Dienstag, April 30, 2024
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Am Ende aßen die Männer sich selbst

Im Jahr 1845 will John Franklin die mysteriöse Nordwest-Passage durchfahren. Doch Franklin, seine zwei Schiffe und die Crew kehren nie zurück. Nun wurde das Wrack der „HMS Terror“ entdeckt.

Die „HMS Terror“ der Royal Navy trug ihren Namen zu Recht. Das bewies das Schiff, das 1813 vom Stapel gelaufen war, umgehend im Britisch-Amerikanischen Krieg (1812-1815). Denn als Bombarde war die „Terror“ dazu gebaut worden, mit ihren schweren Mörsern Stellungen an Land zu zerstören. Zu ihren Opfern gehörten diverse US-Forts und die Stadt Baltimore. Anschließend außer Dienst gestellt, wurde das Schiff in den 1830ern wieder aktiviert, für eine wissenschaftliche Sensation: Gemeinsam mit der „HMS Erebus“ sollte die „Terror“ unter dem Kommando des britischen Admirals und Polarforschers Sir John Franklin die sagenumwobenen Nordwestpassage durchfahren. Doch diesmal kam der Schrecken über die Besatzung. Wie auf der „Erebus“ kam kein Mitglied mit dem Leben davon. Der Untergang von Franklins Expedition gilt als die größte Katastrophe der Arktisforschung.

Im August 1845 wurde die „HMS Terror“ zum letzten Mal schwimmend gesehen. Jetzt, 171 Jahre und diverse Suchexpeditionen später, kann die kanadische Marine die Wiederentdeckung des Wracks melden. Es wurde ausgerechnet in einer Bucht mit dem schönen Namen Terror Bay gefunden, 50 Kilometer vom Wrack der „Erebus“ entfernt, das bereits 2014 entdeckt worden war.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ortete das Forschungsschiff „Martin Bergmann“ am 3. September die „Terror“ in 24 Meter Tiefe. Untersuchungen mit einem Unterwasserroboter zeigen, dass noch alle drei Masten des Schiffs aufrecht stehen sowie einige Glasfenster am Rumpf die Zeiten überdauert haben. „Es ist eine perfekte Zeitkapsel“, sagt Adrian Schimnowski von der Arctic Research Foundation, der mit seinem Team im Auftrag der kanadischen Regierungsbehörde Parks Canada die Suche nach der „Terror“ vorantrieb. Auch eine Kanone und eine Ankerwinde habe man identifiziert. Das Steuerruder sei in geradezu perfektem Zustand.

Auf die Spur der so weit von der „Erebus“ entfernten „Terror“ seien die Forscher durch einen Bewohner des nahe gelegenen Ortes Gjoa Haven gekommen, sagt Schimnowski. Dieser habe berichtet, dass er bei der Jagd in der Bucht einen Mast aus dem Wasser habe ragen sehen. Erst dieser Hinweis brachte die Forscher dazu, ihre Suche in dieses Gebiet auszudehnen. Denn nach allen bis dahin vorliegenden Zeugnissen und Erkenntnissen früherer Expeditionen wurde als letzte Position der „Terror“ ein Ort mehr als 90 Kilometer weiter nördlich angenommen. Dass das Schiff offenbar noch einmal flott gemacht wurde, ist die eigentliche Sensation des Fundes.

„Terror“ und „Erebus“ waren 1845 wegen ihrer massiven Bauweise für die Expedition ausgewählt worden, mit der die Royal Navy endlich die Nordwestpassage kartieren und damit einen nördlichen Weg nach Asien finden wollte. Mit der Leitung wurde John Franklin beauftragt. Zweifel, ob er wegen seines fortgeschrittenen Alters von 59 Jahren den Strapazen der Reise gewachsen sein würde, tat man mit Hinweis auf seine Erfahrungen im Polargebiet ab. Außerdem wurde ihm zur Unterstützung ein handverlesenes Offizierskorps an die Seite gestellt.

