeutsche herausziehe, so ist das auch mit Härten verbunden wie die Räumung von Südtirol. Wenn ich heute den Juden herausnehme, dann wird unser Bürgertum unglücklich! Was geschieht denn mit ihm ? Aber haben sich die gleichen darum gekümmert, was aus den Deutschen werden würde, die auswandern mußten?“
27. Januar 1942:
„Der Jude muß aus Europa hinaus! Am besten, sie gehen nach Rußland.“
15. Mai 1942:
„Um eben denselben Juden, der damals diesen Dolchstoß geführt habe, lamentiere heute unser sogenanntes Bürgertum, wenn er nach dem Osten abgeschoben werde. Das Bemerkenswerte daran sei, daß dieses Bürgertum sich seinerzeit aber nicht darum gekümmert habe, daß jährlich 250.000 bis 300.000 deutsche Menschen aus Deutschland auswanderten und ca. 75 Prozent der deutschen Auswanderer nach Australien bereits auf der Reise starben. Keine Bevölkerungsschicht sei in politischen Dingen blöder als dieses sogenannte Bürgertum. Wenn man von Staats wegen einen ausgesprochenen Volksschädling unschädlich mache, zum Beispiel totschlage. dann schreie das ganze Bürgertum, der Staat sei ein brachialer Staat. Wenn aber der Jude den deutschen Menschen mit juristischen Spitzfindigkeiten um seine berufliche Existenz bringe, ihm Haus und Hof nehme, ihm seine Familie zerstöre, ihn so schließlich zur Auswanderung treibe, und der deutsche Mensch dann auf der Fahrt nach seinem Auswanderungsziel sein Leben verliere, so nenne das Bürgertum den Staat, in dem das möglich sei, einen Rechtsstaat, weil sich diese ganze Tragödie ja völlig im Rahmen juristischer Paragraphenmöglichkeiten abgespielt habe. Daß der Jude als Parasit der klimafesteste Mensch der Erde sei und sich im Gegensatz zum Deutschen in Lappland genauso wie in den Tropen einlebe, das bedenke natürlich kein einziger, der seine Krokodilstränen hinter einem nach dem Osten abtransportierten Juden herweine.“
29. Mai 1942:
„Ganz Westeuropa müsse deshalb nach einer bestimmten Zeit völlig judenfrei sein. Das sei allein schon deshalb erforderlich, als es unter den Juden immer einen gewissen Prozentsatz von Fanatikern gebe, der das Judentum wieder hochzubringen suche. Es empfehle sich deshalb auch nicht, die Juden nach Sibirien abzuschieben, da sie bei ihrer Klimafestigkeit dort nur gesundheitlich noch besonders gehärtet würden. Viel richtiger sei es, sie – da die Araber sie in Palästina nicht haben wollten – nach Afrika zu transportieren und sie damit einem Klima auszusetzen, das jeden Menschen in seiner Widerstandsfähigkeit beeinträchtige und damit jede Interessenüberschneidung mit europäischem Menschentum ausschließe.“
24. Juli 1942:
„In diesem II. Weltkrieg als einem Ringen auf Leben und Tod dürfe nie vergessen werden, daß das Weltjudentum nach der Kriegserklärung des Weltzionistenkongresses und seines Führers Chaim Weizmann (in seiner Botschaft an Englands Premier Chamberlain) der unerbittlichste Gegner des Nationalsozialismus, der Feind Nummer 1 sei. Geschäftlich suche das Judentum Europa, Europa müsse es aber schon aus Sakroegoismus ablehnen, da das Judentum rassisch härter sei. Nach Beendigung des Krieges werde er sich rigoros auf den Standpunkt stellen, daß er Stadt für Stadt zusammenschlage, wenn nicht die Juden rauskämen und nach Madagaskar oder einem sonstigen jüdischen Nationalstaat abwanderten.“

Hitler äußert sich also in einer Zeit, in der laut offizieller Geschichtsschreibung der sogenannte Holocaust in vollem Gange gewesen sein soll, über das Schicksal der Juden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Haltung des Auslands

