von Ali Özkök
Dieser Waffenstillstand tritt demnach am 28. November in Kraft und dauert bis zum 28. Dezember. Die Bedingungen des Abkommens ermöglichen den Terroristen des „Islamischen Staates“ Freizügigkeit auf dem Gebiet der so genannten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF). Dazu gehört die Anreise zu Einrichtungen der medizinischen Versorgung, aber auch die Durchführung von Militäroperationen gegen Parteien außerhalb des Abkommens, berichten die syrische Nachrichtenagentur Qasioun, die als oppositionsnah gilt, und das Portal „Special Monitoring Mission to Syria“, kurz SMMS.
Der renommierte arabische Nahost-Analyst vom Tahrir-Institut in Washington, Hassan Hassan, erklärte auf Twitter, dass das geleakte Dokument „sehr zuverlässig zu sein scheint“ und beruft sich auf die Bestätigung des Syrien-Experten des französischen Auslandsfernsehens FRANCE 24, Wassim Nasr.
„Das Abkommen sieht eine Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den beiden [SDF und ISIS] vor, einschließlich der Sicherheitsmaßnahmen in Hasaka, aber ISIS könnte laut dem in Umlauf gebrachten Dokument immer noch Angriffe gegen Kräfte unternehmen, die nicht an dem Abkommen beteiligt sind [das heißt das Regime]“, beschreibt Hassan Hassan.
Ganz im Sinne von „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ bedeutet das für die syrische Armee, dass der syrische US-Verbündete die islamistische Terrormiliz als nützliches Element gegen die eigenen Truppen in Ostsyrien einstellt. Der „Islamische Staat“ ist zwar aus allen städtischen Gebieten der ostsyrischen Provinz Deir ez-Zor vertrieben worden. Dennoch hält die Extremistenmiliz noch zahlreiche Ölfelder westlich und vor allem östlich des Euphratflusses.
Sogar eine Koordinierungs-Hotline wurde eingerichtet
Aymenn Dschawad al-Tamimi, Dschihadismus-Forscher am Middle East Forum, erklärte auf Twitter, dass es sich bei der Abrede um ein umfassendes Abkommen mit dem IS handelt:
Zu den Bedingungen der Waffenstillstandsvereinbarung gehören: Ölquellen, die immer noch vom IS kontrolliert werden. Sie bleiben unter der Kontrolle des IS, Kämpfer können zur Behandlung gehen, es gibt keine Behinderung beim Betreten und Verlassen von Gütern in das Gebiet beider Seiten; eine Hotline zur Koordinierung des Waffenstillstands und Minimierung des Fehlerrisikos [wurde eingerichtet].“
„Abu Emad al-Nayrabi, ein Pro-IS-Medienaktivist, bestätigt, dass es tatsächlich eine Waffenstillstandsvereinbarung für einen Monat gibt. Ein weiterer Bewohner des ländlichen Raums von Al-‚Ashara in der Provinz Deir ez-Zor bestätigte ebenfalls die Existenz eines Waffenstillstandsabkommens“, schreibt al-Tamimi in seinem Blog.
Auch eine Insiderquelle im Umfeld von Dschabhat Thuwar al-Rakka, einer FSA-Miliz innerhalb der SDF-Schirmorganisation, bestätigte gegenüber RT Deutsch das Bestehen eines Waffenstillstands. Die Quelle wies darauf hin, dass es sich wohl um einen Leak aus den Reihen der SDF selbst handelt.
Option auf Verlängerung
RT Deutsch sprach auch mit dem syrischen Militäranalysten des At-Omran-Zentrums, Nawar Oliver. Der Experte erklärte, dass es gegenwärtig erhebliche Spannungen innerhalb der kurdischen Führung über die Zukunft der „Demokratischen Kräfte Syriens“ gibt:
Die USA und SDF jedenfalls machten ein paar clevere und hinterhältige Schachzüge. Anstatt den ‚Islamischen Staat‘ bis zum Schluss zu bekämpfen, gab man ihm sicheres Geleit und sorgte dafür, dass die Situation in der Region für eine lange Zeit nicht stabil bleibt.
Nidal Gazaui, der sich auf Bewegungen dschihadistischer Organisationen wie des „Islamischen Staates“ spezialisiert hat, erklärte gegenüber RT Deutsch:
Bereits vor zwei Wochen wurden unter syrischen Quellen am Boden Andeutungen mir gegenüber gemacht, dass es Verhandlungen zwischen dem ‚Islamischen Staat‘, den ‚Demokratischen Kräften Syriens‘ und der Koalition gegeben hat.
Auf Nachfrage, worum es sich bei dem Waffenstillstand in Ostsyrien konkret handelt, sagte Nidal Gazaui:
Es geht um einen Nichtangriffspakt, der fürs erste einen Monat andauern soll, aber auf bis zu sechs Monate verlängert werden kann. Der Pakt, der heute offenbar in Kraft tritt, endet vorerst am 28. Dezember. Der Hintergrund ist, dass die US-Amerikaner vorerst schauen wollen, ob sich der IS auch vertragstreu zeigt.
Über die Beweggründe, warum die USA und SDF einen Deal mit der wohl gefährlichsten Terrororganisation der Welt eingehen sollte, führte Gazaui folgendes an:
Die SDF müssen nicht mehr mit Anschlägen und täglichen Angriffen rechnen auf Gebiete, die sie erobert haben. Stattdessen können die SDF sich mit den USA darauf konzentrieren, ihre Truppen neu zu formieren und die Ausbildung voranzutreiben. Besonders bemerkenswert ist, dass der IS wohl auch künftig davon absieht, die USA auf US-Boden angreifen zu wollen.
„Auch die SDF müssen sich an Regeln halten“, sagte Gazaui weiter. „Es wird eine Grenze zum IS geben, die die Truppen der SDF nicht übertreten werden.“
Das Kalkül für Washington dahinter sei einfach zu verstehen, immerhin befinden sich die USA ohne Rechtsgrundlage auf syrischem Boden. Nawar Oliver erklärte RT Deutsch:
Mit der fortwährenden Existenz des IS haben die USA einen guten Grund, in Syrien zu bleiben, auch wenn sie ihre Waffenlieferungen an die SDF einstellen sollten. Auf diese Weise bleiben die USA inmitten der Mächte Türkei sowie Russland in Syrien und Iran sowie neben den pro-iranischen Milizen Haschd al-Schaabi im Irak.
Gegenwärtig versucht die syrische Armee, den „Islamischen Staat“ aus Gebieten südlich der Stadt Mayadin an der irakischen Grenze zu verdrängen, schreibt das Nahost-Portal „EA Worldview“ am Dienstag.
IS prahlt mit keinen „Erfolgen“ gegen die SDF mehr
Laut Aymenn al-Tamimi dementieren die SDF inzwischen, dass es ein Waffenstillstandsabkommen gibt. Er bemerkt allerdings, dass der „Islamische Staat“, der ansonsten eher inflationär mit seinen „Kriegserfolgen“ umgeht, seit acht Tagen über keine Kämpfe mit Truppen der SDF im Gebiet des ‚Wilayat al-Barakah‘ mehr berichtet.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, äußerte am vergangenen Donnerstag, dass es keine rechtliche Legitimation für eine militärische Präsenz der USA in Syrien gibt.
Tatsächlich könnte man das, was sie tun, als Besatzung bezeichnen“, fasste die russische Beamtin zusammen.
„US-Verteidigungsminister James Mattis sagte am 13. November offen, dass die US-amerikanischen Truppen Syrien nicht verlassen werden, bis Fortschritte bezüglich einer politischen Lösung erzielt werden. Die USA wollen die Bedingungen willkürlich diktieren“, sagte Sacharowa. „Wir haben bei zahlreichen Gelegenheiten festgestellt, dass solche Äußerungen ernsthafte Zweifel darüber aufkommen lassen, was die wahren Ziele der von den USA geführten Koalition in Syrien sind.“
Beitragsbild: RT-Deutsch
Quelle: https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/61321-rt-exklusiv-leak-beweist-kooperation/