Montag, April 29, 2024
StartPolitikEUPiS will nicht zahlen? Polen-Experte benennt EU-Trumpf im Justizkonflikt mit Warschau

PiS will nicht zahlen? Polen-Experte benennt EU-Trumpf im Justizkonflikt mit Warschau

Warschau hat im Justiz-Streit mit der EU Zwangsgeld im Wert von einer Million Euro pro Tag auferlegt bekommen, will aber keinen „einzigen Zloty“ an die EU zahlen. Wohin kann das führen? Laut dem Polen-Experten Dr. Stefan Bollinger gibt es für Polen schon einiges zu verlieren. Er erklärt auch, warum es keinen „Polexit“ geben wird.Es liegt an der umstrittenen Justizreform, nach der das polnische Verfassungsgericht beschlossen hat, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. 2018 war in Polen eine Disziplinarkammer eingesetzt, die für Disziplinarverfahren gegen Richter zuständig ist. Die polnische Regierungspartei PiS will mithilfe der Kammer gegen Korruption vorgehen – die EU sieht darin ein Vorgehen gegen das Prinzip einer unabhängigen Justiz. Auch besteht die EU-Kommission auf dem Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht. Mitte September war Warschau wegen des Tagebaus Turow an der Grenze zu Sachsen noch zu einer täglichen Geldstrafe in Höhe von 500.000 Euro verurteilt worden.„Polen kann und sollte auch nicht nur einen einzigen Zloty zahlen“, erklärte der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro bereits. Polen als Staat dürfe „nicht der Gesetzlosigkeit nachgeben“, betonte er. Ziobro gehört der Partei Solidarna Polska (Solidarisches Polen), einer Abspaltung von Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, PiS), mit der sie auch mitregiert. Doch ist das alles, was hinter ihrem Konflikt mit der EU steckt?

Kann Polen auf Corona-Zahlungen aus EU verzichten?

„In Polen herrscht mit der PiS eine rechtskonservative, nationalistische Partei, die auf die eigenen nationalen Interessen pocht“, betont der Politikwissenschaftler und Historiker Dr. Stefan Bollinger, der sich seit Jahren auch eng mit den deutsch-polnischen Beziehungen beschäftigt. Die PiS-Regierung will aus seiner Sicht im Inneren ihre Macht stabilisieren und idealerweise perpetuieren. Deswegen wolle sie auch die Justiz „an die Kandare nehmen“ und reagiere jetzt allergisch auf solche Bevormundungen aus Brüssel. „Denn bei aller Begeisterung für Freizügigkeit und durch Brüssel bewirkte Umverteilungsprozesse, die ökonomischen, sozialen und politischen Entscheidungen, auch die politischen Klassenkämpfe finden zuallererst national statt.“

Die Strafzahlungen im Wert von insgesamt anderthalb Millionen Euro sollten für Polen jedoch erheblich sein. Offen bleibt nach der Einschätzung Bollingers, ob diese Zahlungen zwangsweise eingetrieben werden könnten – nicht durch einen Gerichtsvollzieher in Warschau, aber „unproblematisch durch entsprechende Kürzungen der EU-Zuweisungen an Polen“. Problematisch und belastend für Polen wäre es, wenn die Corona-Hilfszahlungen bis zu 38 Milliarden Euro im Zuge dieser Auseinandersetzungen wegfielen.

Darum braucht die EU wohl Polen

Jedoch findet der Experte einen Bruch zwischen der EU und Polen oder etwa sogar einen Polexit unwahrscheinlich. „Nicht allein, weil es in Polen starke Kräfte gibt, die an einem proeuropäischen Kurs auch um den Preis nationaler Würde interessiert sind“, erklärt Bollinger. „Dass die EU diese Entwicklung forciert, siehe den Einsatz des ehemaligen EU-Kommissionsvorsitzenden Donald Tusk, ist ein Beispiel für die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates.“ Der Experte ist sich jedoch sicher: die Republik Polen könne im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Interessen und Abhängigkeiten kein Interesse haben, den Konflikt auf Dauer und bis zur letzten Konsequenz zu betreiben. Andererseits brauche die EU – und in ihrem Hintergrund Deutschland, die Nato und die USA – Polen „als Bollwerk und Speerspitze gegen Russland“.„Schon darum werden sie jenseits aller Moraläußerungen und Menschenrechtserklärungen versuchen, an Polen zur Not auch mit einer aufmüpfigen PiS-Regierung festzuhalten. Oder den Weg zu einem Regimechanging mit einer ihnen genehmen Regierung etwa von Tusk gehen.“Inzwischen gilt Tusk (Platforma Obywatelska, deutsch: Bürgerplattform) in Polen als Oppositionsführer. Anfang Oktober hatte er auch zu Protesten gegen das berüchtigte Urteil des polnischen Verfassungsgerichts aufgerufen.

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