Samstag, April 27, 2024

Na dann – Prost!

1985 war es mit der österreichischen Weinseligkeit vorbei. Winzer hatten ihre Rebensäfte mit Frostschutzmitteln versetzt. Der Weinskandal zog immer weitere Kreise. Für die Wirtschaft war das eine Zäsur – wie für das Land.

Im Juli 1985 war es um die Kläranlage im burgenländischen Gols geschehen. Ihre Funktion war beeinträchtigt, aus den Becken stieg erbärmlicher Gestank auf, im nahen Kanal, der Richtung Neusiedlersee führt, verendeten die Aale. Nach kurzem Rätseln äußerte der Wärter der Anlage einen brisanten Verdacht: "Es muss irgendjemand

Wein abgelassen haben. Der haut dann die Bakterien zusammen", erklärte er damals im Ö1 -Mittagsjournal. Tatsächlich handelte es sich nicht bloß um vergorenen Traubensaft, sondern um verseuchten Wein. Tankweise verschütteten die Bauern der Region in jenen Tagen die Brühe.

Wenige Wochen zuvor wurde einer der größten Wirtschafts- und Lebensmittelskandale in Europa bekannt, der Ort im Seewinkel war mit am stärksten betroffen. Millionen Liter Wein wurden in Österreich beschlagnahmt, weil ihnen Diethylenglycol – ein minderwertiger Alkohol, der auch als Frostschutzmittel eingesetzt wurde – beigemischt war. Als "Glykolwein" machte das Gepansche in den Medien die Runde. Der Weißwein, der vorwiegend für den Export bestimmt war, stellte sich als "Spätlese aus der Chemieküche" heraus, wie es der damalige Landwirtschaftsminister Günter Haiden (SPÖ) beim Aufkommen des Skandals am 23. April 1985 ausdrückte. Tatsächlich wurde seit Jahren in großem Stil mit Chemikalien experimentiert.

Die österreichische Weinproduktion der frühen 1980er-Jahre lief auf Hochtouren, vor allem in der Masse lag das Geschäft. Im Rekordjahr 1982 wurden fast fünf Millionen Hektoliter produziert, zehn Jahre davor waren Mengen um zwei Millionen Hektoliter pro Jahr üblich. Europaweit wurde zu viel Wein hergestellt, der Überschuss – auch Weinsee genannt – führte im Laufe der 1970er-Jahre zu einem Preisverfall, geringere Qualitäten und eine industrialisierte Herstellungsweise waren die Folge. Im Export dominierte das Tankweingeschäft, im Inland hieß es Doppler vor Bouteille.

Hauptexportland war – wie auch heute – Deutschland. Dort wurden gern süffig-süße Weine getrunken. Um den Erwartungen gerecht zu werden und größere Volumen zu verkaufen, wurde mehr Zucker in der Produktion eingesetzt als erlaubt. Weine wurden zur Unkenntlichkeit verschnitten und schließlich auch chemisch bearbeitet. Alles für Geschmack und Geldbeutel.

Diethylenglycol – oft auch nur Glykol genannt – sollte vortäuschen, dass der Wein aus Trauben stammt, die tatsächlich am Stock gereift sind. Gleichzeitig konnte dank der anfangs nicht nachweisbaren Beigabe des Frostschutzmittels verschleiert werden, dass weiterhin Zucker bis weit über den erlaubten Grenzwert beigefügt wurde. Noch mehr saurer Wein ließ sich so in süßen – und teureren – Prädikatswein verwandeln. Seit den frühen 1980er-Jahren gab es zwar Verdachtsfälle, womit manipuliert wurde, war den Behörden aber unklar. Doch im Dezember 1984 ging bei der landwirtschaftlich-chemischen Bundesbehörde im Zweiten Wiener Gemeindebezirk ein anonymer Hinweis mit einer Glykolprobe und gepanschtem Rebensaft ein.

"Ohne diesen Hinweis wäre eine Weile gar nichts passiert, wenn es nicht anders ruchbar geworden wäre. Wir wären nie auf Diethylenglycol gekommen und hätten nicht danach gesucht", sagt Gerhard Szklenar, damals Leiter der Bundesweinaufsicht im Landwirtschaftsministerium im Gespräch mit dem STANDARD. Zu diesem Zeitpunkt war die Chemikalie in der Weinproduktion nicht bekannt und nicht nachweisbar, ein Verfahren musste erst entwickelt werden, ab März 1985 konnte großflächig getestet und ermittelt werden.

Doch auch andere Hinweise folgten: Ein Weinhändler aus dem Seewinkel fiel ob seiner Steuererklärung auf, in der er große Mengen Frostschutzmittel als Produktionsbehelf steuerlich geltend machte. Ein Weinchemiker aus Wagram tat sich besonders hervor, er wurde von heimischen Medien als "Superhirn" hinter der Affäre bezeichnet und im Juli des gleichen Jahres verhaftet. Er entwickelte und vertrieb die Methode zur Verfälschung. Die Welschriesling-Beerenauslese des Jahrgangs 1981 eines Winzers aus Gols brach im gleichen Monat alle Rekorde, 48 Gramm Diethylenglycol pro Liter wurde gemessen – eine gesundheitsgefährdende Dosis.

