Freitag, April 26, 2024
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Ist Israel wirklich an Il-20-Abschuss schuld?

Manche meinen, israelische Piloten hätten die russische Il-20 wissentlich und heimtückisch als Schutzschild missbraucht. Die Israelis behaupten jedoch, ihre Kampfjets seien längst wieder weg gewesen, als die syrische Flugabwehr das Feuer eröffnet habe. Wer sagt nun die Wahrheit? Prüfen wir die Positionen.

Eine „Verkettung tragischer Zufälle“ – so erklärt Wladimir Putin die Ursache für den Abschuss des russischen Seefernaufklärers vor der syrischen Küste. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat dem russischen Präsidenten sein Beileid wegen des Todes der russischen Flugzeugcrew ausgesprochen und versichert, Israel werde alle Informationen hinsichtlich des Vorfalls bereitstellen.

Netanjahu schickt sogar den Oberkommandeur der israelischen Luftwaffe nach Moskau. Er soll persönlich dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu Bericht erstatten. Dieser hat bereits frank und frei erklärt, die israelischen Piloten hätten sich absichtlich und zielgerichtet hinter dem russischen Flugzeug vor der Flugabwehr versteckt.

Heißt das nun, die israelische Luftwaffe ist dafür verantwortlich, dass ihr fliegender Schutzschild getroffen wurde? Mitnichten, sagen die Israelis. Schuld hätten die syrische Flugabwehr, der Iran und die proiranische Hisbollah.Das Ziel der israelischen F-16, wird behauptet, seien Einrichtungen in Latakia gewesen, wo im iranischen Auftrag Massenvernichtungswaffen für die proiranische Miliz hergestellt würden. Dass in dem Gebiet eine russische Il-20 patrouilliere, habe man gar nicht gewusst.

Eine Erklärung, die nur schwer zu glauben ist. Denn die russische Il-20 ist, wie gesagt, ein Seefernaufklärer. Ihre Aufgabe ist es, stundenlang in der Luft zu patrouillieren und ein großes Gebiet zu überwachen. Dass die russische Maschine immer planmäßig startet und nach mehreren Stunden wieder auf den Stützpunkt zurückkehrt, hätten die Israelis wissen können und müssen.

Die Il-20 hebt stets zur gleichen Zeit in Richtung des Mittelmeers ab und setzt bei der Rückkehr noch über dem Meer zur Landung an – so ist die Maschine am stärksten vor möglichem Raketenbeschuss geschützt.

Und ausgerechnet die Zeit, zu der das russische Patrouillenflugzeug normalerweise landet, haben die israelischen F-16 ausgesucht, um die Einrichtungen in Latakia anzugreifen.

Womöglich hätte das Unglück verhindert werden können, wäre die Il-20 von russischen Jagdflugzeugen begleitet worden. Dass Seefernaufklärer einen Begleitschutz bekommen, sei aber unüblich, erklärt der Militärexperte Wassili Kaschin vom Zentrum für Strategie- und Technologieanalyse.

Überhaupt: „Um Jagdflugzeuge im besagten Gebiet ständig patrouillieren zu lassen, müsste die Anzahl der russischen Kampfjets auf dem Stützpunkt Hmeimim praktisch verdoppelt werden“, sagt der Analyst. Laut dem russischen Generalstab bekommen gegenwärtig nur jene Flugzeuge in Syrien eine Deckung, die zu Kampfeinsätzen ausfliegen.

Fraglich ist aber auch das Verhalten der syrischen Flugabwehr. Haben deren Systeme etwa keine Freund-Feind-Erkennung? Wie war es überhaupt möglich, dass die syrische Flugabwehr ein russisches Flugzeug anzielen konnte?

Diesbezüglich muss man einige Details kennen – nämlich: Eine Freund-Feind-Erkennung verringert zwar die Wahrscheinlichkeit von Friendly Fire, verhindert aber nicht automatisch Fehlbeschüsse. Das System warnt den Operator lediglich, dass er das falsche Ziel anvisiert habe, blockiert aber nicht den Abschuss.

„Unter Stress, wenn es einen massiven Luftangriff gab, könnte das Bedienpersonal des syrischen Abwehrsystems die Warnung einfach ignoriert haben“, vermutet der Experte Kaschin. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Israelis das System elektronisch gestört haben.

Auch die israelische Luftwaffe verweist auf angebliche Fehler syrischer Soldaten: Die syrische Flugabwehr habe wirr und ungenau geschossen – und dazu noch zu spät. Stimmt diese Version, trifft Israel keine Schuld. Aber die Schlüsselfrage ist immer noch, ob sich die israelischen F-16-Jets hinter dem russischen Flugzeug aufhielten.

