Freitag, April 26, 2024
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Zwei Bomben, eine Anleitung?

Woher stammte das TNT, das Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vorm Abtauchen zum Bau von Rohrbomben nutzten? Der Überbringer hat gestanden. Doch die Quelle der in Zschäpes Garage entdeckten 1,392 Kilogramm militärischen Sprengstoffs kennt keiner.Fehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2)

Jena/Chemnitz/München. 1,39 Kilogramm Trinitrotoluol, kurz TNT, detonierten am 26. September 1980 am Eingang des Münchner Oktoberfestes. Sie töteten 13 Menschen und

 

 

 verletzten 211 weitere, 68 davon schwer. Nach damaligen Erkenntnissen hatte der bei der Explosion ebenfalls getötete mutmaßliche Täter Gundolf Köhler (21) exakt diese Menge des Militär-Sprengstoffs in einen Eigenbau-Sprengsatz aus einer britischen Mörsergranate gefüllt. Nach bis heute offizieller Lesart tat er das im Alleingang, wenngleich an der Version seit Jahrzehnten gezweifelt wird. Köhler hatte zuvor der im Januar 1980 verbotenen rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann" angehört.

Der bayerische Journalist Ulrich Chaussy, der im Fall von Anbeginn recherchiert, macht seit Jahrzehnten auf Unstimmigkeiten der offiziellen Version aufmerksam. Die ARD zeigte diese Woche den auf Chaussys Recherchen basierenden Spielfilm "Der blinde Fleck". Aktuell gibt es neue Hinweise auf damalige Mitwisser beziehungsweise Mittäter. Generalbundesanwalt Harald Range kündigte neue Ermittlungen an.

Im Zuge der Ermittlungen zum 2011 aufgeflogenen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) betonte man Parallelen zum Oktoberfest-Attentat. Die am häufigsten genannte besteht darin, dass die Bundesanwaltschaft auch beim NSU zu sehr vom klar beschränkten Täterkreis ausgeht, zumindest, was Zugehörigkeit zur Terrorvereinigung betrifft. Dass es ein Netzwerk von Unterstützern gab, ist zwar klar, doch kamen im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München auch Verdachtsmomente dafür auf, dass auch andere regelrecht als Täter auftraten. Beim Bombenanschlag auf ein Kölner Lebensmittelgeschäft 2001 passten Beschreibungen der Person, die die Bombe hinterließ, gar nicht zu Böhnhardt oder Mundlos.

Doch zunächst zurück zum Oktoberfest: Die auffälligste Parallele der 1998 aufgeflogenen NSU-Bombenwerkstatt mit der 1980 gebauten Oktoberfest-Bombe ist fast aufs Gramm genau abgewogen. 1,39 Kilogramm TNT waren in Köhlers Bombe, 1,392 Kilogramm TNT gab es in der Jenaer NSU-Garage. Der Unterschied von zwei Gramm ist marginal. Wie kam es zur Übereinstimmung? Identische Bauanleitung? Gängige Handelsmenge? Zufall?

In Gundolf Köhlers Umfeld gab es 1980 jemanden, der über Anleitungen zum Bombenbau verfügte: Wehrsportgruppen-Chef Karl-Heinz Hoffmann. Bei der Durchsuchung seines Schlosses Ermreuth bei Erlangen beschlagnahmte man ein Heft mit dem Titel "Das Märchen vom bösen Wolf". Darin – kein Märchen, sondern eine zwölfseitige Anleitung zum Bau von Rohrbomben. In Erddepots im Umfeld des fränkischen Schlosses, also in jenen Wäldern, durch die Hoffmann seine zeitweise Hunderte Stahlhelm-Köpfe starke Truppe hatte robben lassen, entdeckte man neben Falschgeld auch TNT.

Fast aufs Gramm genau dieselbe Menge an TNT in der Oktoberfestbombe und in der NSU-Bombenwerkstatt – reiner Zufall? 





Foto: Heinz Hirndorf/dpa

 

Das habe damals einer der Wehrsportler "angeschleppt. Das war so'n Bodenfund vom Truppenübungsplatz", versicherte Hoffmann im Zuge der NSU-Ermittlungen der "Freien Presse". "Ich hab mit Sprengstoff nichts zu tun gehabt. Ich hab nie ein einziges Gramm zur Explosion gebracht", sagt der Wehrsport-Chef.

Auch wenn Hoffmann in den 80ern zu jahrelanger Haft verurteilt wurde – eine Beteiligung am Oktoberfest-Attentat wies man ihm nie nach. Ebenso wenig wie eine direkte Verbindung zum Terror-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe.

