Donnerstag, April 25, 2024
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Ahungslose oder aalglatte Angela – Bundeskanzlerin als Zeugin im Wirecard-Untersuchungsausschuß

Vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages musste heute Bundeskanzlerin Angela Merkel erscheinen. In der Zeugenvernehmung wollten die Abgeordneten vor allem ergründen, ob die Kanzlerin während einer China-Reise sich für Wirecard einsetzte, obwohl sie möglicherweise über den großangelegten Betrug informiert worden war.Wer immer schon mal eine Andeutung davon erleben wollte, wie Angela Merkel Verhandlungsteilnehmer auf der großen politischen Bühne mürbe macht, indem sie stoisch da sitzt und stundenlang redet, antwortet, gegenfragt und gelegentlich eine ihrer trockenen Bemerkungen fallen lässt, während sich die anderen vergeblich abmühen, sie zur Aufgabe und Übernahme ihrer Positionen zu bewegen und am Ende sie die Überwältigten sind, der hätte einen guten Anschauungsunterricht bei dieser Zeugenvernehmung von Angela Merkel vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuß gehabt.

Große Koalition verhinderte Direktübertragung der Vernehmung für alle

Ärgerlich daran ist nur, dass dieses Erlebnis nur hatte, wer direkt im Saal oder einem der angrenzenden Säle des Paul-Löbe-Hauses saß, einem der großen Bundestagsgebäude in Berlins Mitte, direkt gegenüber vom Kanzleramt und ebenso direkt neben dem Reichstagsgebäude gelegen. Denn die Mehrheit der Großen Koalition, vor allem aber die beiden Unionsparteien CDU und CSU verhinderten eine Direktübertragung dieser mit weitem Abstand wichtigsten Zeugenbefragung im Wirecard-Untersuchungsausschuß, die aber auch ganz grundsätzlich für das Demokratieverständnis dieser Republik von überragender Bedeutung gewesen wäre. Wir Journalisten durften während der Vernehmung weder Ton- noch Bildaufnahmen machen. Nur Mitschreiben war gestattet. Und wir wurden eingangs auch belehrt, dass Verletzung dieser Regel schwer bestraft würde.

Wie sehr der Ausschuss darum bemüht war, der Kanzlerin möglichst angenehme Rahmenbedingungen zu verschaffen, mag der Umstand belegen, dass die Sitzung kurz unterbrochen und die Jalousien herabgelassen wurden – weil die Polizei nicht rechtzeitig genug zur Stelle war – um Fotografen mit Teleobjektiven die Sicht auf die Kanzlerin zu nehmen, die in den Saal von den beiden Fußgängerbrücken aus fotografierten, die das Paul-Löbe- mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus über die Spree hinweg verbinden, umgangssprachlich gerne als die obere und untere Beamtenlaufbahn bezeichnet.

Erstaunlich entspannte Grundstimmung

Auch der Tonfall während der beinahe fünfstündigen Vernehmung klang streckenweise, als flirteten beide Seiten um die Gunst der jeweils anderen. Das ist vor dem Hintergrund interessant, weil der 3. Untersuchungsausschuß, wie der Wirecard-Untersuchungsausschuß in der nüchternen Sprache der Bundestagsverwaltung heißt, vom AfD-Abgeordneten Kay Gottschalk geleitet wird, was sich ein Beobachter der Szenerie wie ich sich immer mal wieder in Erinnerung rufen musste, wenn die Kommunikation zwischen den Ausschussmitgliedern ein Maß an Vertrautheit und Akzeptanz erkennen liess, das erstaunt, angesichts der rhetorischen Scharmützel, die in Bundestagsdebatten regelmäßig in Richtung der bzw. aus den Reihen der AfD-Fraktion stattfinden und eingedenk der Tatsache, dass Gottschalk bei der Inauguration des Ausschusses nur knapp mit fünf zu vier zum Vorsitzenden gewählt wurde.

Ob die im Großen und Ganzen angenehme Atmosphäre der Kanzlerin signalisierte, hier musst Du nicht wirklich Schlimmes befürchten, wissen wir nicht, abgesehen davon, dass Angela Merkel nicht unbedingt als Hasenfuß gilt. Aber es darf angenommen werden, dass die erfahrene Politikerin natürlich sofort registrierte, dass sie nicht wie ihr Finanzminister und Kanzlerkandidat des Koalitionspartners SPD tags zuvor von Unions-Abgeordneten wie angeschossenes Wild durch virtuelles Dickicht aus bohrenden bis gehässigen Nachfragen gejagt werden würde.

