Samstag, April 27, 2024
StartPolitikDer Schulz-Effekt und der Quandt-Effekt: Wahlen sind dem Stockholm-Syndrom ähnlich

Der Schulz-Effekt und der Quandt-Effekt: Wahlen sind dem Stockholm-Syndrom ähnlich

Die Wahlen an der Saar sollten die Probe auf den Schulz-Effekt sein. Was das Auftauchen von Martin Schulz aus den dunklen Tiefen der Eurokratie bewirkt hat, ist eine höhere Wahlbeteiligung als bei den letzten Landtagswahlen. Ähnlich wie bei sportlichen Ereignissen ist es auch bei Wahlen so, dass der neue Stürmer-Star den Besuch im Stadion anregt.

Aber ansonsten hat Schulz für die SPD im Saarland einen Erfolg in den Umfragen bewegt. Träumereien von einer rot-roten Koalition, die vom Saarland aus die Bundeseben erreichen könnte sind vorläufig begraben. Nicht Umfragen bewegen die Politik. Nur politische Bewegungen ändern politische Verhältnisse. Wahlen sind nicht wesentlich mehr als der Test für den politischen Reifegrad der wählenden Bevölkerung. Aber eben auch nicht weniger.

Wie Schiffe auf hoher See begegneten sich jüngst zwei Nachrichten auf dem Medien-Meer: Die Geschwister Stefan Quandt und Susanne Klatten werden in Kürze mit mehr als einer Milliarde Euro Dividende aus ihrem BMW-Besitz überschüttet. Und: In brave Kameras erzählt die Arbeitsministerin Nahles von einer „verfestigten Ungleichheit bei den Vermögen“. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens. Ein Tuten hallte über das Wasser. Dann fuhr das eine Schiff in diese, das andere in jene Richtung. Als hätten sie nichts miteinander zu tun.

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Die Quandts sind eine weit verzweigte Sippe. Zurückzuführen lassen sich die Zweige auf Günther Quandt. Der wurde gut reich durch die „Arisierung“ jüdischer Unternehmen, als Produzent von Rüstungs- und Industriegütern in der Nazi-Zeit und durch die brutale Ausbeutung von Zwangsarbeitern. Zwar wurde er auf Anordnung der US-Militärregierung verhaftet und blieb zwei Jahre interniert. Aber der Kriegsverbrecher Quandt entkam der blinden alliierten Justiz. Er wurde 1948 zum „Mitläufer“ erklärt. Alles Geld der Quandts ist verzinstes Blutgeld.

Einem der Quandt-Erben, Sven Quandt, fielen dazu diese Sätze aus dem Mund: „Wir haben ein Riesenproblem in Deutschland: Dass wir nie vergessen können. In der Familie … und wir haben über die Themen oft genug gesprochen … Wir finden es aber schade, denn es hilft Deutschland unheimlich wenig weiter. Je mehr wir […] da drüber nachdenken und daran erinnert werden alle, genauso wird man im Ausland daran erinnert. Und wir müssten endlich mal versuchen, das zu vergessen“. UNHEIMLICH ist das Wort: Leider hat niemand den Quandt zu einem Todesmarsch zum KZ Bergen-Belsen befohlen, wie es jenen VARTA-Zwangsarbeitern geschah, die den Erben Sven und Sonja Quandt das VARTA-Erbe erst ermöglichten. Unheimlich auch, dass die bewährte Firma erst die U-Boote der Nazi-Marine und später die U-Boote der Bundesmarine mit Batterien ausrüstete.

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„Sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich zu groß und wird erworbener Reichtum als überwiegend leistungslos empfunden, so kann dies die Akzeptanz der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verringern“, heißt es im jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung. Der Satz sollte den Konjunktiv nutzen: Die gesellschaftliche Unordnung, die das unrechte Gut oben schwimmen und die jene ohne Güter ersaufen lässt, „könnte“ die Akzeptanz der Unordnung verringern. – Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besäßen mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens, sagt Arbeitsministerin Nahles. Was sie nicht sagt: Dass fast zwei Millionen Kinder und Jugendliche im Hartz IV-Ghetto leben. Dass sie, wenn sie unter 17 Jahre alt sind, ganze 306 Euro monatlich zugewiesen bekommen. Dass die Menschenwürde ihrer Mütter mit 409 Euro monatlich beziffert wird. Und dass im Jahre 2015 rund 12,9 Millionen Menschen in Deutschland unter der Einkommens-Armutsgrenze lebten, das fügt der PARITÄTISCHE Gesamtverband hinzu.

Manchmal muss man dem Bayerischen Rundfunk dankbar sein. In Vorbereitung der Saarland-Wahlen verwies er den Schulz-Effekt ins Reich der religiösen Legende: „Ähnlich wie wir unsere Zeitrechnung einteilen in vor und nach Christi Geburt, kann man Umfragewerte zurzeit einteilen in vor und nach Martin Schulz. Bevor der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments im Januar designierter SPD-Chef und Kanzlerkandidat wurde, standen die Sozialdemokraten im Saarland bei 26 Prozent. Die jüngste Umfrage von Infratest dimap sieht sie bei 34 Prozent.“ Der Effekt, so sagen Martin Schulz und Frau Nahles übereinstimmend, läge nicht im Kippen, sondern im Nachjustieren der Agenda 2010. Es geht dabei also auf keinen Fall um mehr Arbeitsplätze sondern um mehr Almosen. Der „Effekt“, sagt Wikipedia, sei mit „Wirkung“ zu übersetzen. Was er bisher bewirkt – darin einem Vollrausch durchaus ähnlich – ist eine Aufhellung der Stimmung für die SPD.

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Der Schulz-Effekt ist nur durch ziemlich verzweifelte Hoffnungen auf irgendeine soziale Besserung zu erklären. Denn ob Nahles oder Schulz, beide waren in unterschiedlichen Ämtern und Funktionen brave Parteisoldaten der Sozialdemokratie. Jener Partei, von der die Agenda 2010 nicht nur erfunden, sondern in unterschiedlichen Koalitionen auch exekutiert wurde. Der Schulz-Effekt ist also nur eine Unterart des Stockholm-Syndroms. Jenes psychologischen Phänomens, bei dem die Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Das kann dazu führen, dass die Opfer mit den Tätern sympathisieren und mit ihnen kooperieren. Fraglos wurden und werden erheblich Teile der sozialdemokratischen Wähler in Geiselhaft genommen. Und weil der maximale Kontrollverlust bei einer Geiselnahme nur schwer zu verkraften ist, redet sich das Opfer ein, es sei zum Teil auch sein Wille, und identifiziert sich mit den Motiven der Entführer: Bis heute wird ja behauptet und offenkundig geglaubt, die Agenda 2010 – von der SPD erfunden, von der CDU mit Begeisterung umgesetzt – sei gut für „Deutschland“.

Quelle: Sputniknews, Quelle: rationalgalerie.de

Die Meinung des Autors muss nicht mit dem Standpunkt der Redaktion übereinstimmen.

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