Hitler hatte die mangelnde Aufnahmebereitschaft anderer Staaten kritisiert. „Kein europäischer oder überseeischer Staat aber zeigte eine Neigung, Angehörige der für ihn unbrauchbare Berufe (Handel, Banken, Gewerbe, Unternehmer, Akademiker), in denen die Masse der deutschen Juden tätig war, aufzunehmen, sofern sie nicht eigenes Vermögen oder vermögende Verwandte nachweisen konnten. Auch die Versuche des Völkerbundes, diese Einstellung zu ändern, blieben erfolglos.“ Es „kehrten tausende der 1933 geflüchteten Juden im Laufe des Jahres 1934 nach Deutschland zurück, da sie […] nirgends eine Existenzbasis finden konnten.“[8]

Die europäischen Nachbarstaaten versuchten, die befürchtete Flüchtlingsflut abzuwenden: Bei der internationalen Konferenz von Évian im Juli 1938 erklärte sich keines der 32 teilnehmenden Länder zur Aufnahme der Juden bereit. Vielmehr protestierte die Schweiz, in die viele Juden aus Österreich flohen, gegen die „Verjudung” und drohte eine allgemeine Visumspflicht an.

Polen versuchte seinerseits Juden außer Landes zu schaffen (→ Polnische Paßkrise).

Die Briten verweigerten den Juden während und unmittelbar nach dem Krieg die Einreise nach Palästina, wie die Beispiele der Struma und der Exodus (Schiff) veranschaulichen. Großbritannien wollte die Macht über Palästina nicht verlieren. Am 9. November 1938 wurde das MacDonald-Weißbuch veröffentlicht, das die judenfreundliche Balfour-Deklaration praktisch widerrief. Es schränkte sowohl die jüdische Einwanderung nach Palästina als auch die Möglichkeit, dort Land zu kaufen, substantiell ein.

Auch in Amerika war es für Juden äußerst schwer akzeptiert zu werden, wie das Beispiel der MS St. Louis zeigt.

Siehe auch

Literatur

Fußnoten

  1. aus Ingrid Weckert: Auswanderung der Juden aus dem Dritten Reich
  2. Der Hilfsverein wurde im Jahre 1901 gegründet, dessen Auswandererabteilung 1904 eingerichtet. 1917 entstand die Hauptstelle für jüdische Wandererfürsorge; das Palästinaamt der Zionistischen Vereinigung für Deutschland entwickelte sich Mitte der zwanziger Jahre.
  3. zit. nach: „Hitler und der Zionismus“ von, Francis R. Nicosia, Druffel 1989
  4. Reichsführer SS, Chef des Sicherheitsamtes: Lagebericht Mai/Juni 1934, Die Judenfrage; zit. in: Francis R. Nicosia (Hitler und der Zionismus. Das 3. Reich und die Palästina-Frage 1933-1939, Leoni 1989, S. 106
  5. Nicosia, S. 244
  6. Nicosia, S. 217. Nur in der englischen Originalausgabe; in der deutschen Übersetzung findet sich an dieser Stelle ein leeres Blatt.
  7. Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1965, S. 90, 91; Jon und David Kimche, Des Zornes und des Herzens wegen. Die illegale Wanderung eines Volkes, („The secret Roads“, dt.) Berlin 1956, S. 17, 30; für die von Kimche aufgestellte Behauptung eines Kopfgeldes, das auswandernde Juden zu leisten gehabt hätten, gibt es keinen Beweis.
  8. Hans Buchheim: „Die Auswanderung der Juden aus Deutschland zwischen 1930 und 1939“, in „Gutachten“, München 1956/57, Hrsg. Prof. Dr. Martin Broszat, Institut für Zeitgeschichte, München, Seite 82–83

