Freitag, April 26, 2024
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EXKLUSIV: NEOPresse aus Lesbos – „Wir sind nicht eure Resteverwerter!“

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Als die Fähre nach Kavala am späten Vormittag in den Hafen von Mytilene einläuft, der Hauptstadt der griechischen Insel Lesbos wo hunderttausende Flüchtlinge und Migranten im Jahr 2015 angekommen sind, bricht auf der PromenadeFehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2) Hektik aus. Viele Menschen haben auf Parkbänken die Nacht verbracht, obwohl es Mitte Dezember war und die Temperatur in der Nacht auf unter

10°C. sinkt.

Alte Menschen, junge Menschen, Kinder. Diejenigen die am Hafen sind, haben den Registrierungsprozess in dem grossen Flüchtlingslager Kara Tepe hinter sich gebracht und können offiziell die weitere Reise antreten. Für knappe 50€ pro Person haben sie sich ein Ticket für die Überfahrt auf das europäische Festland gesichert und freuen sich auf die Weiterreise.

Den Morgen habe ich in Gesprächen mit Dutzenden Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern verbracht um ihre Geschichte zu erfahren. Die Wenigsten wussten was sie auf ihrer Weiterreise nach Deutschland, Niederlande, Frankreich oder Schweden erwartet, dass sich Europa versucht immer mehr abzuschotten. Natürlich wollten sie von mir hören wie Deutschland ist, was die Deutschen über sie denken, ob sie wirklich mit offenen Händen empfangen werden.

 

Nachdem ich aber ihre Geschichte und Erlebnisse gehört habe, nachdem sie mir von ihrer Todesangst auf dem Schlauchboot bei der Überquerung der Meerenge zwischen der Türkei und Lesbos erzählt haben, von den türkischen Schmugglern die sich noch ein Extrageschäft nebst den 1200 US-Dollar/Person für das Schlauchboot machen, indem sie scheinbar wahllos die völlig schutzlosen Menschen mit Pistolen bedrohen und eine Extrazahlung fordern, nein, da brachte ich es nicht übers Herz ihnen zu sagen was sie noch alles in Europa erleben werden.

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Bild: NEOPresse.com

Auf solchen Schlauchbooten werden bis zu 50 Menschen gepackt. Jeweils 15 Männer sitzen an den Rändern, in der Mitte 20 Frauen, Kinder, Alte.

Wie zum Beispiel Ungarn in den libanesischen und türkischen Zeitungen Artikel drucken ließ, mit der klaren Botschaft, dass es die Menschen nicht sehen will, wohlwissend, dass die meisten Flüchtlinge durch diese Länder durch müssen oder sich schon in einem der vielen Flüchtlingslager dort befinden.

 

Ein junger Pakistani erzählte mir, dass er in Oldenburg Bekannte habe und er auch dorthin möchte. Er müsse sie nur anrufen – und zeigte mir dabei eine deutsche Handynummer auf einem Notizzettel – und diese Bekannte würden ihn dann abholen sobald er in Deutschland ist. Bevor ich ihm seinen Traum zum Platzen bringen musste, kam ein anderer Pakistani der den jungen Mann wohl schon einige Tage, Wochen oder gar Monate kennt, ob er denn von seinen Bekannten das Geld für die Überfahrt oder den nächsten Anruf erhalten habe… Der Jüngere wurde in der Türkei überfallen und man nahm ihm sein ganzes Geld ab. Jetzt ist er zwar in Griechenland und einigermassen sicher: aber auch gefangen auf einer Insel von der er nicht runter kann weil er sich die 50€ für die Überfahrt auf das Festland nicht leisten und auch nicht mehr seine Bekannten in Oldenburg anrufen kann.

Bild: NEOPresse.com

 

Bild: NEOPresse.com

Der ältere Pakistani war offensichtlich ziemlich gut informiert über die politische Situation in der EU, dass er einfach das Pech hat den falschen Reisepass und die falsche Nationalität hat um es bis nach Deutschland zu schaffen. Bevor er den Winter irgendwo unterwegs im Schnee verbringen muss, weil die Grenzen dicht sind, bleibe er lieber vorerst da wo er ist. Vielleicht lässt sich auf dem Festland in Griechenland ein neues Leben beginnen, meinte er nachdenklich.

In der Tat ist die EU-Politik, oder eigentlich die nicht vorhandene EU-Politik, die Grenzen für Menschen aus EU-Sicht „sicheren Ländern“ dicht zu machen, ein riesen Problem von dem die Wenigsten etwas wissen. Von den Menschen die ich auf Lesbos getroffen habe, betrifft es schätzungweise mindestens jeden Zweiten bis Dritten.

Es ist wie ein Mikrokosmos am Tor zum verheissenen Europa. Am Hafen von Mytilene traf ich Menschen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Indien, Bangladesch, Nepal, Tunesien, Marokko, Kirgistan, Iran und sogar aus der Dominikanischen Republik.

