Donnerstag, Mai 2, 2024
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Herbert Kickl: Vom Partei-Hirn zum Corona-„Hirnederl“

Das österreichische Deutsch kennt eine ganze Reihe von Begrifflichkeiten, die weniger derb klingen als sie gemeint sind. Ein Vorteil, den auch unsere in Österreich geborene Gast-Autorin, Daniela Kickl, zu schätzen weiß, wenn sie immer mal wieder etwas bissige Betrachtungen über ihr Geburtsland, dessen Bewohner und Politik anstellt.Als Hirnederl (hochdeutsch: Gehirn-Eduard) bezeichnet man in Österreich, speziell in Wien, eine Person jedweden Geschlechts, deren intellektuelle Fähigkeiten ein wenig zu wünschen übrig lassen. Was das Hirnederl nicht daran hindert, seine Gedanken zu verbalisieren und die Mitmenschen mit diesen zu behelligen.Auch kann es vorkommen, dass sich ein durchaus gut behirntes Individuum zum Hirnederl entwickelt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der amtierende Bundesparteiobmann der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) Herbert Kickl.Die Namensgleichheit der Autorin dieses Textes mit dem Objekt der Betrachtung ist weder zufällig noch freiwillig, sondern den gemeinsamen Großeltern väterlicherseits geschuldet.

Das Hirn der Partei

Die Parteikarriere des Herbert Kickl ist durchaus beeindruckend und war jahrelang davon geprägt, dass er der Mann fürs Grobe und dies im Hintergrund war. Legendär waren seine Sätze, die er dem damaligen FPÖ-Parteiobmann Jörg Haider in den Mund legte, unvergessen die Sprücherln, die er für Wahlkämpfe ersonnen hatte.Unter dem nächsten Bundesparteiobmann HC Strache war die Rollenverteilung klar. Strache war das Herz, Kickl das Hirn. So plausibel und nachvollziehbar diese Rollenverteilung auf jeden aufmerksamen Beobachter auch wirkte, lässt sie doch auch einen Rückschluss zu; Strache fehlte das eigene Hirn, Kickl das Herz.Das Hirn trat im Dezember 2017 aus dem Hintergrund hervor, durfte bis Mai 2019 das Amt des Innenministers ausüben und wurde im Zuge der Ibiza-Affäre als erster Bundesminister der Zweiten Republik entlassen.Der abhanden gekommene Obmann HC Strache wurde durch Norbert G. Hofer ersetzt, der fast zwei Jahre lang auf dieser Position durchhielt. Im Juni 2021 wurde dieser schließlich von Herbert Kickl abgelöst. Das Hirn aus dem Hintergrund war somit unversehens und erstmalig Nummer 1 in der Partei.

Die Suche nach dem Herzen

Die Führungsrolle in einer Partei inmitten der Corona-Pandemie zu übernehmen ist sicherlich kein leichtes Unterfangen. Vor allem dann nicht, wenn man seit Jahrzehnten gewohnt war, aus sicherer Distanz dem Chef Vorlagen zuzuflüstern, die dieser dann nach Gutdünken annahm oder eben nicht.Was blieb Herbert Kickl also übrig, als nicht nur eine exklusive Position für die Partei, sondern auch sein eigenes Herz zu suchen? Nichts, da musste er durch!Eine Wählerfundgrube war rasch ausgemacht, und so lautete die Devise: „Alle nur irgendwie auf Corona gerichteten Kritiker vereinigt euch – bei uns!“ Ganz so einfach, wie er sich das wohl vorgestellt hat, war die Sache jedoch nicht, hatte sich unterdessen doch eine neue Gruppierung namens MFG (Menschen Freiheit Grundrechte) gebildet, die sich durchaus erfolgreich auf dieses Klientel spezialisieren konnte.„Die Ausländer“, die früher bei jeder Gelegenheit für beinahe jedes Ungemach im Land verantwortlich gemacht werden konnten, interessierten wegen der Pandemie so gut wie niemanden. Abgesehen davon, dass diese vom obersten Balkan-Routenschließer Sebastian Kurz bereits gut im Wahl- und Regierungsprogramm untergebracht worden waren.