Quelle: Wikipedia

Juden in Deutschland und Mitteleuropa nach 1945

In Deutschland lebten 1933 vor der Machtergreifung Hitlers 515.000 Juden. 1945 hatten schätzungsweise 5.000 bis 9.000 von ihnen den Holocaust in der „Illegalität“ überlebt, etwa 14.000 waren durch ihre Verbindung zu nicht-jüdischen Ehepartnern der Massenvernichtung entgangen, weitere 8.000 bis 9.000 hatten Todesmärsche, Konzentrationslager Transporte überstanden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die überlebenden Juden verschiedener Herkunft und Nationalität überwiegend in Lagern für „displaced persons“ untergebracht, 1946 waren das etwa 74.000 Menschen, darunter etwa 15.000 deutsche Juden. Ihr Aufenthalt galt als temporär, Rückkehrwillige aus dem Exil wurden von den politischen Repräsentanten im Westen eher entmutigt und das Central Committee for Jewish Liberatees konzentrierte sich ganz auf die Hilfe zur Auswanderung. Mit der Ära Konrad Adenauer setzte eine allgemeine Gesetzgebung zur „Wiedergutmachung“ ein, die im Wesentlichen eine finanzielle Kompensation der durch das Dritte Reich Geschädigten vorsah. Nicht wenige Juden lehnten diese Form des Umgangs mit der Vergangenheit als „Blutgeld“ ab. In den 1950er- und 60er-Jahren lebten etwa 20.000 bis 30.000 Menschen jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik Deutschland, zum großen Teil waren das Ältere und Kranke, die nicht in die USA oder nach Palästina emigrieren konnten. Vor diesem Hintergrund konstituierte sich aber langsam ein neues jüdisches Gemeindeleben, wobei die Juden osteuropäischer Herkunft in der Mehrzahl waren und die Repräsentanz überwiegend von Juden deutscher Herkunft besetzt war.

 

Juden in der DDR

In den ersten Nachkriegsjahren kehrten überwiegend kommunistische Juden in die sowjetisch besetzte Zone zurück. Nach der Teilung Deutschlands im Jahre 1949 gab es 8.000 Juden in Ostdeutschland. Die daraus hervorgegangene DDR verstand sich als antifaschistischer Staat, deren Eliten sich als radikale Opposition zum Nationalsozialismus definierten. Durch diese antifaschistische Staatsdoktrin fühlten sich Juden ermutigt, zurückzukehren. Doch hinter der Würdigung der kommunistischen Opfer und ihres Heldentums verschwand gleichzeitig der Massenmord an den Juden beziehungsweise auch die besondere Bedeutung und Singularität des Holocaust. Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit existierten offiziell nicht, jüdische Kultur, die Verfolgung und Ermordung der Juden war kein Thema, Juden waren den Kommunisten und Widerstandskämpfern gleichgestellt und also beim Bezug von Wohnungen oder bei der Ausbildung bevorzugt, die jüdischen Gemeinden klein und unbedeutend. 1979 wurden anlässlich des 30. Jahrestags der Gründung der DDR erstmalig Juden als Juden im kommunistischen Staat willkommen geheißen. Nach dem Zusammenbruch der DDR traten antisemitische und rassistische Strömungen scharf zutage.

 

Nach der Wende

1989 wurden im vereinigten Deutschland 28.000 Juden als Mitglieder der Gemeinden gezählt und weitere 20.000 bis 30.000 Nicht-Gemeindemitglieder geschätzt. Jährlich kommen ca. 10.000 Menschen, vor allem aus Osteuropa und Russland, in den Gemeinden hinzu. Seit 1991 nimmt die Bundesrepublik Deutschland Juden und ihre Angehörigen aus der ehemaligen Sowjetunion als „Kontingentflüchtlinge“ auf. Die jüdischen Gemeinden, zusammengeschlossen im Zentralrat der Juden in Deutschland, konnten an vielen Orten mit Hilfe der Zuwanderer/innen wieder aufgebaut werden; ihr großer Anteil im Gesamtverhältnis 2:1 bedeutet für die jüdischen Institutionen allerdings eine riesige Integrationsaufgabe. Binnen zwanzig Jahren ist allein die Zahl der Gemeindemitglieder von 30.000 auf 105.000 im Jahr 2005 angewachsen. Gegenwärtig ist die jüdische Gemeinde in Berlin mit 12.000 Mitgliedern die größte in Deutschland, die in Frankfurt am Main die zweitgrößte. Das Leben in den Gemeinden spiegelt eine wiederkehrende Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland wieder – von liberal bis orthodox. Allerdings ist auch der Antisemitismus in bedenklichem Umfang wieder angestiegen und mit ihm alte Vorurteile und Stereotype.

