Freitag, April 19, 2024
StartPolitikEuropa„Wirtschaftswoche“ rechnet mit Nahles und Merkel ab: „Erschütternd dämlich“

„Wirtschaftswoche“ rechnet mit Nahles und Merkel ab: „Erschütternd dämlich“

Deutet sich eine Trendwende an oder bleibt das, was die „Wirtschaftswoche“ schreibt, eine Eintagsfliege? Spektakulär ist es alle Mal, denn wann hat man zuletzt in einem Mainstream-Medium gelesen, dass Merkel dieses Land zerstört und Andrea Nahles „erschütternd dämlich“ sei? Es ist eine gnadenlose Abrechnung mit der gesamten Regierung, die in den Worten gipfelt: „Schließt den Laden jetzt bitte schnell ab!“ Die Überschrift ist noch deutlicher: „Aufhören. Neuwahlen. Jetzt.“

Anlass des medialen Wutausbruchs ist die Causa Maaßen, aber es bündelt sich ihm das gesamte Versagen der Bundeskanzlerin seit vielen Jahren. Der Autor, Dieter Schnaas, beginnt mit dem Trauerspiel, das Merkel, Nahles und Innenminister Horst Seehofer, bieten: „Drei Politiker strampeln sich im Treibsand ab – und die Deutschen drehen sich weg, zu Recht. Und bevor sie sich weiter der AfD zuwenden, liebe Großkoalitionäre: Schließt den Laden jetzt bitte schnell ab!“ Der Brief, den die Sozialdemokratin zuletzt an ihre Unionskollegen geschrieben habe, um das Ergebnis im Fall des Verfassungsschutz-Präsidenten neu zu verhandeln, nennt er „erschütternd dämlich“. Die einzige Botschaft sei, „ihr doch bitte den SPD-Vorsitz – und ihnen allen die Macht – zu erhalten“.

„Deutschland kann auf Merkels Gaben, Talente und Dienste verzichten“

Dann wendet sich die Zeitung der Kanzlerin in Worten zu, die in Zeiten der freiwilligen Gleichschaltung und Hörigkeit einer Revolution gleichen: „Deutschland kann auf Merkels Gaben, Talente und Dienste verzichten. Die Kanzlerin hat dem Land nichts mehr zu geben.“ Merkel mache „nichts Gutes“. Sie sei die einzige, die „noch das ‚absolut sichere Gefühl‘“ habe, „das Land entwickle sich zu seinem Besten.“ Merkel erzeuge „ein politisches Vakuum, trocknet alle Zuversicht aus – und nicht-regiert demonstrativ ein demokratiemüdes Land“.

Die Kanzlerin verstehe einfach nicht, dass Krisen nicht dann entstehen, „wenn Realitäten sich ändern – sondern wenn Erwartungen enttäuscht werden.“ Und dann zählt Schnaas auf, welche „Minimalerwartung der Deutschen“ an die Kanzlerin nicht erfüllt werden:  Dass diese am „Wohlstand für alle“ arbeite. Und: „Dass Lohneinkommen so gut wie Kapitaleinkommen steigen. Dass Digitalkonzerne anständig Steuern bezahlen. Dass die Alten anständig versorgt werden. Dass die polizeiliche Bearbeitung eines Diebstahls oder Wohnungseinbruchs wenigstens ein bisschen Aussicht auf Erfolg hat. Dass Richter nicht vor lauter Überlastung weiße Fahnen hissen. Dass die Bildungschancen einigermaßen gleich verteilt sind. Dass man von seiner Rente leben kann, wenn man 35 Jahre gearbeitet hat. Dass die Infrastruktur gut in Schuss ist. Dass das organisierte Verbrechen sich nicht auf offener Straße seiner Geschäftserfolge erfreuen kann so wie zuletzt bei der Beerdigung eines ermordeten Clanmitglieds in Berlin.“

