Freitag, April 26, 2024
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Hass gen Osten: „Neues Europa“ hat Migranten satt – Schuld liegt bei Russland?

Zwischen West- und Osteuropa hat sich mit dem Migrantenansturm 2015 ein neuer Graben aufgetan: Während Deutschland über eine Million Flüchtlinge unterbrachte, sind es in Tschechien nur zwölf. Der russische Journalist und Chefredakteur des Politikportals „Na Linii“, Viktor Marachowski, hat einen – nicht ganz unprovokanten – Erklärungsvorschlag.

Tschechien hat schon zwölf Migranten aufgenommen – das reicht, wie Innenminister Milan Chovanec mitteilte. Bei dieser Summe aber handelt es sich um weniger als ein Hundertstel der EU-Quote für Tschechien in Höhe von 1600 Menschen.

Die Situation sieht so aus: Die EU-Kommission hat jüngst eine Pressemitteilung veröffentlicht, die eine Warnung an die östlichen EU-Mitgliedsstaaten enthielt. Darin  heißt es unter anderem: „Falls die Mitgliedstaaten demnächst die Verlegung der Migranten nicht aktivieren, wird die EU-Kommission nicht mit der Anwendung ihrer Vollmachten zögern.“

Während westeuropäische Länder wie Luxemburg und Portugal Flüchtlinge  ordnungsgemäß aufnehmen, tun dies Kroatien und Bulgarien nur „sehr eingeschränkt“, Polen und Ungarn weigern sich generell, an diesem Programm teilzunehmen. Dabei sind nur 16.000 Menschen zu verteilen – also weniger als ein Prozent der 2015 begonnenen Flüchtlingswelle. Nun stehen die Länder der Visegrad-Gruppe – Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen – vor der Wahl: Sie sollen entweder schnell und rechtzeitig die ihnen zugeteilte Zahl von Flüchtlingen aufnehmen oder wegen Nichterfüllung gesamteuropäischer Richtlinien bestraft werden.

Der tschechische Innenminister Milan Chovanec sagte, dass sein Land lieber bestraft werden solle, statt mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Eine solche Strafe sei für Herbst zu erwarten, Tschechien sei darauf vorbereitet.

Selbst wenn in Osteuropa all die bereits eingewanderten eineinhalb Millionen Flüchtlinge untergebracht hätten, wäre der Migrantenanteil im Verhältnis zur dortigen Bevölkerung weitaus niedriger als in Westeuropa. Darum ist der Westen erstaunt, wenn nicht gar empört darüber, dass die Osteuropäer „Widerstand leisten“ und nicht einmal eine sehr geringe Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen wollen.

Eine mögliche Antwort ist … Russland: Die politischen Regimes in Osteuropa könnten als „Fremdenhass-Demokratien“ bezeichnet werden. Die Ursache dafür liegt im schweren Erbe der Geschichte. Noch bis vor rund 20 Jahren herrschte in diesen sozialistischen Ländern 40 Jahre lang offiziell der Internationalismus, alle Menschen waren Brüder, als wahrer Widerstand galt der globale Kampf zwischen Arbeitern und Ausbeutern. Gegen diese offizielle Ideologie kämpften junge demokratische Bewegungen weltweit – vom Baltikum bis zum Balkan. Diese Bewegungen wurden vom Westen, unter anderem Westeuropa, unterstützt. Und weil der Internationalismus von „den Russen aufgedrängt“ wurde, wie es so oft heißt, und er ein Elemente der kommunistischen Ideologie war, mutierte der antikommunistische Kampf letztlich zum nationalistischen Kampf.

Die sozialistischen Regimes wurden von Nationalstaaten abgelöst. Der Westen schaute dabei nicht nur weg, sondern half vielmehr aktiv. Um die postsozialistischen Länder von der „russischen Zivilisation“ abzuschneiden, sollte die von Russland aufgedrängte globale Weltanschauung durch eine provinzielle Weltanschauung ersetzt werden. Die historischen Leiden des Volkes, welches unter dem Kommunismus gelitten habe, wurden angestachelt. In osteuropäischen Ländern wurden nach diesem Prinzip „Institute des Nationalen Gedenkens“ gebildet. Heute gibt es sie noch in Lettland und Polen, sogar in der Ukraine. Sie sammeln schmerzhafte Erinnerungen und sogenannte Beweise über Verbrechen der Roten gegen die „nationale Werte“.

Parallel wurde der Gedanke ins kollektive Gehirn der Osteuropäer gedrängt, dass sie dieser nichteuropäischen, russischen Welt eigentlich doch nie angehört hätten. Sie seien schon immer Teil des gemütlichen, sympathischen Europas mit teurer Sanitärtechnik und sauberen Straßen gewesen. Sie seien weiße Menschen im Unterschied zu den Osteinwohnern in Fellmützen mit Ohrenklappen. Nur wegen der russischen Besatzung sei der Abstand zu den westlichen Brüdern so groß geworden. Aber nun, da man sich dieser Fesseln entledigt habe, werde es  schon bald in Osteuropa wie in Belgien sein.

Im Ergebnis bildete sich während der Nullerjahre eine Art europäische Doppelmoral. Westeuropa implementierte Toleranz und Multikulturalität, während im östlichen Teil der EU Fremdenhass in Theorie und Praxis  erlaubt war. Das Entziehen der Staatsbürgerschaft der Russen im Baltikum, der Abriss sowjetischer Denkmäler in Polen, ethnische Säuberungen in Kroatien – alles, was im Westen unmöglich war, war im Osten erlaubt, weil dies einen sicheren Widerstand gegen den Nachfolger der Sowjetunion, also Russland, gewährleistete.

Nun hat Europa zu kämpfen: Osteuropäische nationale Ideen basieren im Prinzip auf dem Mythos „Wir sind weiße Menschen – im Unterschied zum Osten“. Im westlichen Bewusstsein gibt es aber keinen prinzipiellen Unterschied zwischen „eingewanderten“ Bulgaren und „eingewanderten“ Pakistanern. Alle sind Menschen zweiter Klasse – nicht nach irgendeinem Rassenprinzip, sondern sie sind beide arm und wild.

Der Westen staunt nun nicht schlecht: Warum wollen diese Länder, die selbst Migranten-Exporteure sind, keine Flüchtlinge aufnehmen?

Und auch Osteuropa staunt – und ärgert sich: Sie brauchten Jahrzehnte, um „weiße Menschen“ zu werden. Nun wird ihnen dieser Internationalismus wieder aufgedrängt – in Form dunkelhäutiger Andersgläubiger mit womöglich kriminellem Hintergrund und ohne Respekt vor ihren „weißen“ europäischen Werten.

Die Antwort auf dieses Paradox ist augenscheinlich einmal mehr leicht gefunden: Da die Fremdenhass-Demokratie von Anfang an in Osteuropa implementiert wurde, um dem „russischen Kommunismus“ Widerstand zu leisten, muss also Russland auch an der heutigen osteuropäischen Rebellion gegen Einwanderer schuld sein.

Beitragsbild: © Sputnik/ Irina Kalashnikova
Quelle: Sputnik Deutschland
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