Spezialverschnitte

Die Chemiker im Bundesdienst verfeinerten ihre Tests, immer geringere Mengen konnten nachgewiesen werden. Eine Tatsache, die sich – so Szklenar – auch bei Winzern und Weinhändlern herumsprach. Zur Vertuschung wurde immer mehr Wein verschnitten, damit die Menge Glykol im inkriminierten Wein abnahm. Dadurch erhöhte sich aber auch die Weinmenge. "Es hat nicht aufgehört, es sind immer neue Proben mit Glykol aufgetaucht", sagt Szklenar. Und: "Es war geschmacklich und sensorisch in dieser Verdünnung nicht feststellbar." Im Laufe des Sommers 1985 zog der Skandal immer weitere Kreise. Auch die Zahl der Ermittler wuchs, von 16 Kellereiinspektoren wurde auf 40 aufgestockt. Bei den Kellerrazzien und -kontrollen wurde die kriminelle Energie offenbar, mit der Winzer und Händler vorgegangen waren: Man entdeckte doppelte Tanks und geheime Lager. Bei so mancher Kontrolle kam es zu Straßensperren und Cobra-Einsätzen.

"Wir waren alle der Meinung, wenn wir nur die richtige Analysemethode haben, haben wir das innerhalb von Wochen im Griff", sagt Szklenar. Die Ausmaße habe man sich nicht vorstellen können, und sie wurden durch die neuen Manipulationen, die die ersten vertuschen sollten, vergrößert.

Am stärksten war jedoch der Imageschaden weltweit. "Der dramatische und fast existenzvernichtende Weinpanscherskandal hat beinahe die ganze Branche in den Abgrund gerissen. Die Politik versagte vollkommen, sie hat den Skandal falsch eingeschätzt und behandelt. Deswegen ist es zu dieser Nachrichtenflut gekommen", sagt der Chef der Österreich Wein-Marketing, Wilhelm Klinger, zum STANDARD.

In Deutschland wurde im Juli 1985 vom Gesundheitsministerium vor österreichischem Wein "dringend gewarnt" und eine Liste mit 803 Weinen, in denen Glykol nachgewiesen wurde, veröffentlicht. Auch andere Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien, Polen oder Kanada warnten und nahmen ihn teilweise aus dem Handel. Die New York Times berichtete auf der Titelseite. Im Sommer 1985 wurde der Skandal auch zur deutsch-österreichischen Affäre. Anhand von Messungen wurde bekannt, dass österreichischer Wein mit deutschem unerlaubterweise vermischt wurde. Als im so gewonnenen Wein die Chemikalien festgestellt wurden, schoben sich deutsche und österreichische Produzenten den schwarzen Peter gegenseitig zu. Das Image von Wein und Österreich war in Deutschland ruiniert.

"Das strengste Weingesetz" – so Kanzler Fred Sinowatz (SPÖ) – sollte den Ruf des Weins in Österreich retten, Landwirtschaftsminister Günter Haiden hatte mit dem Wein aus der "Chemieküche" zu kämpfen. Nach dem Skandal erholte sich der Export nur schleppend.

Betroffen waren vor allem das Burgenland und Niederösterreich. Gestorben ist am Panschwein zwar niemand, anders als zum Beispiel beim Weinskandal in Italien kurz darauf (dort wurde jedoch Methanol beigemischt). Für mehrere Betriebe bedeutete es jedoch – ob direkt beteiligt oder nicht – das Aus. Auch juristisch hatte die Affäre Folgen: Die ersten Verhaftungen gab es im Juli, im Oktober wurde gegen 59 Betriebe ermittelt, dutzende Personen befanden sich in Untersuchungshaft.

Das juristische Nachspiel: 325 Anzeigen, 52 Strafanträge – großteils wegen Verstößen gegen das Lebensmittel- oder Weingesetz – und 21 Anklagen wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Mehrere Personen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Seitdem haben sich die Betriebsstrukturen grundlegend verändert. Weniger Winzer mit mehr Fläche, aber auch insgesamt weniger Wein wird seitdem angebaut und gekeltert.

Sinowatz unter Zugzwang

Doch der Skandal betraf nicht nur Winzer, sondern auch Verbände und Politik. Als die Situation im Sommer immer brisanter wurde, rief Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) zum "Weingipfel" am 25. Juli mit Kammer- und Landesvertretern. Blieb in den Jahren davor der Ruf nach neuen Gesetzen ungehört, machte sich die Regierung nun rasch an die Arbeit. Es wurde auf mehr auf Qualität gesetzt. Das neue – laut Sinowatz weltweit "strengste" -Weingesetz wurde Ende August 1985 beschlossen und verschärfte die Produktionsbedingungen. Tankexporte für Prädikatsweine wurden verboten, flächendeckende Prüfung Pflicht und die Banderole eingeführt.

Der Export fiel 1985 auf ein Zehntel zurück (auf rund 45.000 Hektoliter) und sollte erst 2002 das Niveau der frühen 1980er-Jahre erreichen (siehe Grafik). Die Gesamtproduktion verringerte sich ebenfalls: 1985 wurde nur noch etwas über eine Million hergestellt. Die Weinwirtschaft erholte sich nur schleppend. 2003 lag der Durchschnittspreis je Liter exportierten Weins bei 83 Cent, erst in den letzten Jahren und dank des Rückgangs des Tankweinverkaufs stieg der Literpreis an. Heute liegt er bei 2,93 Euro. "Vor dem Weinskandal konnte man sich nicht vorstellen, dass das meiste Geschäft mit Flaschen passiert", sagt Weinwerber Klinger. Die Qualitätsverbesserung des Weins wurde durch die Veränderungen am internationalen Markt zusätzlich beschleunigt.

Nach der Weinkrise folgten eine Reihe von Lebensmittelskandalen. Doch mit dem Rebensaft war 1985 nicht nur ein Produkt betroffen – sondern ein Teil der österreichischen Identität. Aus der Misere machten die Vermarkter eine Strategie. Mittlerweile setzt man bewusst auf den Weinskandal, so Klinger: "Die Story ist: In Österreich gab es ein Weinwunder." – Der Preis dafür war hoch.

(Sebastian Pumberger, DER STANDARD, 4.4.2015)

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