Dass sie von den Vertretern der SPD im Ausschuss, Cansel Kiziltepe und vor allem Jens Zimmermann mehr oder weniger hart angegangen wurde, sozusagen als Revanche für die Art und Weise wie ihr Parteifreund Olaf Scholz am vorhergehenden Tag von den Kollegen aus der eigenen Koalition behandelt wurde, war nicht wirklich überraschend, aber auch das war nicht so dramatisch, dass es auch nur ein leises Stirnrunzeln bei Merkel ausgelöst hätte.

Die Oppositionsparteien im Ausschuss griffen die Kanzlerin mit lächelndem Gesicht an

Wesentlich unangenehmer waren die Verhöre von den Vertretern der Oppositionsparteien, allen voran der schon erwähnte Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AfD), sowie Florian Toncar (FDP), Fabio de Masi (LINKE) und Danyal Bayaz (GRÜNE). Und obwohl auch sie mit durchgängig lächelnden Gesichtern und höflichem Umgangston auftraten, war der Kanzlerin durchaus hin und wieder anzumerken, dass die fünf erwähnten Abgeordneten ihr mit ihren Fragen zusetzten und ihr dabei auch unverblümt zu verstehen gaben, dass sie bestimmten ihrer Darstellungen nicht glaubten.Konkret ging es um die Frage, ob sie bei ihrem Aufenthalt in China, im September 2019, bei den Gesprächen mit den dortigen Regierungsvertretern, sich für Wirecard im Wissen um die gegen das Unternehmen erhobenen schweren Bilanzbetrugsvorwürfe einsetzte, trotz Warnungen, nur um ihrem ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg einen Gefallen zu tun, der inzwischen das Münchener Voodoo-Unternehmen beriet und zwei Tage vor ihrem Abflug nach Peking noch schnell mit ihr in Berlin ein Tässchen Tee schlürfte.

Das sei ein persönliches Gespräch gewesen, betonte Merkel ohne Unterlass, und ebenfalls konstant wiederholte sie, immer dann, wenn zu Guttenberg fachlich wurde, hätte sie ihn an ihren Mitarbeiterstab verwiesen. Sie sei sich selbst dankbar, dass sie in diesem Moment „wach“ gewesen sei.

Eigenartige Mitarbeiter der Kanzlerin

Einer der wichtigsten Namen aus ihrem Mitarbeiterstab im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ist Lars-Hendrik Röller, ein Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, der unter anderem für Wirtschafts- und Finanzpolitik zuständig ist. Röller brachte das Kunststück fertig, den Wortlaut seines Vernehmungsprotokolls praktisch einmal von oben nach unten zu kehren, als er es vom Ausschuss zur Prüfung auf Richtigkeit erhielt. Dass beispielsweise seine Frau, die Röller dem Untersuchungsausschuss als Hausfrau verkaufen wollte, in Wahrheit aber mit einer eigenen Firma im Wirecard-Dickicht involviert war, verblüffte den Ausschuss nicht mehr wirklich, nachdem sie schon erfahren mussten, dass verantwortliche Mitarbeiter in Aufsichtsbehörden Wirecard-Aktien besaßen oder mit ihnen handelten, dass zwei ehemalige Geheimdienstkoordinatoren der Bundesregierung, ein Polizeipräsident und mehrere ehemalige CDU-Ministerpräsidenten ihre Namen, vor allem aber ihre Adress- und Telefonbücher für Wirecard (und natürlich auch für den einen oder anderen Euro) in die Waagschale warfen.Für Röller hatte Angel Merkel trotz allem nur lobende Worte und Bekundungen der Loyalität. Sie hätte keinen Grund zu Argwohn gehabt. Die Vernehmung von Angela Merkel förderte zu Tage, dass im Bundeskanzleramt offenbar geringere oder überhaupt keine Regeln gelten, wie sie für Manager in der Wirtschaft üblich sind, sogenannte Compliance-Regeln, die Interessenkollisionen vermeiden bzw. verhindern sollen. Die Bundeskanzlerin musste einräumen, dass sie nicht wisse, ob sie ein privates Portfolio an Wirecard-Aktien hätte melden müssen, was tief blicken lasse, wie der Ausschussvorsitzende anmerkte.