 

Juden in den Niederlanden

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zählte die jüdische Gemeinde in den Niederlanden ungefähr 140.000 Mitglieder, davon 14.500 Menschen mit deutschem Pass und 7500 Juden anderer Nationalitäten, überwiegend aus Lateinamerika. 1945 waren die niederländischen Juden nahezu ausgelöscht, ungefähr 12.000 Juden hatten in Verstecken, 10.000 bei nichtjüdischen Verwandten und 5.450 in den Konzentrationslagern überlebt, unter ihnen allen 5.000 deutsche Juden, die vor Kriegsbeginn als Flüchtlinge gekommen waren. Die jüdische Bevölkerung erhielt nach dem Krieg keine besondere Unterstützung, die Überlebenden wurden zunächst weiter nach den Rasse-Kriterien der ehemaligen Besetzer definiert. Während die Mehrheit der Bevölkerung begann, ihre aus der Situation vor der Okkupation herrührenden Unterschiede in eine gemeinsame Opferidentität umzuschreiben, blieb die jüdische Community ausgeschlossen. Erst Mitte der 1970er-Jahre setzte ein Prozess der Auseinandersetzung ein, in dessen Verlauf sich die Gesellschaft der aktiven Kollaboration und stillen Duldung bei der Vernichtung der Juden durch die Deutschen bewusst wurde. Während die jüdische Vorkriegsgemeinde wesentlich eine Arbeitergemeinde gewesen war, gehörten die Juden der 1950er-Jahre überwiegend der Mittelklasse und oberen Mittelklasse an. Infolge anhaltender Emigration nach USA, Israel, Kanada und Australien sank ihre Zahl auf unter 30.000. Seither ist die Zahl der jüdischen Bevölkerung etwa konstant geblieben; auch in kleineren Städten wurden Synagogen wieder in Betrieb genommen; die Existenz jüdischen Lebens in den 1990er-Jahren ist mit der Vielfältigkeit jüdischen Lebens vor dem Krieg aber nicht zu vergleichen.

 

Juden in Frankreich

1939 lebten etwa 300.000 Juden in Frankreich, zwei Drittel waren nicht-französischer Herkunft. Nach der Befreiung im Jahre 1944 existierten noch zwei Drittel der Vorkriegsgemeinde, überwiegend Juden französischer Herkunft. Mehr als 80.000 Juden waren deportiert und in den Konzentrationslagern ermordet worden. Die religiöse und intellektuelle Führung der Gemeinden war dezimiert, andere wollten das Land nicht wieder betreten und emigrierten nach Palästina. Trotzdem war die Situation im Vergleich zu der in anderen europäischen Ländern nicht hoffnungslos: Die jüdische Gemeinde war mit 180.000 Mitgliedern, unter ihnen 20.000 Flüchtlinge, die zweitgrößte in Europa. In den nächsten drei Jahren kamen weitere 35.000 Menschen aus den Lagern für displaced persons hinzu und Menschen, die versteckt überlebt hatten. Jüdische Organisationen verschiedener ideologischer Richtungen bildeten den Zentralverband Representative Council of French Jews CRIF, der sich die Wiedererlangung des geraubten Eigentums, die Unterstützung der Flüchtlinge und die Sorge um die Waisen und „adoptierten“ Kinder zur Aufgabe machte. In den 1950er- und 60er-Jahren wuchsen die jüdischen Gemeinden durch den Zustrom hunderttausender Juden aus dem Maghreb, die während der Unabhängigkeitskämpfe aus Algerien, Marokko und Tunesien flüchteten. Diesen Flüchtlingen war das Französische kulturell und sprachlich bereits vertraut. Als der nationale Mythos vom kollektiven Widerstand der Franzosen nach dem Tod von Charles de Gaulle Risse bekam und 1983 mit dem Prozess gegen den ehemaligen Gestapochef Klaus Barbie endgültig abbröckelte, traten auch Leugner des Holocaust wieder in den Vordergrund. 700 000 Juden lebten zu diesem Zeitpunkt in Frankreich. Die Entwicklung führte insbesondere unter den ehemaligen Kindern osteuropäischer Einwanderer zu einer Wiederbesinnung auf die Wurzeln ihrer Herkunft und Religion. Eine ähnliche Wirkung hatte dies auf die Kinder von Juden nordafrikanischer Herkunft, die eine Parallele zwischen dem Schicksal der Juden Europas und der Bedrohung des Staates Israel sahen. Die aus Nordafrika stammenden Juden stellen heute die Mehrheit in den Gemeinden. Ihre Vertreter erhielten bewusst Machtpositionen in den Gemeinden. Jüdische Kultur erlebt gegenwärtig eine Renaissance, die zu einer Wiederbelebung des Jiddischen und einem wachsenden Interesse am Bundismus (osteuropäisch jüdischer Sozialismus) geführt hat.

 

 

Autor/in: Esther Dischereit, 21.09.2006

 

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