Montag, April 29, 2024
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Verpasste Chance im „Niemandsland“: Ist die AfD „langweiligste Partei“ im Wahlkampf?

Hochwasser, eine durch Corona gespaltene Gesellschaft – und ein „langweiliger Wahlkampf“, wie selbst die „New York Times“ notiert. Laschet befindet sich mit der „Dauer-Abo“-Partei aufs Kanzleramt im Tief. Die grüne Kandidatin schießt sich selbst raus und ein bieder wirkender Scholz scheint zu gewinnen. Und die AfD? – Kann davon kaum profitieren.Erinnern Sie sich noch? – Das Elb-Hochwasser im August 2002? Damals packte Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) selbst mit an. Etwa in Gummistiefeln im sächsischen Grimma. „Er zeigt sich tief erschüttert und verspricht unbürokratische Hilfe, was seine Popularitätswerte vor der Wahl deutlich steigen lässt“, blickt der „SWR“ zurück. Wenige Wochen danach gewinnt Schröder die Bundestagswahl gegen Edmund Stoiber und verteidigt das Kanzleramt.Wie es der Zufall so will, schlimm genug für alle Betroffenen, gibt es auch im „Super-Wahljahr“ 2021 ein Hochwasser. Ausgerechnet in Westdeutschland, in Nordrhein-Westfalen. Der Heimat von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Und was macht der? Lacht vor laufenden Kameras, während der Bundespräsident eine tief betroffene Rede hält. Spätestens da wird klar: Ein sprichwörtlicher Katastrophen-Wahlkampf für die Union hat begonnen …

Wer „packt an“?

Erinnern Sie sich noch? Als die Grünen entschieden, Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin zu nominieren? Da begann ein regelrechter „Hype“ um grüne Höhenflüge in Umfragen, im Blätterwald rauschte es und es klang so: Die nächste Bundesregierung steht fest – und sie wird von der Partei mit der Farbe des Waldes angeführt. Ziemlich sicher war das – scheinbar. Bis veränderte Lebensläufe, Plagiatsstellen in ihrem Buch und so mancher von den Medien aufgezeichnete Versprecher und Kraftausdruck den sicher geglaubten Sieg der Grünen verpuffen ließ.

Erinnern Sie sich no– nein, Moment! Diese Frage ist falsch formuliert: Schließlich stecken wir alle noch mitten in der Corona-Krise, die so langsam wie die „Unendliche Geschichte“ anmutet. Aber wie war nochmal die Aussage von SPD-Kandidat Olaf Scholz? „Die Geimpften sind Versuchskaninchen“, sagte er Anfang September. Die Folge? Ein nur kleiner Aufschrei im Mainstream und eine erneute Bestätigung für „Querdenker“ und Maßnahmen-Kritiker. Aber sonst?Und während Scholz mit dem Slogan „Er packt das an“ wirbt – hat sein alter Genosse Schröder genau das tatsächlich und wahrhaftig getan: Angepackt. Mit eigenen Händen, vom Schlamm beschmiert. Zumindest wirkte es damals in den Medien so. Zugegeben: Auch Scholz war im westdeutschen Hochwassergebiet. Doch der kühle Hanseat aus Hamburg wirkte eher so, als wäre er der Fachmann von der Versicherung, der mal kurz vor Ort die Schäden besichtigt. Sich aber eigentlich freut, bald wieder am Schreibtisch zu sitzen, um über Schadenssummen zu brüten und diese zu kalkulieren.

Britische „Tea Time“ spannender als Scholz?

