Freitag, April 26, 2024
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DDR-Rente: „Fiese GroKo: Erst Versprechen, dann brechen“ – Menschen im Osten sauer

Im Osten haben aktuell über 1,3 Millionen Menschen Anspruch auf Zusatzrenten aus DDR-Zeiten. Die ostdeutschen Bundesländer kostet das jährlich etwa 2,8 Milliarden Euro. Der Bund beteiligt sich auch künftig nicht an diesen Kosten. „Das ist mal wieder typisch GroKo“, kritisieren aktuelle und frühere Spitzenpolitiker der Linken gegenüber Sputnik.

Das sei „typisch für die Große Koalition, die wir jetzt haben: Viel versprochen, und im Koalitionsvertrag ist dann nichts konkretes mehr dazu zu finden“, kritisierte Martina Bunge im Sputnik-Interview. Die Politikerin der Linken und frühere Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern für die PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus) reagierte damit auf aktuelle Aussagen des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU).

„Zur Wahrheit gehört, dass wir zurzeit noch nicht die finanziellen Mittel dafür zur Verfügung haben“, sagte der Politiker der Großen Koalition (GroKo) am vergangenen Samstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur DPA in Berlin. Damit werde der Bund die neuen Länder auch künftig bei den DDR-Sonder- und Zusatzrenten finanziell nicht entlasten.

„Unfrieden im Osten“: Viele Berufe betroffen
Es sei bei der „Rentensache für die Ostdeutschen immer so, dass das hinausgezögert wird“, ergänzte die frühere Ost-Ministerin. „Man kann die Leute auch verstehen, dass sie langsam sauer sind. Das macht diesen Unfrieden im Osten aus. Das ist die Stimmung im Osten. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich.“

Rund 1,3 Millionen Menschen bekommen laut Medienberichten Geld aus Töpfen der Sonder- und Zusatzrentensysteme der DDR. Darunter fallen einerseits ehemalige Bedienstete der früheren „Nationalen Volksarmee“. Ebenso Polizeibeamte oder Mitarbeiter der Feuerwehr, die in der Republik tätig waren. Und es werden nicht so schnell weniger, wie alle immer tun. Bezahlen müssen großenteils die neuen Bundesländer. Für die fünf Ost-Flächenländer exklusive Berlin sind das etwa 2,8 Milliarden Euro Kosten jährlich.

„Wählertäuschung durch die GroKo“: Lösung in Sicht?
„Aus unserer Sicht ist das nichts anderes als Wahltäuschung und Wählertäuschung“, sagte Susanne Schaper, Landtagsabgeordnete der Linken im Dresdner Parlament, gegenüber Sputnik. „Es wird sich unter dieser Bundesregierung offensichtlich nichts ändern. Sie hüllen das nur wieder in irgendwelche Floskeln ein.“ Die Sozialpolitikerin beschrieb das System der DDR-Renten.

„Die Zusatzversorgungssysteme sind das, was den wesentlichen Anteil ausmacht. Da haben viele Berufsgruppen Ansprüche erworben. Wie zum Beispiel Apotheker, Ärzte, Künstler, Schriftsteller, Ballett-Mitglieder, Ingenieure, Lehrer und LPG-Vorsitzende.“

All diese Berufsgruppen beziehen Zusatz-Rentengelder, die sich aus besonderen Tätigkeiten zu DDR-Zeiten ergeben.

Der Bund trägt anteilig 40 Prozent der Kosten für diese DDR-Sonderrenten, die Länder übernehmen die restlichen 60 Prozent. Diese Renten sind nicht in der regulären Rentenversicherung gelistet, sondern werden vom Staat in einem komplizierten Verfahren finanziert. „Der Bund erstattet quasi der Rentenversicherung dieses Geld aus Steuermitteln“, erklärte die sächsische Sozialpolitikerin. „Einen Teil holt er sich von den Ländern zurück, darunter 60 Prozent der Ausgaben für die Zusatzversorgung sowie für die Sonderversorgung. Kurzum: Die Länder tragen den Löwenanteil der Kosten.“ Ostdeutschland belaste das bis heute enorm.

