Sonntag, Mai 5, 2024
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Westliche Doppelmoral: Maas wirft Russland und China „Impfstoffdiplomatie“ vor

Am Rande des G20-Gipfels in Italien warf Außenminister Heiko Maas (SPD) Russland und China „Impfstoffdiplomatie“ vor. Die beiden Länder würden mit der Verteilung ihrer Impfstoffe geostrategische Ziele verfolgen. Unsere Kommentatorin erinnert Maas daran, dass die russischen und chinesischen Impfstoffe für manches Land die einzige Hoffnung sind.Im süditalienischen Matera treffen sich im Rahmen der G20 die Außen- und Entwicklungsminister der 20 größten Industrienationen und Schwellenländer. Noch bevor es an den Verhandlungstisch ging, richtete Deutschlands Außenminister Heiko Maas mahnende Worte an Russland und China. Der SPD-Politiker warf den beiden Ländern vor, sie würden mit der Verteilung ihrer Impfstoffe versuchen, ihren Einfluss in der Welt auszubauen. Bei der Bekämpfung der Pandemie dürfe es nicht darum gehen, „kurzfristige geostrategische Vorteile zu erzielen“, sagte er. Russland und China müssten verstehen, „dass wir von deren Impfstoffdiplomatie nichts halten“. Die Pandemie müsse gemeinsam bekämpft werden, „denn jeder von uns wird erst dann sicher sein, wenn wir alle sicher sind“, so Maas.

Impfstoffe aus dem Westen sind „humanitäre Hilfe“ – Impfstoffe aus Russland und China sind „Impfstoffdiplomatie“

„Impfstoffdiplomatie“? Was im Westen humanitäre Hilfe heißt, wird im Fall von Russland und China offenbar ganz anders bewertet. China hat laut Medienberichten bis dato mehr als 350 Millionen Impfdosen an über 80 Länder geliefert – gespendet oder billiger verkauft. Bei Russland liegen keine offiziellen Zahlen vor, das Engagement ist aber ähnlich. Wenn es nach Maas unser aller Bestreben sein sollte, das Virus global zu bekämpfen, dann klingt das doch gar nicht so falsch, wenn große Länder, die über einen eigenen Impfstoff verfügen, diesen mit anderen, gerade den ärmeren Ländern teilen.

Am Beispiel der kleinen zentralasiatischen Republik Kirgistan lässt sich nachvollziehen, wie sich die Hilfe Russlands und Chinas auswirkt und wie im Vergleich dazu der Westen abschneidet. Die ehemalige Sowjetrepublik, die an China grenzt, gehört mit einem BIP von 1,146 Milliarden US-Dollar (2020) zu den ärmsten Regionen der Welt (zum Vergleich: Deutschlands BIP betrug 2020 3,97 Billionen Dollar). Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds liegt Kirgistan damit im Länder-Ranking auf Platz 146 von 194.

Die Corona-Pandemie hatte Kirgistan schwer getroffen. Über die Zahl der Infizierten, Erkrankten und Verstorbenen gibt es keine verlässlichen Daten. Wie uns die kirgisischen Kollegen berichteten, habe es einerseits an Tests gefehlt, andererseits habe man zu Beginn der Pandemie die Erkrankten mit Diagnose Lungenentzündung nicht in Zusammenhang mit dem Coronavirus gebracht, sodass deren Zahl nicht in die offizielle Zählung eingeflossen sei. Andererseits hätten sie alle das Virus gehabt, auch alle ihre Verwandten und Bekannten, so die kirgisischen Kollegen. Viele seien verstorben, manche davon auf den Stufen der völlig überlasteten Kliniken. Nach offiziellen Angaben von staatlicher Seite sind seit Beginn der Pandemie 110.082 Menschen an Covid-19 erkrankt und 2000 daran gestorben. Zuletzt habe die Inzidenz wieder stark zugenommen: In den letzten 24 Stunden seien 1965 neue Corona-Fälle registriert worden (die Gesamtbevölkerung beträgt rund sechs Millionen Menschen).