„Merkel lag immer verlässlich daneben“

Es ist eine Aufzählung des Schreckens, und verantwortlich dafür macht die „Wirtschaftswoche“ Angela Merkel. Der Abstieg der Volksparteien, die Wut „besorgter Bürger“ und das „ausgehöhlte Vertrauen in die Institutionen und Funktionseliten unserer Demokratie“ habe weit mehr Ursachen als das Komplett-Versagen in der Migrationsfrage:  Es habe „mit der Bankenrettung, mit der Euro- und Flüchtlingspolitik und auch mit den Echokammern der Sozialen Medien“ zu tun. Hauptgrund sei aber das „Verschwinden aller Politik unter Kanzlerin Angela Merkel – mit der systematischen Enttäuschung aller Minimalerwartungen“. Das Vertrauen in die politische Kaste sei in den 13 Jahren Merkel-Kanzlerschaft „dramatisch gesunken“.  Und das, „obwohl das Land so wenig Arbeitslose zählt wie lange nicht. So viele Beschäftigte zählt wie nie zuvor. Was für ein Kunststück.“

Merkel habe all die Jahre „mit den wenigen Überzeugungen, die sie besaß, verlässlich daneben“ gelegen: Irak-Krieg, Atomausstieg, Bankenrettung. „Sie hat gemeint, Deutschland mit dem Dublin-Abkommen Migranten vom Leib halten zu können und Zehntausende ungeprüft ins Land durchgewunken.“

Man müsse ihr aber lassen, dass sie trotz dieser Negativ-Bilanz „weite Teile des Journalismus beherrscht und damit den Zeitgeist: den Journalismus, der ihr zielloses ‚Auf-Sicht-Fahren‘ als höhere Einsicht in die Unmöglichkeit feierte, liberale Gesellschaften politisch steuern zu wollen“. Die Medien feierten den „Abbau alles Verbindlichen und Werthaltigen“, die Egalisierung von Lebensstilen und die „Nivellierung von Qualitätskriterien“. Sie arbeiteten „an der Tolerierung noch des Dümmsten, Niedrigsten und Gemeinsten. Anders gesagt: Man hat Merkels Politik als ‚Facebook‘-Politik zu verstehen: Auch der Kanzlerin kommt es nicht auf den Enthusiasmus der Bewegten, auf ein Feuerwerk starker Argumente an, sondern auf die passive Zustimmung ihrer, nunja: Fans – auf ein träges, möglichst gleichgültiges ‚Like‘, sprich: Kreuzchen ihrer Wähler.“

„Merkels Kaltschnäuzigkeit macht sprachlos“

Mit „einer Kaltschnäuzigkeit, die beinahe sprachlos macht“, habe „Merkel seit Jahren maßgeblich zu instabilen Verhältnissen“ beigetragen, „zu deren Beseitigung sie sich den Wählern anempfiehlt“. Die Kanzlerin müsse „sich nicht nur den Vorwurf gefallen lassen, den politischen Streitraum im Namen des Konsenses, der Alternativlosigkeit und des Machterhalts gefährlich verengt zu haben. Sondern sie hat auch, um eine geschrumpfte Union als 30-Prozent-Hegemon zu etablieren, im Westen der SPD (fast) alle Machtperspektiven beraubt – und im Osten mittlerweile die Hälfte aller Menschen gegen die ‚Bonner Parteien‘ aufgebracht: Hier ist die Spaltung der Gesellschaft längst zur politischen Elementartatsache geworden.“

Ob diese Einsicht eines „Qualitätsmediums“ der Beginn eines generellen Wandels des Merkel-hörigen Journalismus ist, scheint zweifelhaft. Wahrscheinlich bleibt es der weitgehend ungehörte Ruf in der Medienlandschaft – oder nennen wir es beim Namen: der langweiligen, immer gleichen Wüste. (WS)

Den Beitrag aus der Wirtschaftswoche finden Sie hier.

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