Überhaupt schien Angela Merkel erst im Laufe der Vernehmung bewusst zu werden, durch welche skandalösen Umstände von Fahrlässigkeit und Schlamperei auch und vor allem in ihrem unmittelbaren Umfeld der Wirecard-Skandal überhaupt ermöglicht werden konnte.

Eine Kanzlerin, die angeblich warnende Medienberichte über Wirecard nicht gekannt haben will

Gleichwohl – wir erwähnten es schon – die Oppositionsvertreter mochten der Kanzlerin nicht abnehmen, dass sie die uninformierte Regierungschefin sein soll, als die sie sich dem Ausschuss präsentierte, die angeblich Presseberichte über Wirecard nicht gekannt habe, die darauf beharrte, dass ein von Wirecard-Chef Markus Braun gewünschtes persönliches Treffen nur wegen Terminschwierigkeiten ihrerseits nicht zustande kam, sie dann aber für Karl-Theodor zu Guttenberg 45 Minuten Zeit hatte, weil, so ließ die Kanzlerin wissen, sie keinem ehemaligen Mitglied ihrer Kabinette einen Gesprächswunsch ausschlage, was im Ausschuss zu der Erkenntnis führte, nun sei auch deutlich erkennbar, warum Unternehmen so erpicht darauf sind, frühere Regierungsmitglieder zu beschäftigen, denn sie bekommen Termine beim Regierungschef, wo andere Wochen oder Monate betteln müssen.Die Oppositionsparteien im Untersuchungsausschuss waren auch mehr als skeptisch über die durchaus eine gewisse Logik ausstrahlende Erklärung der Kanzlerin, wonach es ganz grundsätzlich das erklärte Ziel einer Bundesregierung sei, der deutschen Wirtschaft im Ausland zu helfen und ganz konkret im Fall China diesen riesigen Markt für deutsche Unternehmen zu öffnen. Insofern habe der Wunsch von Wirecard, in China Fuss zu fassen, sich mit einer ohnehin vorhandenen Grundlinie deutscher Politik getroffen, so die Kanzlerin. Wirecard habe sich nicht um einen Platz in der Wirtschaftsdelegation beworben und sei auch nicht anderweitig im Umfeld des China-Besuchs der Kanzlerin vor Ort in Erscheinung getreten.

Brauchten Braun und Marsalek auch nicht, argumentierten die bereits erwähnten Oppositionsvertreter und verwiesen unter anderem auf Mitteilungen der deutschen Botschaft in Peking. Karl-Theodor zu Guttenberg habe alles bekommen, was er wollte, resümierte der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi, der mehrfach auf die höchst ungewöhnliche Häufung von Kontakten zwischen Wirecard und Geheimdiensten hinwies. Beispielsweise habe ein ehemaliger Agent österreichischer Nachrichtendienste nachweislich bei der Flucht von Jan Marsalek geholfen.

Keine neuen Erkenntnisse – Aber unverändert erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Darstellungen der Kanzlerin

Die Vernehmung brachte auf den ersten Blick keine wirklich aufregenden neuen Erkenntnisse im Wirecard-Skandal, bestätigte aber eine unfassbare Schlamperei und Nachlässigkeit, wenn nicht sogar mehr. Soviel mehr, dass Angela Merkel laut über Regulierungen nachdachte, was bei ihr aber noch nichts heißen muss.Natürlich durfte die „russische Spur“ nicht fehlen, wenngleich sie auffallend wenig zur Sprache kam. Aber immerhin wurde Angela Merkel auch gefragt, ob sie den russischen Präsidenten auch zum Verbleib von Marsalek fragen würde. Die Bundeskanzlerin entgegenet trocken: „Ich habe mit Herrn Putin gerade eine ganze Reihe anderer Sachen zu besprechen.“Wenigstens in diesem Punkt war sich der Ausschuss mit der Bundeskanzlerin einig. Nicht das schlechteste Ergebnis einer mehrstündigen Vernehmung.

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