Freitag, April 26, 2024
StartPolitikEUPipeline-Streit: WTO “verrät” EU und stützt Moskau

Pipeline-Streit: WTO “verrät” EU und stützt Moskau

Die Europäische Union muss gute Miene zum bösen Spiel machen und sich noch darüber freuen, mit geringen Verlusten davon gekommen zu sein: Das WTO-Schiedsgericht hat vor kurzem seinen Beschluss zu einer von Russland bereits 2014 eingereichten Klage bestätigt, die gegen die Diskriminierung des russischen Gasexports in die EU gerichtet war.

Vor dem Hintergrund der aggressiven Versuche zur außenpolitischen Isolation Russlands sowie des von den USA und der EU losgetretenen Sanktionskriegs könnten viele annehmen, dass Moskaus Klage im Gasstreit mit Brüssel aussichtslos wäre. Doch dem ist nicht so.

Auffallend ist, dass beide Seiten den Gerichtsbeschluss nach ihrem Gusto als Sieg bejubeln, obwohl die Argumente für ihre optimistischen Aussagen ganz unterschiedlich sind.

Russlands Vertreter verweisen vor allem darauf, dass die Entscheidung des WTO-Schiedsgerichts günstig für die Perspektiven des russischen Gases auf dem europäischen Markt sei. Europäische Diplomaten und Medien freuen sich in erster Linie darüber, dass es den Russen nicht gelungen ist, die faktische Abschaffung des so genannten „Dritten Energiepakets“ zu erreichen. Neutral gesehen wirkt diese Freude wie die eines Boxers, der nach Punkten und nicht nach einem K.o.-Schlag verloren hat.Übrigens ist es bereits das zweite Mal, dass die WTO-Schiedsrichter Russland unterstützen. Erst vor kurzem hatte die Ukraine ihren Prozess gegen Moskau verloren, und damals hatten ausgerechnet US-Vertreter seine Position befürwortet.

Mehr noch: An der Behandlung des Falls „Russland gegen EU“ beteiligten sich auch US- und ukrainische Vertreter als „dritte interessierte Seiten“, und dennoch wurden ausgerechnet Russlands Argumente berücksichtigt.

Aus rein praktischer Sicht ist die Entscheidung der WTO bezüglich der Legitimität der Beschränkungen für die Nutzung der Pipeline OPAL durch Gazprom besonders wichtig. Es geht dabei um einen sehr alten „Zankapfel“ zwischen Moskau und Brüssel. Denn durch die Beschränkung der Nutzung des OPAL-Rohrs durch die Russen wollten Länder wie Polen einen Präzedenzfall schaffen und dem russischen Energieriesen bei der Umsetzung des Projekts Nord Stream 2 möglichst viele Steine in den Weg legen – damit die Russen doch weiterhin auf den Gastransit durch die Ukraine zurückgreifen.

Bei OPAL handelt es sich um die Verlängerung der Nord-Stream-Leitung auf dem europäischen Festland (genauer gesagt, in Deutschland), und die EU-Behörden wollten ihre Kapazitäten auf 50 Prozent beschränken, und zwar unter dem Vorwand des „Konkurrenzkampfes“ – in Wahrheit aber nur, um russische Gaslieferungen zu sabotieren. Diese Beschränkung begrenzte die vollwertige Nutzung der Nord-Stream-Pipeline. Zwar hatte ein deutsches Gericht provisorisch die vollständige Nutzung des OPAL-Rohrs genehmigt. Aber das Problem musste rein juristisch radikal gelöst werden, damit der Fall endgültig vom Tisch geräumt wird. Zumal Polen mehrmals versuchte, die vollständige Nutzung der OPAL-Pipeline durch die europäische Justiz zu behindern. Aber die Schiedsrichter stützten letztendlich Russland.