Der Spagat im Band der Liebe

Corona-Maßnahmen-Gegner, Impfskeptiker und alle anderen, die sich auf den österreichweiten wie regelmäßigen Demonstrationen versammeln, bilden eine ausnehmend heterogene Mischkulanz aus Rechten (mit und ohne Reichsfahnen), Linken (mit und ohne Regenbogenfahnen), Esoterikern, Impfgegnern sowie Anhängern diverser Verschwörungstheorien. Deren Motive sind ebenso unterschiedlich wie ihre politische Ausrichtung.

Rechte gehören zum Stammklientel der FPÖ, da braucht man nicht viel Hirneinsatz, um diese zu begeistern. Wie aber auch jene begeistern, mit denen man sonst genau nichts am Hut hat?Der körperlich topfitte Triathlet Herbert Kickl versuchte sich im emotional-herzlichen Spagat und ließ zum Nationalfeiertag, am 26. Oktober, via Facebook ausrichten:„Uns umschließt ein rot-weiß-rotes Band der Liebe!“Herbert KicklBundesobmann der FPÖEine auf den ersten Blick mehr als erstaunliche Aussage vom „Daham statt Islam“- oder „Pummerin statt Muezzin“-Schöpfer (Anmerkung: die Pummerin ist die größte Glocke Österreichs und befindet sich im Wiener Stephansdom).Anstatt wie früher den Menschen klar zu sagen, in welche Richtung zu gehen ist, begab er sich also auf eine Art „wir haben uns alle so lieb“-Trip und ließ dabei keine Gelegenheit aus zu betonen, wie viel Energie, Optimismus, Stärke und auch Stehvermögen er aus persönlichen Gesprächen und natürlich der johlenden Menge gewinne.

Gruselwölfe als Anheizer

Als angekündigter Stargast auf der Demo vergangenen Samstag in Wien ließ er sich mit seinem Auftritt Zeit und damit anderen den Vortritt, das bunte Völkchen wie eine drittklassige Vorgruppe so richtig anzuheizen. Auf der Bühne fanden sich ähnlich unterschiedliche Typen wie im Publikum, und so durfte man als erstaunter Beobachter ein Gefühlsbad von Erheiterung bis hin zu unwohligem Gruseln durchleben.

Ein bizarres Highlight und unmittelbarer Vorredner war ein Mann aus Südtirol, der mit einem selbst und eigens für den Anlass entworfenem Gedicht über Wölfe die Ohren und Nerven jener strapazierte, die der Veranstaltung lediglich aus akademischen Interesse beiwohnten:„Auf in die Schlacht! Egal, welches Land, egal, welcher Staat. Wir brauchen euch nicht, denn wir sind in Freiheit geboren.“Das also kann passieren, wenn gedankliches und sprachliches Versagen aufeinandertreffen und dann auch noch ein freies Mikrofon in der Nähe ist.Zu Zeiten, als Herbert Kickl nur Partei-Hirn gewesen war, konnte er durchaus auch Zuhörer aus anderen politischen Lagern gewinnen, war er doch stets für einen spitzen Sager gut, der auch außerhalb der blauen Parteifamilie für Erheiterung und/oder Aufregung sorgen konnte. Zuhörer sind aber noch lange keine Gefolgsleute oder gar Wähler, denn Unterhaltungswert alleine macht noch lange kein Kreuzerl am Wahlzettel.

Selbst für FPÖ-Niveau sehr plump

Auf der Suche nach dem Herzen scheint das Hirn von Herbert Kickl ein wenig auf der Strecke geblieben zu sein. Anstelle einer rhetorisch ausgefeilten Rede wurde das Publikum mit wenig originellen Ausdrücken für die Regierung („feige und hinterhältige Gestalten“; „Lemurengruppe“), den Bundeskanzler Karl Nehammer („Corona-Karl, „Pfizer-Koarl, „Kandesbrunzler) sowie für die Sache selbst („Vergewaltigung der Grund- und Freiheitsrechte“; „die Epidemie der Verantwortungslosigkeit und Blödheit“) unterhalten. Dazwischen inszenierte er sich als einziger Retter vor dem „great reset“ und erklärte schwulstig:„Wir sind der Souverän. Wir sind der Chef in diesem Land!“Herbert KicklBundesobmann FPÖDas angestrebte Herz konnte er damit nicht verkörpern, war sein Auftritt doch selbst für FPÖ-Niveau sehr plump. Das in den Hintergrund gerückte oder sonst wohin gefallene Hirn konnte sich auch nicht mehr durchsetzen, und so kam es, dass das ehemalige Partei-Hirn zum Corona-Hirnederl der Nation mutierte.

Quelle!:

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