„Amerika lacht über die deutschen Personalien“, brachte es das Debatten-Magazin „The European“ vor wenigen Tagen auf den Punkt. Dort wurde ein aktueller Beitrag der renommierten US-Zeitung „New York Times“ zitiert, in welchem der deutsche Politbetrieb „vernichtend“ analysiert wird:Es sei „aufregender, einem Topf kochendem Wasser zuzuschauen, als Olaf Scholz“, schreibt die Zeitung aus New York. Der SPD-Mann sei „der größte Langweiler“. Auch Laschet und Baerbock würden ein „Charisma-Vakuum“ erzeugen, so das Urteil. Also – wenn selbst US-Medien eine Tasse gekochten Tee spannender finden als den ersten sozialdemokratischen Kanzler in Deutschland seit 2005 …

Milder ausgedrückt, kann der aktuelle Bundestagswahlkampf getrost als politisches „Niemandsland“ bezeichnet werden. „Deutsche, mal ehrlich: Wie langweilig ist deutscher Wahlkampf“, erklärte eine erzürnte Satire-Sendung „WDR 5 Morgenecho“ am Dienstag.„Wo bleibt die Show? Wo bleibt das Entertainment? Gebt mir Einspieler mit epischer Musik! Gebt mir Fanfaren! Ich will nach der Sendung nicht sicher sein, ob ich mir grad ‚Wahlarena‘ oder ‚Troja‘ reingezogen habe.“Um es kurz zu machen. Wer nur über etwas politischen Sachverstand und Fingerspitzengefühl verfügt, für den müsste eigentlich klar sein: Wenn die Kandidaten der etablierten Parteien so blass aussehen, nicht liefern und von einem Fettnäpfchen ins nächste latschen – dann müsste davon eigentlich die Opposition profitieren. Und am meisten sollte eine Partei davon profitieren, die sich selbst als absolute „Anti-System-Partei“ versteht und von der es nur eine im Bundestag gibt – die Alternative für Deutschland.

AfD stagniert in Umfragen

Doch wo steht die AfD momentan? Laut Umfragen dort, wo sie bereits 2017 beim ersten Einzug in den Bundestag stand: Zwischen elf und zwölf Prozent. Kritikern der Partei – vor allem „Die Linke“, aber auch die anderen Mitbewerber, linke und zivilgesellschaftliche Organisationen – dürfte dieser Umstand sicherlich gefallen.

Irgendwie hat es die häufig laut polternde „Alternative“ nicht verstanden, aus der prominenten Schwäche der anderen Kandidaten und Mitbewerber politisches Kapital zu schlagen. Obwohl Vertreter der AfD häufig den Modus „Attacke“ fahren und CDU, SPD, Grüne und FDP gleichermaßen angreifen. Doch Umfragen zufolge dürfte all dies kaum Auswirkungen auf den Wahlgang am Sonntag haben.Woran liegt es? Hat die AfD ihr Wählerpotenzial schon ausgeschöpft? Oder hat sich der deutsche Wähler schon so sehr an die Partei gewöhnt, dass sie ihm gar nicht mehr auffällt?

AfD-Spitzenpolitiker meist souverän – doch ohne Effekt?

Das Spitzenpersonal der Partei – etwa Alice Weidel und Tino Chrupalla – schlägt sich tapfer in Interviews, Talkshows und TV-Formaten. Oppositionsführerin Weidel wirkt häufig souverän, ging etwa beim letzten „Vierkampf“ im Fernsehen alle politischen Gegner gleich hart an. Auch Bundessprecher Chrupalla zeigt sich immer häufiger sicher in solchen Situationen, wo die Fragesteller meist aus ihrer Abneigung gegen die AfD keinen Hehl machen. Es heißt, ein Experte für Öffentlichkeitsarbeit schult ihn für diese Auftritte.

Kürzlich befand sich AfD-Spitzenkandidat Chrupalla im Video-Interview bei „Funk“, dem Jugend-Angebot von ARD und Co. Die beiden Interviewer nahmen im Format „Kreuzverhör“ den Politiker scharf in die Mangel: Warum leugnet die AfD den menschengemachten Klimawandel? Warum wird das Coronavirus unterschätzt? Wie hält es die Partei mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen und wie mit der Migration?

