Mittwoch, April 17, 2024
StartPolitikWoher kommt die Wut? – Parteienexperte sieht die Schuld in Merkels Arroganz

Woher kommt die Wut? – Parteienexperte sieht die Schuld in Merkels Arroganz

Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist bei ihrem Wahlkampfauftritt in der sächsischen Kleinstadt Annaberg-Buchholz von den Demonstranten massiv beschimpft worden. Für die heftigen Reaktionen sei die Kanzlerin selbst verantwortlich, sagt der Politikwissenschaftler von der TU Dresden, Prof. Dr. Werner Patzelt.

Über 150 Personen empfingen die Kanzlerin mit einem ohrenbetäubender Lärm, Trillerpfeifen-Konzert und riefen „Haut ab, haut ab!“ Auf den Plakaten und Bannern war u.a. „Nicht meine Kanzlerin“, „Volksverräter“ oder „Merkels DDR 2.0“ zu lesen. Die lauten Demonstranten werden von weiten Teilen der Medien zu der rechten PEGIDA-Bewegung und zu AfD-Anhängern gezählt.
Die Protestler seien Leute, denen insbesondere die Einwanderungspolitik der Kanzlerin Merkel missfallen hat, erklärt der Politikwissenschaftler von der TU Dresden, Prof. Dr. Werner Patzelt:

„Diese Leute sind auf die Kanzlerin sauer, weil sie auf ihre Besorgnisse mit Aussagen, es seien nur Dummköpfe, die Kälte und Hass im Herzen tragen, reagiert hat. Und wenn man den Leuten zuruft: Ihr seid  ein Pack, dann muss man sich nicht wundern, dass eine entsprechende Reaktion folgt.“

Proteste gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (Archivbild)
© REUTERS/ Matthias Schumann

Das habe die Sachsen, die nicht minder stolz auf ihr Land sind als die Bayern, zutiefst verletzt und verärgert, bemängelt der Wissenschaftler von der TU Dresden.

Doch, dass die Kanzlerin dabei ihre Politik um 180 Grad gedreht habe, sei bei den Protesten unter den Tisch gefallen, bemerkt Patzelt im Sputnik-Interview. Angesichts der schreienden Massen verteidigte die Kanzlerin die Flüchtlingspolitik ihrer Regierung: „Wir haben gezeigt, dass wir bereit sind, Menschen zu helfen, die in Not sind. Das war ein gutes Stück Deutschland in einer humanitären Notlage.“ Ein Jahr wie 2015 solle und dürfe sich aber nicht wiederholen, sagte Merkel.

Somit habe sie das lediglich unterlassen zu erwähnen, dass sie 2015 einen Fehler gemacht hat, bemerkt der Politologe: „Vielmehr setzt sie darauf, dass die Leute eine Kurskorrektur schätzen werden, so wie man Kurskorrekturen bei der Atomkraft, bei der Energiewende, bei der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, bei der Einführung eines Mindestlohns in Deutschland auch zu akzeptieren hat.“

Es sei jedoch nichts Neues, dass Kanzler und Kanzlerkandidaten der Union auf intensiven Widerstand treffen, erklärt Prof. Dr. Patzelt: „Bundeskanzler Kohl wurde z.B. beim Auftritt in Halle mit Eiern beworfen.“ Das Neue sei aber, dass der Protest sich nicht von links gegen die Kanzler oder Kanzlerkandidaten richtet, sondern von rechts, stellt der Parteienforscher fest: „Der Protest von links wurde immer verstanden. Protest von rechts stößt auf einen Widerstand und große Kritik, weil ja die Union der am rechtesten stehende, legitime Teil des deutschen Systems ist. Und keiner rechter als die Kanzlerin stehen dürfe“,  so verdeutlicht der Politologe den Status quo in Deutschland.

Es gebe aber Leute, die sich rechter als Merkel empfinden, die ja ganz im Wesentlichen zur Sozialdemokratisierung ihrer Partei (CDU) beigetragen habe und dass man diese Position rechts der Kanzlerin als illegitim erachtet, erzeuge eben unglaublich viel an Wut und der inneren Bereitschaft, sich auch sehr ungebührlich zu verhalten, erklärt der Wissenschaftler.

Die Kritik gegen die Kanzlerin komme aber nicht nur von rechts, betont der Experte. Merkel habe mit der Öffnung der Grenzen für Geflüchtete, die lange Zeit nach einem Dauerzustand aussah, quer über die deutsche Gesellschaft, Bestürzung und Verunsicherung herbeigeführt, auch aus der Mitte der Gesellschaft: „Auch im Ausland fragte man sich, ob die deutsche Politik nicht jetzt auf einen Hippie-Stil eingesprungen ist.“

Merkel ging gleich zu Beginn auf die Demonstranten ein und sagte: „Manche können nur schreien, manche wollen etwas bewegen, andere rufen nur.“ Als eine eher „übliche, hilflose und etwas von oben herab klingend“, bewertet der Politikwissenschaftler die Aussage der Kanzlerin und verweist auf ihre Vorgänger, wie den Altkanzler Helmut Kohl (CSU), der in solchen Situationen gerne zu sagen pflegte: „Schreit nur! Eines Tages werdet ihr alle gute CDU-Wähler werden.“ Merkel habe sich nun festgelegt, dass sie immer Recht hat, ganz gleich wohin sie das Staatsschiff steuere, so der Parteienexperte.Während des Auftritts der Kanzlerin in Sachsen wurden mehrere Platzverweise von der Polizei gegen Protestierende ausgesprochen und insgesamt neun Straftaten registriert. Darunter zweimal das Zeigen des Hitlergrußes, drei Beleidigungen, drei Verstöße gegen das Versammlungsgesetz sowie einmal Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, teilte die Polizei mit.

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