"Nicht eine einzige Person aus dem Riesenumfeld" der Drei kenne er, sagte Hoffmann der "Freien Presse" im Anfangsstadium der NSU-Ermittlungen. Das "Riesen"-Unterstützer-Umfeld des NSU war zu dem Zeitpunkt indes nur in Ansätzen bekannt. Örtlich zumindest war der ehemalige Wehrsport-Chef in Thüringen damals präsent. Nach der Wende und nach seiner Haft war der aus Nürnberg stammende Hoffmann nach Kahla südlich von Jena gezogen, in jenen Ort, an dem er im Zweiten Weltkrieg seine Jugend verbracht hatte.

Nach eigener Versicherung blieb Hoffmann seit der Haftentlassung "politisch abstinent". Lediglich mit der Sanierung von Denkmälern habe er sich in Kahla befasst. Zeitgleich indes erstarkte gerade in Kahla eine rechtsextreme Szene mit guten Verbindungen zu Chemnitzer Neonazis. Auch Tino Brandt, der Gründer des Thüringer Heimatschutzes (THS), jenes Neonazi-Sammelbeckens, in dem auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe mit ihrer Kameradschaft Jena aktiv waren, hatte in Kahla ein Gartengrundstück gepachtet. In diesem übte Uwe Böhnhardt nach Zeugenaussagen bereits vor dem Abtauchen mit Luftdruckwaffen das Schießen. Wie die Journalisten John Goetz und Christian Fuchs in ihrem Buch "Die Zelle" erwähnen, soll in Brandts Kahlaer Garten auch Karl-Heinz Hoffmann gesichtet worden sein. Die NSU-Ermittler fanden bei der Überprüfung dieser Behauptung später dafür aber keinen Beleg.

Allerdings berichteten Schulfreunde von Uwe Mundlos von dessen Ehrfurcht vor aus dem Westen der Republik stammenden Neo- und Altnazis, die er bereits vor seinem Abtauchen – offenbar über Tino Brandt – kennengelernt haben musste.

 

Das Oktoberfest-Attentat hat bis heute die blutigste Bilanz aller rechtsextremen Anschläge in der Geschichte der Bundesrepublik. 





Foto: Frank Leonhardt/dpa

 

Zum Zeitpunkt des Auffliegens des NSU 2011 wartete die Bild-Zeitung prompt mit einer wahrscheinlichen Quelle des 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt beschlagnahmten TNTs auf. Dieses sei 1990 aus einem Bundeswehrdepot in Kahla gestohlen worden. Der Hypothese traten Berichte anderer Thüringer Zeitungen entgegen. Das damals gestohlene TNT sei doch bei späterer Überführung der Diebe, die nicht aus der rechten Szene gestammt hätten, wieder aufgetaucht.

Zwischenzeitlich hat der spätere Chemnitzer Fluchthelfer des NSU-Trios, der frühere sächsische Blood-&-Honour-Kopf Thomas S., gestanden, den Dreien einst jenes etwa schuhkartongroße Paket TNT besorgt zu haben. Also eine völlig andere Quelle? Mundlos habe ihn 1996 oder 1997 gefragt, ob er Sprengstoff beschaffen könne, so Thomas S. Er habe sich des Blood-&-Honour-Kameraden Jörg W. aus Leppersdorf bei Dresden erinnert. Dem sagte man nach, mit Sprengstoff zu experimentieren, den er auf dem Truppenübungsplatz Königsbrück zusammenklaube. In der Tat habe Jörg W. ihm jenes Paket zukommen lassen. Als Kurier sei der aus Erdmannsdorf bei Chemnitz stammende gemeinsame Blood-&-Honour-Freund Giso T. eingesprungen. Während Giso T. in Befragungen durch die Polizei bestritt, je Sprengstoff überbracht zu haben, räumte Jörg W. ein, das TNT beschafft zu haben. Auch er gestand aber erst im zweiten Verhör. Im ersten hatte er strikt geleugnet.

Die Herkunft des TNTs blieb indes nebulös. Vom Truppenübungsplatz habe es nicht gestammt, sagte Jörg W. Er selbst habe es vielmehr zeitweise für einen weiteren Kameraden aufbewahren sollen, als dieser wegen einer bevorstehenden Haftstrafe ein Versteck für den in seiner Wohnung deponierten Sprengstoff gesucht hatte. Jörg W. nannte den Ermittlern zwar den Namen dieses Freundes, doch behauptete er, dieser sei bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei ums Leben gekommen. Der Spur des aus der Sächsischen Schweiz stammenden toten Sprengstoff-Sammlers ging man nicht weiter nach. Im NSU-Prozess fühlt man dagegen nächste Woche dem angeblichen TNT-Kurier Giso T. auf den Zahn. Für Donnerstag ist er als Zeuge geladen.

Einen Beitrag über die Wehrsport-Hoffmann-Verbindung finden Sie unterwww.freiepresse.de/hoffmann

 

 
erschienen am 07.02.2015 ( Von Jens Eumann )

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