„Das ist ja wohl krank“: Rentenumlage West
„Wissen Sie, was die Länder machen?“, fragt die ehemalige Ministerin Bunge. „Die müssen das an die Bundeskasse überweisen, und die überweist das an den Rentenversicherungsträger. Das ist ja wohl krank.“ Die Pressestelle der „Deutschen Rentenversicherung“ (DRV) erklärte auf Sputnik-Anfrage das Prozedere. „Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist als Empfänger der Erstattungsleistungen naturgemäß eingebunden“, heißt es in der Antwort von einem Mitarbeiter aus dem Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DRV. „Der Bund erstattet der DRV Bund die Aufwendungen einschließlich der Verwaltungskosten, die ihr aufgrund der Überführung von Leistungen nach dem Gesetz (…) entstehen. Das Bundesversicherungsamt führt die Abrechnung durch und setzt die zu zahlenden Vorschüsse fest. Es stellt darüber hinaus den auf das jeweilige Bundesland entfallenden Anteil an dem Erstattungsbetrag nach dem Verhältnis fest.“

„Nicht zuständig“: Ostländer zahlen drauf
Die neuen Länder müssen laut Medienberichten jährlich rund 2,8 Milliarden Euro in ein Rentensystem einzahlen, für das „sie eigentlich gar nicht zuständig sind“, weiß der MDR zu berichten. Das System sei „eine DDR-Hinterlassenschaft, die stark unterschätzt wurde“. Im Koalitionsvertrag ist zu lesen, der Bund wolle seinen Anteil an den Aufwendungen erhöhen. „Wir wollen schrittweise einen höheren Anteil für Ansprüche aus DDR-Sonder- und Zusatzversorgungssystemen übernehmen und damit die ostdeutschen Bundesländer entlasten“, heißt es im Koalitionspapier.

Konkrete Zahlen dazu fehlen aber. Nun kommt noch die Aussage des neuen Ostbeauftragen der GroKo dazu. „Übersetzt heißt das doch, dass höchstwahrscheinlich gar kein Geld kommt“, kommentierte Schaper. Das sei übliche Praxis der GroKo. Diese belaste die finanziellen Etats der ostdeutschen Länder sehr.

„Absolut hohe Kosten“: Geld fehlt im sozialen Bereich
„Sachsen musste allein 2017 – die Zahlen haben wir aktuell abgefragt – insgesamt 802 Millionen Euro für die Zusatz- und Sonderversorgung aufbringen“, berichtete die 1978 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geborene Politikerin der Linken. „Also fast eine Milliarde Euro. Das sind absolut hohe Kosten, wenn man bemerkt, dass der sächsische Landeshaushalt pro Jahr etwa 19 Milliarden Euro umfasst.“ Das stehe in keinem Verhältnis und falle „eigentlich in die Zuständigkeit des Bundes“.

Der Bund müsse seine Aufgaben wahrnehmen und die Länder entlasten. Es gebe keinen Grund, das den ostdeutschen Bundesländern aufzubürden. „Man könnte das Geld, was das Land sparen würde, in wesentlich sinnvollere Sachen investieren: Es geht bei Krankenhausinvestitionen los und hört bei den Schülern nicht auf.“ Geld fehle im sozialen Bereich, in der Bildung, bei Kultur oder bei infrastrukturellen Projekten.

„Rentengesetz war Mauschelei“: Kein Geld vom Bund?
„Ich war damals 1990 und 1991 beim Schaffen des Rentenüberleitungsgesetzes in Bonn dabei“, erinnerte sich Ex-Ministerin Bunge an die Zeit, in der die rechtlichen Grundlagen für das heutige Problem geschaffen wurden. „Seither bin ich stinksauer. Mir als Politikerin wurde permanent vorgehalten, man muss das immer ordnungspolitisch korrekt machen.“ Die gesetzlichen Regelungen seien aber von Beginn an „eine Mauschelei“ gewesen.