Ist dem so, dann hat die syrische Flugabwehr nicht die russische Il-20, sondern die israelischen Kampfflugzeuge angepeilt. Die Israelis behaupten indes, ihre Jets seien längst wieder weg und im israelischen Luftraum gewesen, als die Flugabwehrrakete das russische Flugzeug traf. Also doch ein Fehler der Syrer?

Versuchen wir, das zu klären. Die Entfernung zwischen Latakia und der israelischen Grenze beträgt 280 Kilometer. Die Marschgeschwindigkeit einer F-16 liegt bei 1.140 Stundenkilometern. Demnach muss die syrische Flugabwehr das Feuer eröffnet haben, nachdem die israelischen Jets das Gebiet bereits für 15 Minuten verlassen hatten.

Das ist doch schon sehr fragwürdig – erst recht, wenn man bedenkt, dass die syrischen S-200-Systeme ihre Ziele auf einer Distanz von 400 Kilometern erfassen können.

Aber auch wenn man die israelische Version so stehen lässt, bleibt noch etwas ungeklärt. Das russische Verteidigungsministerium hat mitgeteilt, Israel habe die russischen Streitkräfte erst weniger als eine Minute vor dem Angriff auf Latakia gewarnt.

Im Gespräch mit Netanjahu hat Präsident Putin die israelischen Generäle geradewegs beschuldigt, gegen die Vereinbarung zur Vermeidung gefährlicher Vorfälle verstoßen zu haben. Diese Vereinbarung ist zwar nie veröffentlich, aber von Israel schon mal befolgt worden.

Bekanntlich hat das israelische Militär die russischen Streitkräfte im Mai dieses Jahres rechtzeitig gewarnt, einen Angriff gegen iranische Kräfte in Syrien vornehmen zu wollen. Und auch sonst muss man anerkennen: Das Unglück mit der Il-20 ist der erste Vorfall dieser Art im Verlauf des nunmehr dreijährigen russischen Einsatzes in Syrien. Hoffen wir, dass es der letzte ist.

Verantwortungsloses Verhalten auf Seiten des israelischen Militärs erkennen in diesem konkreten Fall auch israelische Experten. Es sei unverantwortlich gewesen, die F-16 starten zu lassen, während die russische Il-20 im Gebiet patrouillierte, sagt der Sicherheitsberater Jakob Kedmi.

„Die Verantwortungslosigkeit besteht erstens darin, dass der israelische Einsatz in direkter Nähe des russischen Militärs stattfand. Zweitens wurde nicht berücksichtigt, dass währenddessen eine russische Maschine in der Luft war“, erklärte Kedmi. „Solcherart Nachlässigkeit und Schlamperei kommt in Israel leider viel zu oft vor.“

„Nachlässigkeit“ wäre für die Verantwortlichen in Israel sicherlich eine willkommene Erklärung für den Vorfall. Nur: In das Bild der israelischen Armee – einer der effektivsten Armeen des Nahen Ostens – passt diese Erklärung irgendwie nicht.

Es kann beim Abschuss der russischen Il-20 zwar durchaus zu einer Fehleinschätzung der Lage gekommen sein – aber zu einer, wenn man so will, bewussten. Nehmen wir an, ein mittelhoher Offizier der israelischen Luftwaffe hatte tatsächlich die Idee, den Angriff der F-16-Jets irgendwie zu decken.

Ein russisches Flugzeug würde sich dafür logischerweise anbieten. Die israelische Luftwaffe war früher schon ähnlich vorgegangen, bei Angriffen gegen den Irak beispielsweise. Warum also nicht auch in diesem Fall die gleiche Taktik einsetzen? Dies würde auch die verspätete Warnung der russischen Streitkräfte durch die israelischen Generäle erklären.Ob irgendwer diese „Schlamperei“ wird büßen müssen, ist auch offen: „Die Lage ist ziemlich angespannt, es sind auch sehr radikale Forderungen zu hören. Aber man wird das Thema wohl allmählich drosseln“, sagt Israels ehemaliger Russland-Botschafter Zvi Magen.

Keine der Seiten sei an einem Streit interessiert, zumal Israel schon seit drei Jahren Russland über mögliche Angriffe gegen syrische Einrichtungen informiert. „Bislang gab es keine Vorfälle, obwohl bereits an die 200 Schläge erfolgten“, so der Ex-Botschafter.

Nicht zu vergessen ist aber auch die Mahnung des russischen Verteidigungsministers: Ohne Reaktion werde die Tat Tel Avivs nicht bleiben, sagte Sergej Schoigu. In russischen Netzwerken sind bereits Forderungen nach Sanktionen gegen Israel und nach besserer Ausstattung der syrischen Flugabwehr laut geworden – mit russischen S-300-Raketensystemen zum Beispiel.

Quelle!:

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