Covax-Angebot an Kirgistan ignorierte fehlende Kühlkapazitäten

Dass das kleine Land mit der Pandemiebekämpfung selbst nicht fertig wird und internationale Hilfe nur allzu nötig und willkommen wäre, wurde sehr schnell klar. Diese Hilfe versprach die Initiative „Covid-19 Vaccines Global Access“ (COVAX). Im April 2020 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Kommission und Frankreich gegründet, hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, weltweit einen gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zu gewährleisten. Im Rahmen ihres Hilfsprogramms wollte die Initiative Anfang 2021 auch Kirgistan 1,2 Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer zukommen lassen. Was die westlichen Gönner aber nicht bedacht hatten: Der Impfstoff muss gekühlt werden und Kirgistan verfügt über eine solche Kühltechnik nicht. Anfang Februar musste Kirgistan daher die großzügige Spende aus dem Westen dankend ablehnen. Die 504.000 Dosen des Impfstoffs Astrazeneca, die dem Land von COVAX stattdessen angeboten wurden, dürften da nur ein schwacher Trost gewesen sein.

Zur Hilfe gekommen sind Russland und China. Seit April hat Kirgistan von Russland in drei Tranchen insgesamt 500.000 Dosen des Impfstoffs „Sputnik V“ erhalten – kostenlos. China schickte im März 150.000 Dosen des Vakzins Sinopharm und versprach, in Kürze weitere 150.000 Dosen zu liefern, ebenfalls alles kostenlos. Bisher geimpft sind nach offiziellen Angaben gerade einmal 0,7 Prozent der Bevölkerung. Die kirgisische Regierung hat angekündigt, weitere 500.000 Dosen „Sputnik V“ bestellen zu wollen, diesmal auf eigene Rechnung. Mit nur 9,60 Euro pro Dosis gehört „Sputnik V“ zu den günstigsten Corona-Impfstoffen der Welt (zum Vergleich: Eine Dosis des Impfstoffs von Biontech/Pfizer kostet in der EU 15,50 Euro).

Groteske Verdrehung von Fakten

Vor diesem Hintergrund erscheint der Vorwurf des deutschen Außenministers, Russland und China würden mit ihrer humanitären Hilfe geostrategische Ziele verfolgen, geradezu grotesk. Während die beiden Staaten aktive Hilfe leisten, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen, schaut die internationale Gemeinschaft tatenlos zu. Wollte der Westen tatsächlich etwas für die Pandemiebekämpfung in armen Ländern tun, statt sich mit leeren Parolen moralisch selbst zu erhöhen und andere der „Impfstoffdiplomatie“ zu bezichtigen, könnte er sich zum Beispiel etwas einfallen lassen, wie die Kühlkette für den Impfstoff von Biontech/Pfizer sichergestellt werden kann. Oder er könnte mehr Impfstoff zur Verfügung stellen, der dieser Kühlung nicht bedarf. Oder hier, eine ganz verrückte Idee: Lasst uns die Patente auf Impfstoff freigeben… Passiert alles nicht, und die armen Länder haben das Nachsehen.

Und was die Warnung von Heiko Maas in Richtung Russland und China angeht: Passt da die Unterstellung geostrategischer Interessen nicht viel besser auf den Westen? Es ist im Westen doch en vogue, mit dem Finger auf Russland und China zu zeigen, gebetsmühlenartig von deren Aggression und der von ihnen ausgehenden Bedrohung zu sprechen, ohne je Beweise dafür vorlegen zu müssen, und Sanktionen zu verhängen. Und diese Politik geht auch in die Coronabekämpfung hinein. Manchen dürften noch die Worte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Ohr sein, als er angesichts der schnellen Erfolge bei der Entwicklung des russischen Impfstoffs im Herbst verkündete, die Entwicklung von Vakzinen dürfe kein Wettlauf sein. Obwohl durch die WHO als einer der besten Impfstoffe eingestuft, wartet „Sputnik V“ nach wie vor auf seine Zulassung in der EU. Und kürzlich hatte Berlins Grünen-Senatorin Ramona Popp ihr Veto gegen die Bestellung von „Sputnik V“ eingelegt. Begründung: wegen Nawalny. Wer ist also derjenige, der hier politisches Kalkül der Pandemiebekämpfung vorzieht?

Quelle!:

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