Montag, April 29, 2024
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„Geschichte darf nicht zur Waffe werden“: Steinmeier spricht erstmals im Deutsch-Russischen Museum

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hielt am Freitag eine Gedenkrede zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die UdSSR am 22. Juni 1941 im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Damit eröffnete er die Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“. SNA hat die Rede verfolgt.Den 22. Juni 1941 schilderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Beispiel eines jungen, sowjetischen Panzergrenadiers und dessen Einheit. Die Soldaten liegen entspannt im Gras, genießen die Sonne. „Dass dort die deutsche Wehrmacht auf sie wartet, wissen sie nicht. (…) Bilder der deutschen Wochenschau aus diesen Tagen zeigen den Ort. Eine freie Fläche, von Stacheldraht umzäunt. Ein Sammellager. Und irgendwo in dieser Menge ist auch Boris Popow. (…) Was man tatsächlich sieht, sind die Gesichter völlig entkräfteter Gefangener.“ Popow überlebte den Krieg und starb dem Redner zufolge erst vor genau einem Jahr im Alter von über 90 Jahren in Minsk. Auch dessen Mutter überlebte die Hunger-Blockade durch die Wehrmacht in ihrer Heimatstadt Leningrad.Steinmeier ist damit der erste Bundespräsident überhaupt, der das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst besucht.

Erster Bundespräsident im Deutsch-Russischen Museum

„Es ist die Geschichte von nur einem einzigen Soldaten und der Krieg, von dem er erzählt, begann schon mit dem deutschen Überfall auf Boden zwei Jahre zuvor“, fuhr er fort. „Was nun folgte, war die Entfesselung von Hass und Gewalt, die Radikalisierung eines Krieges hin zum Wahn totaler Vernichtung. Vom ersten Tage an war der deutsche Feldzug getrieben von Hass, Antisemitismus, Anti-Bolschewismus und dem Rassenwahn gegenüber den slawischen Völkern.“ Es ging um die „Entmenschlichung des Anderen.“

Es sei „eine ergreifende Lebensgeschichte, die Boris Popow uns hinterlassen hat“, erinnerte der Bundespräsident.

„Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei. Daran müssen wir erinnern, so schwer es uns fallen mag. Das bleibt unsere Verpflichtung und der Welt ein Mahnmal.“Unmittelbar verknüpft mit dem deutschen Vormarsch war die Ermordung zahlloser Zivilisten, darunter Frauen, Kinder, Greise, Juden oder nur vermeintlich jüdische Menschen. „Es werden am Ende 27 Millionen Tote sein, die die Völker der Sowjetunion zu beklagen hatten. Niemand hatte in diesem Krieg mehr Opfer zu beklagen.“ Sowjetische Kriegsgefangenen ließen die deutschen Besatzer „verhungern, sie wurden erschossen, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht. Die Wehrmacht, die die Verantwortung für die Gefangenen trug, hatte nicht die Absicht, diese zu ernähren.“

Historische Verantwortung für die Bundesrepublik

„Und doch sind diese sowjetischen Opfer nicht so tief ins kollektive Gedächtnis (der Deutschen, Anm. d. Red.) eingebrannt“, mahnte Steinmeier. Deutschland müsse die Erinnerung an diese vielen Toten und die Spuren dieses Krieges immer aufrechterhalten.

„Man findet sie von der Weißmeerküste im Norden bis zur Krim im Süden. Von den Ostseedünen im Westen bis Wolgograd im Osten. Es sind Zeichen des Verlustes. Zurück blieben Massengräber. ‚Brudergräber‘ – wie man auf belarussisch, ukrainisch und russisch sagt.“

Moskau, Leningrad und Kiew in Gefahr

„Die Pläne, denen die deutschen Soldaten folgten, hießen Generalplan Ost. Es waren Pläne, die das Aushungern und Ausbeuten von Menschen, ihre Vertreibung und Versklavung, und schließlich ihre Vernichtung zum Ziel hatten.“ Die gesamte sowjetische Bevölkerung wurde laut Steinmeier damals zum Gegner Nazi-Deutschlands erklärt: „Vom Neugeborenen bis zum Greis.“

Dies sei ein unfassbares Verbrechen. „Moskau oder Kiew, auch Leningrad, das heutige Sankt Petersburg, sollten dem Erdboden gleichgemacht werden.“

„Ich verneige mich vor allen Opfern der Sowjetunion dieses Krieges“, sagte Steinmeier vor einem internationalen Publikum, dem unter anderem auch Gäste aus Russland beiwohnten.

Kranzniederlegung am Sowjetischen Ehrenmal in Pankow

Angesichts dieser Schrecken, bleibe es die Aufgabe für die Bundesrepublik, „eine friedliche Zukunft kommender Generationen auf diesem Kontinent“ zu sichern. Wer noch Spuren dieses Vernichtungsfeldzugs sehen wolle, „der findet sie in der Heimat“, betonte das Staatsoberhaupt.Er würde sich wünschen, dass auch „junge Menschen diese vergessenen Orte der Schrecken der Vergangenheit in Osteuropa aufsuchen.“ Dies wäre ein wahrhafter Beitrag zur Sicherung der Völkerverständigung und des Friedens. Um „ein friedliches Zusammenleben in Freiheit“ zu ermöglichen. „Geschichte darf nicht zur Waffe werden“, mahnte der SPD-Politiker abschließend. „Bei allem notwendigen Streit über Sicherheit in der Diplomatie muss Zeit für Erinnerung sein.“Am 22. Juni, dem Jahrestag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf die UdSSR, wird Steinmeier einen Kranz am Sowjetischen Ehrenmal Schönholzer Heide in Berlin-Pankow niederlegen. „Vor dem Denkmal der „Mutter Heimat“ gedenkt der Bundespräsident der vielen gefallenen sowjetischen Soldatinnen und Soldaten und der zivilen Opfer“, informierte das Bundespräsidialamt im Vorfeld. „Das Ehrenmal Schönholzer Heide ist neben den in Treptow und Tiergarten gelegenen eines der drei großen sowjetischen Ehrenmäler in Berlin. Dort liegen die sterblichen Überreste von über 13.000 Offizieren und Soldaten der Roten Armee, die in der Schlacht um Berlin 1945 starben.“

Sonder-Ausstellung zu sowjetischen Kriegsgefangenen eröffnet

Vor Beginn der Gedenkrede begrüßte der Direktor des Museums, Historiker Jörg Morré, Steinmeier in diesem „historischen Saal, wo die Wehrmacht vor dem sowjetischen Hauptquartier kapitulieren musste. Die Sowjetunion hat den Sieg teuer erkauft.“

In Zusammenarbeit mit weiteren historischen Institutionen, darunter KZ-Gedenkstätten oder auch ein Institut in Moskau, wurde damit die Ausstellung „Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg“ feierlich und für alle zugänglich eröffnet. Für diese gab es Zusammenarbeit „mit Kollegen aus Belarus und der Ukraine“. Das ganze Projekt habe unter der Corona-Pandemie „stark gelitten“, bedauerte Morré. „Wir hoffen sehr, dass wir in Zukunft diese Ausstellung auch bei unseren internationalen Partnern zeigen können“, sagte er und bedankte sich auch beim Bund angesichts finanzieller Förderung zur Realisierung dieser historischen Gedenk-Aktion.

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