Nordwestpassage.
Nordwestpassage. (Foto: Wikipedia/Nasa)

Die Rümpfe der beiden Schiffe wurden mit Eisenplatten verstärkt und erhielten mit 20-PS-Dampfmaschinen die Möglichkeit, unabhängig vom Wind zu manövrieren. Im Magazin lag Proviant für drei Jahre. Wissenschaftliche Geräte, Tausende Bücher und Jagdwaffen vervollständigten die Ausrüstung. Franklin selbst setzte seine Flagge auf der „Erebus“, während Francis Crozier das Kommando über die „Terror“ übernahm.

Zwei Walfänger waren im Juli 1845 die letzten Europäer, die die 130 Expeditionsteilnehmer auf ihren Schiffen sahen. Was danach geschah, lässt sich nur durch archäologische Funde, Berichte von Inuit und dürftigen Aufzeichnungen rekonstruieren, die die letzten noch lebenden Männer kurz vor ihrem Tod in einem Tresor aus Stein im Nordwesten der King-William-Insel deponierten.

Nach dem Vorbild früherer Entdeckungsfahrten ließ sich Franklin im Winter vom Eis einschließen, um im Sommer weiter in die Passage vorzudringen. Dabei gelangte er wohl bis in die Höhe des 77. Breitengrades, wo er das Meer aber keineswegs so eisfrei fand, wie es nach der damals populären Theorie vom eisfreien Nordpol zu erwarten gewesen wäre. Als Franklin am 11. Juni 1847 starb, waren bereits zahlreiche seiner Männer den Strapazen erlegen. Den Rest besorgte das Wetter.

Man nimmt an, dass es ein letztes Aufbäumen der Kleinen Eiszeit war, das den arktischen Sommer 1847 beinahe ausfallen ließ. Packeis blockierte die Schiffe und erzwang eine dritte Überwinterung im Eis. Da sie über keine Skier oder andere Geräte verfügten, um im Winter auf die Jagd gehen zu können, schwanden die Vorräte dahin. Nach einer Theorie soll das in den Lötstellen der Konservendosen gebundene Blei zudem zu einer schleichenden Vergiftung gesorgt haben.

Einige versuchten, sich mit dem Schiff zu retten

Wie dem auch sei. Im April 1848 sah Cozier nur noch eine Chance: Die etwa 100 Überlebenden wollten sich zu Fuß bis zu einem Lager der Hudson’s Bay Company 350 Kilometer weiter südlich durchschlagen. Hunger, Kälte und Krankheiten machten daraus einen Todesmarsch. Dass die schwindende Gruppe der Überlebenden am Ende ihr Heil in Kannibalismus suchte, wie Inuit berichteten, haben Spuren an den Knochen der Toten bestätigt. Der Fundort der „Terror“ macht nun wahrscheinlich, dass einige Männer beizeiten versucht haben, sich mit dem Schiff nach Süden durchzuschlagen.

Da die Navy davon ausging, dass Franklin mehrere Winter im Eis verbringen würde, machte man sich in London zunächst wenig Sorgen über das Ausbleiben von Nachrichten. Erst im Frühjahr 1848 lobte die Admiralität 20.000 Pfund für das Aufspüren der Verschollenen aus. Für dieses Vermögen waren zahlreiche Wagemutige bereit, die Herausforderung anzunehmen. Doch erhöhten sie in der Regel nur die Zahl der Todesopfer. Einige Ausrüstungsgegenstände wurden gefunden, Skelette, 1857 schließlich die Nachricht, die Cozier neun Jahre zuvor beim Aufbruch zu seinem Verzweiflungsmarsch auf der King-William-Insel hinterlassen hatte.

1992 hat die kanadische Regierung den Ort, an dem „Erebus“ und „Terror“ sanken, in die Liste der Denkmäler von historischer Bedeutung aufgenommen. Nach dem Fund beider Wracks muss die Lokalisierung einer deutlichen Revision unterzogen werden. Pläne, Franklins Hinterlassenschaft zu heben, gebe es derzeit nicht, sagt Adrian Schimnowski. Wohl aber liefert die Wiederentdeckung der berühmten Forschungsschiffe weitere Argumente für die Haltung Kanadas, der arktische Archipel samt Nordwestpassage seien nationales Hoheitsgebiet. Schließlich habe Franklin seine Expedition im Auftrag Großbritanniens durchgeführt, zu dessen Empire seinerzeit auch Kanada gehörte.

Quelle: N24

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