Samstag, April 27, 2024
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Das Ende von „Mutti“: „Merkel hinterlässt ein Trümmerfeld“ – Interview

„Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt“: So der Titel eines neuen Buchs, das der Autor und Satiriker Peter Zudeickam Montag in Berlin vorgestellt hat. Darin betrachtet er die Kanzlerschaften der Bundesrepublik. SNA sprach mit ihm vor Ort über Sinn und Unsinn von Umfragen und „Mutti Merkels“ Abschied.Kanzlerin Angela Merkel habe Methoden und Taktiken von Alt-Kanzler Helmut Kohl übernommen, um innerparteiliche Konkurrenten in der CDU auszuschalten. Das erzählte der Autor, Peter Zudeick, am Montagabend im Pfefferberg Theater im Interview mit SNA. Dort stellte er sein neues Buch vor: „Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt: Vom Ende deutscher Kanzlerschaften.“„Bei Kohl hieß das Aussitzen“, sagte er. „Der Begriff ist ein bisschen aus der Mode gekommen, aber im Grunde genommen hat Angela Merkel das auch so gemacht. Innerparteiliche Diskussionen hat sie laufen lassen, hat sich nicht dran beteiligt. Hat gewartet, bis sich etwas geklärt hat. Wenn dann so einigermaßen etwa herausgekommen ist, wo der Hase langläuft, hat sie sich an die Spitze der Bewegung gesetzt. Besser kann man es eigentlich nicht machen.“

Vom „unrühmlichen Ende“ deutscher Kanzlerschaften

Es sei „kein Naturgesetz“, dass deutsche Kanzlerschaften immer im Verfall enden müssen, sagte er. „Es ist bloß geschichtlich so geschehen.“ Woran das liegt, wisse er nicht. „Manchmal daran, dass die Kanzler so lange im Amt waren. Manchmal daran, dass sie einfach keine Kraft mehr hatten am Ende.“

Der Moderator Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Berliner „Tagesspiegel“, passte ihm die Bälle zu. Beide lasen lustige bis erhellende Passagen aus dem Werk vor und kommentierten aktuelle politische Ereignisse kurz vor der Bundestagswahl.„Merkel hinterlässt die CDU als ein Trümmerfeld“, bilanzierte Zudeick am Montagabend. „Und zwar deshalb, weil sie sich für diese Partei nie interessiert hat. Sie hatte nie irgendwelche inhaltlichen Vorstellungen, keine Vision. Ihr Abgang ist auch ein Teil der Verfallsgeschichte deutscher Kanzlerschaften: Das Thema meines Buches.“Er berief sich auf zeitgenössische politische Beobachter, Historiker und Hauptstadt-Journalisten, die Merkels lange Kanzlerschaft genau begleitet haben.

Warum Umfragen „eine Seuche“ sind

Der Autor forderte ein „Ende von Umfragen sechs Wochen vor dem Wahlsonntag“. So könnten sich Parteien und Kandidaten kurz vor der Wahl nur noch auf Inhalte konzentrieren und wären keine Getriebenen der Prognosen mehr, sagte er.„Ich denke, dass die Umfragerei einfach zu einer Seuche verkommen ist“, so Zudeick im Gespräch. „Die Leute werden zugepflastert mit Umfragen. Viele, viele Institute. Die mal so, mal so Zahlen veröffentlichen. Die sind auch parteipolitisch immer so ein bisschen ausgerichtet. Und dann werden die fetten Schlagzeilen daraus, die natürlich Wählerverhalten beeinflussen. Deshalb finde ich es einfach demokratisch sauberer, wenn sechs Wochen vor der Wahl – das ist der Termin, wo die Briefwahl-Unterlagen rausgeschickt werden – keine Umfragen mehr veröffentlicht werden dürften.“Allerdings gab er ehrlich zu, er halte es für absolut unrealistisch, dass dies so umgesetzt werden könne.

Scholz, Laschet, Baerbock: Wer wäre „die bessere Wahl“

Auf die Frage, welcher neue Kanzler oder welche Kanzlerin die bessere Wahl für Deutschland aus satirischer Sicht wäre, sagte er:„Ich arbeite ja als Kabarettist mit den O-Tönen der Politiker, die ich ihnen im Munde herumdrehe, damit die Wahrheit rauskommt“, sagte Zudeick.Sollte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) der Merkel-Nachfolger werden, müsse er nur auf Aussagen und Gesten von ihm als Kanzler warten, um den Rheinländer humoristisch zum Narren zu halten. „Da muss ich keine Ideen vorab haben. Die Politiker haben mir, seit ich so arbeite, immer jeden Gefallen getan und jedes Material geliefert, damit ich da ordentlich Honig saugen kann“, gab sich der ebenfalls Rheinländer Zudeick zuversichtlich.Sicherlich wären auch ein „hanseatisch unterkühlter“ Olaf Scholz (SPD) oder eine „stets mädchenhaft-flatterhafte“ Annalena Baerbock (Grüne) gute Vorlagen im Kanzleramt für Satire und Parodie, resümierte er auf der Buchvorstellung.Zudeick arbeitet als freier Journalist und war als Korrespondent für fast alle ARD-Rundfunkanstalten tätig, so der Verlag. „Er studierte Germanistik, Pädagogik, Philosophie und Theaterwissenschaften und promovierte in Philosophie. Seine scharfen politischen Analysen, aber auch seine satirischen Rückblicke haben ihn einem größeren Publikum bekannt gemacht.“ Vor allem mit seinen Satire-Sendungen im Radio für „WDR 5“, dem „NDR“ oder im „MDR“ hat er sich einen Namen gemacht. Darunter der „satirische Wochenrückblick“, wo er allwöchentlich das Verhalten und Sprüche von Politikern gekonnt aufs Korn nimmt.