Wie ein Sprecher des russischen Gaskonzerns völlig richtig bemerkte, trat Gazprom „schon immer dafür ein, dass die Interessen der Gaslieferanten bei der Umsetzung der europäischen Energiepolitik berücksichtigt werden, und (…) erwartet deshalb, dass die EU nötige Schritte unternehmen wird, damit die aufgedeckten Fälle der Verletzungen durch die Anpassung ihrer Gesetze in dem Bericht beseitigt werden.“Die WTO-Schiedsrichter fanden darüber hinaus, dass die Bestimmung der Dritten Gasdirektive der EU den Regeln des internationalen Handels widerspricht. Diese sieht eine besondere Zertifizierung von Unternehmen vor, denen europäische Gasleitungen gehören, falls diese irgendwie mit Russland beziehungsweise Gazprom verbunden sind. Es ist fast überraschend, aber die Schiedsrichter verteidigten ziemlich konsequent das Prinzip der Unzulässigkeit der Diskriminierung von Unternehmen durch die EU, obwohl sie auch die russische Seite für „mangelhafte Argumente“ kritisierten.

Was die Prinzipien angeht, dürfte für Brüssel die Entscheidung der WTO-Schiedsrichter besonders unangenehm sein, der zufolge die so genannte TEN-E-Regulation rechtswidrig ist: die Bestimmung über „transeuropäische Energienetze“.  Diese sieht Bedingungen für die Diskriminierung von russischen Projekten (auch Nord Stream 2) bei gleichzeitiger Förderung von ähnlichen Projekten vor, bei denen es um Gasimporte geht, bei denen Russland keine Rolle spielt.

Die Europäer haben jetzt drei Varianten: Erstens könnten ab sofort für alle Gasbeförderungsprojekte gleiche ungünstige Bedingungen gelten. Zweitens könnte Brüssel einräumen, dass das Projekt Nord Stream 2 im Interesse der EU-Länder umgesetzt wird (zwar nicht aller, aber da kann man nun einmal nichts tun), und ihm gewisse Präferenzen schenken, die für antirussische Projekte „reserviert“ waren. Und drittens könnte die EU Einspruch einlegen – in der Hoffnung, dass dann eine andere Entscheidung getroffen wird.

Der Beschluss der WTO-Schiedsrichter hat für Russland aber einen gewissen bitteren Beigeschmack (die Amerikaner freuen sich zweifellos darüber): Die Präferenzen für Flüssiggaslieferanten nach Europa wurden nicht abgeschafft. Auch die Vorteile für bereits bestehende Pipelines aus Norwegen bleiben weiter in Kraft. Und schließlich wurde das Verbot für Gashändler, Gasleitungen in der EU zu besitzen, nicht aufgehoben. Allerdings ist Gazprom aus diesem Geschäft schon vor längerer Zeit ausgestiegen, und mit der Abschaffung dieses Verbots hatten die Russen offenbar nicht besonders gerechnet.

An diesem Beispiel der WTO-Entscheidung ist zu sehen, dass man bei einem  richtigen Zusammenwirken mit internationalen Organisationen diese auf seine Seite ziehen kann. Bestenfalls können sie sogar Beschlüsse fassen, die Moskaus sture Partner zur Vernunft auffordern und zum Verzicht auf diskriminierende Handlungen zwingen. Um das OPAL-Thema vom Tisch zu räumen, war es sehr wichtig, eine Klage gegen die EU einzureichen (und die Europäer müssen jetzt auf die WTO-Entscheidungen achten, weil sie hilfreich im Kampf gegen den Protektionismus der USA unter Präsident Donald Trump sein kann).

Der amerikanische Präsident räumt übrigens ein, dass die Debatten in der WTO eine starke Waffe sind, auf die man Rücksicht nehmen muss. So hatte Trump im Mai von den Chinesen ultimativ verlangt, dass sie ihre Klage in der WTO gegen die amerikanischen protektionistischen Maßnahmen zurückrufen. Das bedeutet, dass auch Washington, das für die Vernachlässigung des Völkerrechts bekannt ist, die Entscheidungen der WTO nicht einfach ignorieren kann.Peking weigerte sich übrigens, dieses Ultimatum der Amerikaner zu erfüllen. Der Handelskrieg zwischen den beiden erreichte letztendlich ein neues Niveau. Die bisherigen Erfahrungen zeugen davon, dass westliche Opponenten Situationen sehr negativ wahrnehmen, in denen Russland oder China die UN- oder WTO-Instrumente gegen sie einsetzen. Und das ist ein weiterer Beweis dafür, dass Moskau darauf zurückgreifen sollte.

Quelle!:

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