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Bild: NEOPresse.com

Ein 35-jähriger Militärpolizist der dafür verantwortlich war, dass auf der linken Seite vor der Fähre eine entsprechende Schlange gebildet wird, sagte mir im perfekten deutsch, dass dieser Platz im August/September „rammelvoll“ war und es zu chaotischen Szenen aufgrund der Menschenmenge kam. Er wuchs in Dortmund auf und kehrte mit 20 Jahren auf die Insel seiner Vorväter zurück. Auf die Frage ob er verstehen kann weshalb all die Menschen nach Europa wollen, antwortete er achselzuckend: „aus dem selben Grund weshalb auch meine Eltern nach Deutschland gegangen sind“.

Diese Frage stellte ich natürlich allen Menschen, ganz egal ob sie Kriegsflüchtlinge aus Syrien waren oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ die vor Armut und Perspektivlosigkeit flüchten. Auf diese spezifische Fragen waren die Antworten zu 100% identisch: sie alle wollen Sicherheit haben. Ob es Sicherheit vor dem Krieg, Sicherheit für die Zukunft der Kinder oder soziale Sicherheit ist, spielte für sie keine Rolle. Auch wenn es gerade dieser Punkt ist der darüber entscheiden wird, ob ihr Wunsch von Sicherheit in Europa in Erfüllung gehen wird, oder eben nicht.  Sie selbst machten da keine Unterscheidung.

Insbesondere die Antwort eines Afghanen, Almohammad, ein 32-jähriger Ingenieur der an der Polytechnischen Universität in Kabul seinen Abschluss gemacht hat und der tadschikischen Volksgruppe angehört, überraschte mich und brannte sich mir ein. Ich stellte ihm die gleiche Frage nach dem „Warum“, und er antwortete zuerst wie alle anderen. Als ich ihm aber sagte was der deutsche Innenminister Thomas De Mazière von den afghanischen Flüchtlingen hält, dass Deutschland Millionen von Euros nach Afghanistan überwiesen hat und man daher doch erwarten könne, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben, da brach es aus Almohammad aus:

„Die Afghanen leben seit 36 Jahren im Krieg und sind stark nach Volksgruppen und sogar Stämmen getrennt. Es gibt kein afghanischen Volk, wir sind nicht ein Volk. Als es darum ging die Taliban zu verjagen, wagte sich Deutschland auch nicht nach Kandahar um dort an Kämpfen teilzunehmen sondern suchte sich das ruhige Mazar-i-Sharif aus. Und nun erzählt uns Deutschland wir sollen in dem Land bleiben wo Deutschland doch selbst aufgegeben hat? Die Millionen mögen vielleicht geflossen sein, aber wir normale Menschen haben davon nichts gespürt.

Wir müssen unsere Köpfe hinhalten damit ihr so gut Leben könnt. Wir müssen den Mohn züchten damit ihr euch zudröhnen könnt. Und was bekommen wir dafür? Was bekommen wir einfache Menschen wirklich dafür? Wir bekommen eure alten Autos die niemand mehr fahren will, den Elektroschrott den ihr wegwerft. Wir sind doch nicht eure Resteverwerter! Wir sind Menschen wie ihr auch und wir haben das gleiche Recht unseren Familien Sicherheit und etwas Wohlstand zu bieten. Und wenn das nach 36 Jahren Krieg in Afghanistan nicht einmal mehr für meine Kinder möglich erscheint, dann bin ich verpflichtet dort hinzugehen wo es möglich ist. Immerhin seid ihr mitverantworlich dafür das es in Afghanistan nicht mehr möglich ist.“

Thomas De Maziere_Afghanistan

Klare Worte die einem zu denken geben sollten. Insbesondere wenn man bedenkt, dass Deutschland im Oktober 2009 für den afghanischen Wiederaufbau 50 Millionen Euro in denANA Trust Fund einbezahlt hat, dieses Geld aber von den USA für eigene Projekte missbrauchtwurde. Und als ob das schon nicht genügen würde, erhielt Berlin noch eine Steuerrechnung der USA über 15% von diesen einbezahlten 50 Millionen Euro. Als dieser Skandal dann doch etwas höhere Wellen schlug als vermutet, überwiesen die USA 3 Millionen Euro zugunsten der deutschen Bundeswehr zurück.

Später sollte ich ganz ähnliche Vorwürfe von Singh und Salman hören, die exemplarisch für die Welt in der wir Leben stehen, diese grosse Reise angetreten haben. Salman kommt aus Pakistan, Singh aus Indien und beide sind Punjabis. Auf der Suche nach einem besseren Leben kitten sie den Riss zusammen, welchen Grossbritannien gefördert und schliesslich 1947 zugelassen hat als Indien geteilt wurde.

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Salman und Singh, zwei Punjabis aus Pakistan und Indien, vereint auf dem Weg nach Europa / Bild: NEOPresse.com

 

Verteiler: Neopresse

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