Mittwoch, Mai 1, 2024
StartPolitikAußenpolitik „wirksames Wahlkampfmittel“: Blick auf Moskau nach Bundestagswahl

Außenpolitik „wirksames Wahlkampfmittel“: Blick auf Moskau nach Bundestagswahl

Die Bundestagswahl ist das Thema eines Rundtischgesprächs in Moskau geworden. Ein Experte prognostiziert dazu ein vertrautes Bild: Angela Merkel wird zum vierten Mal Bundeskanzlerin und Berlin wird seinen Kurs gegenüber Moskau nicht ändern. Dabei räumt er ein: Paris und Berlin sind gegenüber Kiew in einer Zwickmühle.

Wladislaw Below, Leiter des Zentrums für deutsche Studien am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften und Vize-Präsident der Gesellschaft „Russland-Deutschland“, ist überzeugt, dass Angela Merkel zum vierten Mal Bundeskanzlerin werden wird. Der wahrscheinlichste Koalitionspartner der Fraktionsgemeinschaft CDU/CSU, die mit bis zu 38 Prozent den anderen Parteien weit voraus ist, kann dem Politologen zufolge die FDP werden. Ihr Vorsitzender Christian Lindner hat der Partei zu einem Sieg im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen verholfen. Eine große Koalition sei dabei nur wenig wahrscheinlich, so der Experte:

„Für die Sozialdemokraten ist das ein Weg in einen weiteren Krisenzustand. Heute erklärt SPD-Vorsitzender Martin Schulz, eine Koalition bilden zu wollen. Rein arithmetisch ist das wenig wahrscheinlich. Das wäre nur möglich, wenn die SPD ein Koalitionsabkommen mit der Linkspartei schließen würde, die sich besser fühlt als die anderen Parteien und einen sicheren Stellenwert hat, und mit den Grünen. Doch eine solche rot-rot-grüne Koalition ist wegen wesentlicher Diskrepanzen zwischen den einzelnen Parteifunktionären wenig wahrscheinlich. So ist Sahra Wagenknecht, Kanzlerkandidatin der Linkspartei, stark gegen eine solche Koalition.“

In Deutschland tritt aktuell ihm zufolge erstmals seit vielen Jahren der außenpolitische Faktor als wirksames Wahlkampfmittel in den Vordergrund.

Die Parteien haben wesentliche Diskrepanzen in Bezug auf die Nato, die Militärausgaben und die USA. Das sehen wir in den Äußerungen von Martin Schulz über die Notwendigkeit einer Verlegung der amerikanischen Atomwaffenvorräte aus Rheinland-Pfalz. Kürzlich haben die Sozialdemokraten Thesen über die Außen- und Verteidigungspolitik veröffentlicht, in denen die Bundeswehr zur Sprache kommt. Schulz verwendet jetzt eine antiamerikanische Rhetorik, die die Sozialdemokraten vor dem Hintergrund der nordkoreanischen Krise fachkundig nutzen“, betont Below.

Das offizielle Berlin werde nach der Bundestagswahl seinen Kurs gegenüber Moskau allerdings nicht ändern, räumt er ein. Die Ukraine-Krise werde zudem ein Schlüsselfaktor bleiben:

„Welche Koalition auch an die Macht kommen mag, die Ukraine – der Konflikt im Osten des Landes sowie der Minsker Prozess – wird der bestimmende Faktor für die politische und teilweise wirtschaftliche Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Berlin bleiben.“

Dabei verweist Below auf ziemlich harte Bestimmungen des außenpolitischen Programms der FDP:

„Christian Lindner, Parteivorsitzender der Freien Demokraten, hat erklärt, dass die Wiedervereinigung der Krim mit Russland als langfristiger zeitweiliger Zustand gelten wird, aber man darf nicht außer Acht lassen, dass es im Programm der Freien Demokraten sowie im Programm der CDU/CSU ziemlich harte antirussische Formulierungen gibt, die teilweise mit der Krim, aber vor allem mit dem Minsker Prozess, mit dem Südosten der Ukraine verbunden sind.“

Below ist der Meinung, dass die europäischen Partner Russlands – nicht nur Paris und Berlin, sondern auch Brüssel – Schritte unternehmen müssen, um Kiew dazu zu bringen, die Minsker Vereinbarungen zu erfüllen.

„Welche Schritte das sein müssen, weiß ich nicht. Das müssen die Diplomaten entscheiden. Heute sitzen Paris und Berlin in einer Zwickmühle. Sie haben keine Idee, wie man Kiew unter Druck setzen kann. Wie man Russland unter Druck setzt, wissen sie wohl. Was aber Kiew betrifft, haben sie keine Ahnung.“

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »