Samstag, April 27, 2024
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Unsoziales Deutschland: Anteil der Menschen mit Niedrigeinkommen gestiegen

Vom Wirtschaftsaufschwung und der sinkenden Arbeitslosigkeit profitieren nicht alle in der Bundesrepublik. Darauf macht erneut eine aktuelle Studie zur Einkommensentwicklung seit 1991 aufmerksam. Danach haben die oberen Einkommen ein größeres Plus, während die unteren zum Teil ein Minus verzeichnen.

Die Zahl der Niedrigverdiener ist gestiegen.

Während die meisten Einkommensgruppen in der Bundesrepublik für die Zeit von 1991 bis 2015 ein Plus verzeichnen können, gilt das für die beiden unteren Gruppen der in Zehnteln eingeteilten Einkommensstatistik nicht. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin festgestellt. In dem am Donnerstag veröffentlichten DIW-Wochenbericht über die Einkommensverteilung heißt es, dass die Einkommensungleichheit in der Bundesrepublik weiterhin „auf einem hohen Niveau“ liegt.

Insgesamt sind die Realeinkommen der Menschen hierzulande in den von der DIW-Studie erfassten 24 Jahren um 15 Prozent gestiegen. Das führt zu dem Eindruck, dass alle mehr im Portemonnaie haben. Den widerlegt das DIW aber und weist daraufhin, dass heute mehr Menschen Niedrigeinkommen beziehen als 1991. Die Gruppen am unteren Ende der Einkommensverteilung hätten nicht von den Zuwächsen profitiert und Verluste zu verzeichnen.

Wer hat, bekommt mehr
Wer schon viel hat, der hat in dem Untersuchungszeitraum noch mehr bekommen als die anderen. Das DIW beschreibt das so:

„Unterteilt man die Bevölkerung in zehn gleich große Gruppen nach Höhe des Einkommens (Dezile), so haben die acht oberen Dezile Einkommenszuwächse erfahren – zwischen fünf Prozent für das dritte und 30 Prozent für das oberste Dezil, also die einkommensstärksten zehn Prozent.“ Das zeigt deutlich, wie ungleich der Einkommenszuwachs verteilt ist: „Bei den zehn Prozent der Personen mit den niedrigsten Einkommen, die monatlich im Durchschnitt real über rund 640 Euro verfügen, waren die Einkommen im Vergleich zum Jahr 1991 rückläufig; im zweiten Dezil haben sie stagniert.“

Damit ist noch nichts darüber gesagt, wie viele Menschen davon betroffen sind.

Die Forscher stellen aber fest, „dass bei weitem nicht alle von der positiven Einkommensentwicklung, die in den letzten Jahren im Wesentlichen dank der boomenden Wirtschaft und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit stattgefunden hat, profitiert haben.“ Dafür gebe es mehrere Gründe, so die Ausweitung des Niedriglohnsektors und der wachsende Bevölkerungsanteil älterer Menschen, deren Alterseinkommen im Schnitt geringer als deren Erwerbseinkommen sind. Eine weitere Rolle spielt laut DIW auch die Zuwanderung.

Zuwanderung erhöht Armutsquote
Die Armutsrisikoschwelle, definiert als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median), lag den Wirtschaftsforschern zufolge 2015 bei einem verfügbaren Nettohaushaltseinkommen von 1.090 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Laut der Studie lag die Armutsrisikoquote im Jahr 2015 bei 16,8 Prozent der Bevölkerung. Das betrifft mehr als 13 Millionen Bundesbürger, die in Armut leben oder von ihr bedroht sind, wie es statistisch offiziell heißt. Mitte der 1990er Jahre hat die Quote laut DIW bei rund elf Prozent gelegen.

Die DIW-Forscher nennen als Ursache dafür unter anderem, dass die Zahl der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gestiegen ist. So habe die Armutsrisikoquote im Jahr 2015 bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 13 Prozent betragen und bei Personen mit direktem Migrationshintergrund 29 Prozent.

Die Zuwanderung habe seit dem Jahr 2007 zugenommen. „Diese neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben aber in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in der Regel niedrige Einkommen“, wird Ko-Autor Jan Goebel in der DIW-Pressemitteilung zitiert. Der Anteil der Personen mit direktem Migrationshintergrund an den niedrigen Einkommensgruppen nehme zu und mache mittlerweile ein Viertel der beiden unteren Gruppen aus. Die für die Studie ausgewerteten Daten zeigten aber auch, „dass sich die Einkommensposition der Migrantinnen und Migranten verbessert, je länger sie sich im Land aufhalten“.

Mieter eher von Armut betroffen
Die Forscher weisen darauf hin, dass Menschen, die zur Miete wohnen, doppelt so häufig von Armut betroffen sind wie jene, die Wohneigentum nutzen können. Sie schlussfolgern, dass es für viele Haushalte vor dem Hintergrund mancherorts rasant steigender Mieten zunehmend schwierig sein dürfte, ihre Wohnkosten zu bestreiten. „Auf der einen Seite gibt es immer mehr Haushalte, die es sich leisten können, in eine eigene Immobilie zu ziehen oder die eine erben, auf der anderen Seite wird ein zunehmender Teil der Haushalte mit geringen Einkommen mit stark steigenden Mieten konfrontiert“, wird Ko-Autor Markus Grabka zitiert. In der DIW-Studie heißt es:

„Vor dem Hintergrund der Mietsteigerungen an zahlreichen Standorten stellt sich die Frage, wie Menschen mit niedrigen Einkommen ihre Mieten zahlen können, ohne Abstriche bei anderen Ausgabenposten zu machen. Die Politik sollte hierbei dem Bau von bezahlbaren (Sozial-)Wohnungen, die ein immer knapperes Gut darstellen, stärkere Priorität einräumen.“

Um welchen Bedarf es sich dabei handelt, hat eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung im April dieses Jahres deutlich gemacht. Danach fehlen in den 77 deutschen Großstädten etwa 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen, darunter etwa 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte. „Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung besteht ein besonders großer Mangel an bezahlbarem Wohnraum einerseits in einwohnerstarken Städten mit vielen Niedrigverdienern (etwa Berlin, Leipzig, Dresden), andererseits in Großstädten mit hohem Mietniveau (z.B. München, Stuttgart, Düsseldorf).“

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