„Das waren keine Renten.“ Sondern es seien Geldtöpfe zur Altersabsicherung „für die technische, wissenschaftliche und künstlerische Intelligenz der DDR“ gewesen. „Was hier fabriziert wurde, ist wirklich überhaupt nicht ordnungspolitisch korrekt. Alle in der DDR existierenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme wurden in die gesetzliche Rente gesteckt. Gut, das war damals eine politische Entscheidung. Aber dann diese komische Finanzierung zu machen …“

Diesen Schritt könne sie bis heute nicht verstehen. „Das ist so ein Bruch der Ordnungspolitik gewesen. Und dann sagte man noch: Macht mal mit, ihr Ost-Länder. Das ist so fies. Und jetzt zu versprechen: ‚Wir helfen euch und wir übernehmen was.‘ Eigentlich müsste der Bund alles übernehmen.“

Widerstand: „Kann Krankenschwester mit 600 Euro leben?“
Sie habe von Anfang an gegen dieses Gesetzesvorhaben protestiert – und dafür heftigen Gegenwind bekommen. „Es ging dann weiter, dass ich gemaßregelt wurde. Bloß, weil ich von den Linken – damals noch von der PDS kam – und aus der Opposition kam.“ Ihr wurden in ihrer Amtszeit (1998 bis 2002) als Sozialministerin in Schwerin sogar Probleme „mit Alkohol und Männern“ nachgesagt. „Ich wurde von den jeweils Regierenden attackiert. Was wurde mir nicht alles gesagt: Zweckgebundene Steuern gehen ordnungspolitisch nicht.“

Diese Diskussion habe sie ihr gesamtes politisches Leben lang nicht vergessen. Durch das Gesetz sei viel Unrecht geschaffen worden. „Besonderheiten für DDR-Berufsgruppen wie Krankenschwester, Eisenbahner oder Bergarbeiter wurden nicht beachtet“. Insbesondere die Krankenschwestern „hatten in der DDR einen Erhöhungsfaktor, weil sie so wenig verdient haben. Die kriegen heute teilweise nur 600 bis 800 Euro Rente. Können Sie mir sagen, wie sie davon leben können? Wenn die nur einen kleinen Zuschlag kriegen würden, wäre das gut.“ Doch nicht mal solch ein kleiner Zuschlag sei in der heutigen Bundespolitik drin.

„Lebensleistung Ost anerkennen“: Fast 30 Jahre Kampf
Als Landesministerin habe Bunge versucht, im Bundesrat eine Initiative zu starten, um für die genannten Berufsgruppen in der DDR zusätzliche Rentenbezüge zu bewilligen. „Damals hatte meine damalige Finanzministerin (SPD-Politikerin Sigrid Keler, Anm. d. Red.) gesagt: ‚Sie spinnen wohl! Wir müssen doch schon Millionen von D-Mark bezahlen.‘ Da habe ich ihr erstmal das System erklärt.“

Dennoch sei es zu keiner Lösung gekommen. „Fast 30 Jahre sind wir von den Linken aktiv bei diesem Thema.“ Es sei skandalös, dass bisher noch keine Bundesregierung seit der Wende sich ernsthaft dieses Problems angenommen habe. Die gebürtige Leipzigerin habe sich sozialpolitisch stets dafür eingesetzt, dass „die Lebensleistung Ost anerkannt wird. Das muss sich auch in der Rente ausdrücken. Und zwar für alle, die Ansprüche haben. Die Einheit Deutschlands erreicht man so nicht.“

Wird Kretschmer sich mit Merkels CDU anlegen?
Aktuell besteht bei allen Landesregierungen der Ost-Länder Handlungsbedarf, meinte Sachsens Sozialpolitikerin Schaper. So müsse auch die Dresdner Staatsregierung aus CDU und SPD reagieren. „Wir sind der Meinung, dass die Bundesländer Verhandlungsdruck aufbauen müssten“, forderte die ausgebildete Krankenschwester. Da sei vor allem Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) „in der Pflicht. Aber ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er den Mut und den Hintern in der Hose hat, sich in den Konflikt mit seiner Bundespartei zu begeben.“

Alexander Boos

Interview mit Susanne Schaper (Partei Die Linke)

Quelle!

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