Samstag, April 27, 2024
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Karatschai-See in Russland: Der gefährlichste Ort der Welt (Video)

Der Karatschai-See im südlichen Ural in Russland gilt als der gefährlichste Ort der Welt: Wer dort eine Stunde verbringt, der wird sterben. Schuld ist das geheim gehaltene „Kyschtym-Unglück“.

Schlimm? Machen Sie sich gefasst: es kommt noch schlimmer!

Auf den ersten Blick sieht der Karatschai-See im südlichen Ural aus wie ein ganz normales Gewässer. Doch fünf Minuten in seiner Nähe reichen aus, um eine lebensbedrohliche radioaktive Strahlung abzubekommen.

Wer eine Stunde bleibt, wird sterben. Denn der russische See gilt laut dem Worldwatch Institute als der gefährlichste Ort der Welt – mit der stärksten radioaktiven Kontamination.

Die Region, in welcher der 130.000 Quadratmeter große See liegt, ist von einer doppelten Nuklearkatastrophe betroffen. Jene aus dem Jahr 1957 gilt als der drittschwerste GAU in der Geschichte nach Tschernobyl (Strahlung: Wie Tschernobyl und Fukushima auf Menschen und die Tierwelt einwirken) und Fukushima («Man verkauft uns für dumm»: Die Atomruine Fukushima fünf Jahre danach).

Am 29. September 1957 explodierte in Majak ein Stahltank mit 80 Tonnen hoch radioaktiver Flüssigkeit. Der Zylinder lag zwei Meter unter der Erde in einer Betonwanne mit Kühlwasser.

Massiver Tresor fliegt durchs Zimmer

Doch im Tank liefen unbemerkt chemische Reaktionen ab. Es entstanden Substanzen, die auch zur Herstellung von Sprengstoffen genutzt werden. Dann fiel die Kühlung aus, die gefährliche Flüssigkeit verdampfte.

Ein defekter Sensor in einem Messgerät erzeugte einen Funken – es kam zu einer gewaltigen Explosion.

Im Umkreis von mehreren Kilometern zerbrachen durch die Wucht sämtliche Fensterscheiben, in einem Büro auf dem Gelände löste sich ein massiver Tresor aus der Wand und flog durchs Zimmer.

Augenzeugen berichteten später, der Himmel habe blau geleuchtet. Die radioaktiven Substanzen, hauptsächlich die Isotope Casium-137 und Strontium-90, wurden durch die Detonation bis zu einem Kilometer hoch in die Luft geschleudert.

Insgesamt wurden rund 750 Millionen Gigabequerel strahlende Substanzen freigesetzt. Der Großteil ging direkt auf dem Werksgelände und in der geheimen Stadt Tscheljabinsk-40 nieder. Dort lebten 20.000 Wissenschaftler und Arbeiter der Nuklearanlage.

Weil der Wind nach der Katastrophe tagelang aus einer Richtung blies, wurden die radioaktiven Substanzen in einem 300 mal 50 Kilometer großen Gebiet verteilt. Dort lebten damals 270.000 Menschen.

Dieser Streifen heißt heute „Uralspur“. 150 Quadratkilometer darin sind Sperrgebiet und dürfen nicht betreten werden. Die radioaktive Belastung dort wird noch Hunderte Jahre anhalten.

Erst zehn Tage nach der Katastrophe wurden 1.000 Menschen evakuiert, die im Umkreis von 25 Kilometern wohnten. In den folgenden zwei Jahren mussten noch einmal rund 11.000 Menschen ihre Heimat verlassen.

Um die Katastrophe zu vertuschen, wurden die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht – nur die Kirchen blieben stehen.

Die Sowjets wollten das Desaster und seine Folgen unbedingt vor der Weltöffentlichkeit geheim halten. Wohl auch deshalb schoss das Militär am 1. Mai 1960 ein US-Aufklärungsflugzeug ab, das über der Region unterwegs war.

See ist eine Atommüllkippe

Pilot Francis Gary Powers wurde gefangen genommen und später in Berlin ausgetauscht. Seine Geschichte wird in dem Film „Bridge Of Spies“ erzählt.

Der See diente aber zuvor schon jahrelang als Lagerstätte für radioaktiven Abfall aus der Atomwaffenproduktion der Sowjets. Schwer verseuchte Abwässer wurden einfach in den Fluss Tetscha geleitet, der in den Karatschai fließt. Zudem wurde der radioaktive Müll aus der Wiederaufbereitungsanlage Majak seit Anfang der 1950er-Jahre einfach in Fässern im See versenkt. Und diese Fässer wurden mit der Zeit undicht.

Die Menschen in der Region waren völlig ahnungslos, wie extrem gefährlich die Gewässer tatsächlich sind. Sie angelten Fische und aßen sie, badeten im See oder wuschen darin ihre Wäsche.

Immer mehr radioaktives Material gelangte ins Wasser, neben dem, was ohnehin schon einfach hinein gekippt worden war. Doch als 1967 der See fast ganz austrocknete, wurde radioaktiver Staub freigesetzt. Der Wind verteilte diesen in der Umgebung.

Die Strahlung von 200.000 Gigabecquerel ist vergleichbar mit jener, die in Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe „Little Boy“ freigesetzt worden war. Glück im Unglück: Zufällig wehte der Wind aus der gleichen Richtung wie zehn Jahre zuvor, der Staub landete in der bereits verseuchten Uralspur.

Die Existenz der Wiederaufbereitungsanlage Majak war lange geheim – und auch die schweren Unfälle wurden bis in die 1980er-Jahre vertuscht. Da die kontaminierten Wolken in geringer Höhe über dem Boden trieben, schlugen die Messgeräte europaweit nicht an.

  

Erst nach Ende des Kalten Krieges gab die russische Regierung die Unfälle zu. Offiziell hieß die Katastrophe von 1957 aber auch dann noch das „Unglück von Kyschtym“, benannt nach einem nahe gelegenen Dorf.

Viele Menschen in der Region erkrankten an Leukämie oder Lungenkrebs. Wie viele Opfer die Katastrophe genau forderte, ist bis heute nicht bekannt.

Seit Ende der 1970er-Jahre wurde der Karatschai-See mit Beton zugeschüttet, um ein neues schreckliches Unglück zu verhindern. Doch das Fundament bröckelt inzwischen an vielen Stellen.

Wissenschaftler befürchten, dass die Radioaktivität über das Grundwasser ins arktische Meer gelangen könnte. Bislang ist das noch nicht geschehen. Bislang…

Literatur:

Fukushima lässt grüßen: Die Folgen eines Super-GAUs von Susan Boos

Aus kontrolliertem Raubbau: Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren von Kathrin Hartmann

Katastrophenalarm!: Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? von Stefan Engel

Fukushima 360º – Das atomgespaltene Leben der Opfer vom 11. März 2011: 44 Foto-Reportagen von Alexander Neureuter von Alexander Neureuter

Video:

Quellen: PublicDomain/web.de/Itar-Tass am 15.06.2016

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