„Auffällig unauffällig“

Auf all das hatte Chrupalla relativ schlüssige Antworten parat. Nur beim Punkt, wo es um die rechtsextreme Vergangenheit einiger AfD-Mitglieder ging, kam er zwischenzeitlich kurz ins Straucheln. Aber sonst? – Meist souverän agiert. Und der Effekt? – Kaum Resonanz in den Medien. Irgendwie überwiegt der Eindruck, die Spitzenmannschaft der AfD kann sich in öffentlichen Auftritten so gut schlagen wie sie will. Registriert wird es scheinbar doch nur in der eigenen „Meinungs-Bubble“ (Filterblase), welche die Partei sowieso schon längst erreicht. Sprich: Es werden scheinbar keine neuen Wählerinnen und Wähler angesprochen. Auch die „Tagesschau“ kam vor wenigen Tagen zur Erkenntnis, der AfD-Wahlkampf sei „auffällig unauffällig“.Auffällig sei, „wie sich die anderen Parteien, die Medien und auch die Wähler an die AfD gewöhnt haben“, so die Analyse. „Wir sind die langweiligste Partei im Wahlkampf“, wird ein Mitglied des AfD-Bundesvorstands zitiert, will aber namentlich nicht genannt werden. In Koalitions-Gedankenspielen sei die AfD außen vor. „Keiner will mit ihr und auch sie würde mit niemandem ernsthaft über eine Zusammenarbeit sprechen.“Was also macht die AfD also falsch? Warum wirkt die Partei in einem langweiligen Wahlkampf selbst behäbig? Wird sie vielleicht doch zu sehr durch interne Machtkämpfe – der national ausgerichtete ex-Flügel versus „Gemäßigte“ – gelähmt?

Jetzt kurz vor der Bundestagswahl gebe es „einen Burgfrieden, der jedoch nur vordergründig sei“, berichtete der „Deutschlandfunk“ Ende August. Die inhaltlichen Debatten würden zeigen, wie tief zerrissen die Partei zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel weiterhin dastehe.

Corona als Wahlkampf-Thema – und Grund für Stimmenverluste?

Bezeichnend vielleicht auch die Entwicklung der Prognosen zur AfD vor und nach Beginn der Corona-Krise. „Bevor die Pandemie über das Land hereinbrach, da sahen die Demoskopen die AfD bei 14 oder 15 Prozent, deutlich mehr als die 12,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl“, berichtete der Newsletter der Redaktion des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ vor wenigen Tagen.Doch: „Seit das Virus die Politik bestimmt, kämpfen die Rechten um Aufmerksamkeit. Lange tat sich die AfD schwer, eine gemeinsame Haltung zu den Anti-Corona-Maßnahmen zu finden.“ Dies verwundert umso mehr, ist es doch speziell die AfD, die in Total-Opposition zur aktuellen Corona-Politik der Bundesregierung steht – und immer wieder „Impfzwang“ und Masken-Regeln kritisiert und für deren Abschaffung plädiert.Sicherlich gibt es noch mehr Gründe für den schwachen Wahlkampf der AfD.

Als anschauliches Beispiel dient die aktuelle Lage im südlichen Thüringen. Dort schafft es ein CDU-Rechtsaußen, Hans-Georg Maaßen, AfD-Themen in den Wahlkampf zu bringen – ohne selbst für die Alternative für Deutschland anzutreten. Und „klaut“ so der Partei Aufmerksamkeit und möglicherweise Stimmen. Aber auch Maaßen muss sich höchstwahrscheinlich dem beliebten SPD-Kandidaten der Region, Biathlon-Weltmeister und Olympia-Sieger Frank Ullrich, geschlagen geben. Vielleicht noch eines der spannendsten Duelle in diesem „langweiligen Wahlkampf“ …Wie heißt es am Ende so schön: Entscheidend ist auf’m Platz (oder in der Wahlkabine). Am Sonntagabend wissen wir mehr. Also – abwarten und Tee trinken.

*Die Meinung des Autors muss nicht mit der der Redaktion übereinstimmen

Quelle!:

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