Von „Kohls Mädchen“ zur „Mutti“

Kanzlerin Merkel war letztlich das „Ergebnis des Parteispendenskandals und der Unfähigkeit der CDU, damit einigermaßen professionell umzugehen“, analysiert der Autor in seinem neuen Werk. „Der Weg dahin war bemerkenswert, eine Parteikarriere im Zeitraffer. (…) Zehn Jahre vom Eintritt in die Partei zum Vorsitz, eine historisch einmalige Leistung.“Sie wurde zunächst „Kohls Mädchen“ und schließlich zur „Mutti“. Doch: „Als Strategin, politische Denkerin, gar Vordenkerin ist sie nie aufgefallen. (…) Nüchtern, pragmatisch, solide, analytisch, hart, zäh, ausdauernd – das sind die Eigenschaften, die Freund und Feind ihr bis heute attestieren. Wobei nicht immer klar ist, ob diese Einschätzungen als Kompliment gelten sollen.“ Aber: Merkel wurde in ihrer politischen Karriere immer „maßlos unterschätzt“.Zum Beispiel Ende der 1990er Jahre: „Merkel stürzt Kohl – damit hatte niemand gerechnet.“ Ein Vorteil für sie sei dabei immer ihr Pragmatismus gewesen:„Die CDU-Chefin räumt Positionen und wechselt Überzeugungen wie andere die Socken.“ Wie etwa in ihrer Atomkraft-Politik, so das Buch. Erst war sie eindeutig dafür und dann nach der Fukushima-Katastrophe in Japan gegen Atomkraftwerke in Deutschland.Ihr Motto dabei stets: „Mach andere von dir abhängig, verteile Posten und Einflussbereiche, halte die Regionalfürsten klein – und vor allem halte dich aus großen Debatten raus. (…) Sie hat ihre Konkurrenten ausgesessen, weggelobt, ausgetrickst, weggebissen.“ Leidtragende darunter seien etwa CSU-Urgestein Edmund Stoiber, die CDU-Größen Wolfgang SchäubleFriedrich Merz oder der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos von der CSU.

Merkels Abschied und viele Krisen

Zum Ende ihrer langen Amtszeit häufen sich dann die außen- und innenpolitischen Krisen: Finanz- und Euro-Krise mit dem Griechenland-Drama, das Erstarken der AfD, die Flüchtlingskrise 2015 bis hin zur Corona-Pandemie. Immer öfter werden Merkel so ihre Grenzen aufgezeigt, so Zudeick. Bezeichnend sei es, dass ihre politische Abschiedstour in die größte Gesundheitskatastrophe der Neuzeit fällt.„Die Ära Merkel geht zu Ende“, schreibt er. „Und man fragt sich, was diese Ära ausgemacht hat, ob es überhaupt eine war oder eher ein Irrtum. (…) Angela Merkel hat auf eine weitere Amtszeit verzichtet, weil der Rückhalt in den eigenen Reihen immer mehr bröckelte. Und nach einem Jahr Pandemie scheint der Vertrauensverlust immer größer zu werden. Es wird wohl kein triumphaler Abgang werden. (…) Sie hinterlässt eine Partei, die ums Überleben als Kanzlerpartei ringt“, schlussfolgert er. Schließlich sei Kanzlerkandidat Laschet, der laut aktuellen Umfragen kaum überzeugen kann, auch ein „Merkel-Mann“.

„Irgendwann ist der Lack ab“, resümiert das Buch, das die These aufstellt, bisher seien alle deutschen Regierungschefs am Schluss ihrer Amtszeit „im Verfall“ geendet. „Selbst die erfolgreichsten Kanzlerschaften enden in Deutschland irgendwie mit schalem Beigeschmack. Konrad Adenauer musste aus dem Amt getragen werden. Ludwig Erhard (und Helmut Schmidt) wurde rausgeschubst. Willy Brandt zum Rücktritt gezwungen, Helmut Kohls Kanzlerschaft endete in Skandalen und Gerhard Schröder kegelte sich (durch überstürzte Neuwahlen) selbst aus dem Spiel.“

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