Dienstag, April 30, 2024
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Brasilien: Wasserkraft hat Vorrang – Kaum Chancen gegen die Stromlobby

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Wasserkrise im Südosten, leere öffentliche Kassen im ganzen Land. Dennoch investiert Brasiliens Regierung unter Präsidentin Dilma Rousseff weiter in den Ausbau der Wasserkraft in Amazonien. Bis 2018 will sie 42 Milliarden Real (rund zwölf Milliarden Euro) in neue Energieprojekte zur Stromerzeugung stecken. Der Großteil davon, zehn Milliarden Euro, wird in die beiden Megastaudämme São Luíz und Jatobá am Rio Tapajós im Herzen

Amazoniens fließen.

(Bild: Angehörige des Volks der Munduruku während einer symbolischen Besetzung der FUNAI)

Beim Projekt São Luíz werden 729 Quadratkilometer Regenwald unter Wasser gesetzt, um laut Plan jährlich

8.040 Megawatt Strom erzeugen. Der Stausee des Jatobá-Vorhabens am selben Fluss wird eine Fläche von 646 Quadratkilometern überschwemmen und soll 2.338 Megawatt erzeugen. Opfer der beiden, seit Jahren von Wissenschaftlern und Umweltschützern kritisierten, Großvorhaben am Rio Tapajós sind nicht nur artenreiche Regenwaldflächen. Auch Tausende von Flussanwohnern (Ribeirinhos) und Ureinwohner, deren Häuser, Land und Jagd- bzw. Sammelgebiete in den Stauseen verschwinden werden.

 

Fast genau vor einem Jahr, im September 2014, hatte die damalige Präsidentin der Indianerschutzbehörde FUNAI, Augusta Assirati, ihr Amt niedergelegt. Vehement hatte sie zuvor für eine Verlegung des São-Luíz-Staudamms plädiert, denn der werde einen großen Teil des traditionellen Territoriums der Munduruku-Indianer überfluten. Doch Dilma Rousseffs Regierung ignorierte die Weisung der FUNAI-Chefin zum Schutz des Indianergebiets. Fazit: Wasserkraft und Wirtschaftswachstum haben Priorität, Respekt vor indigenen Kulturen sind nachrangig. Das scheint der rote Faden der derzeit von vielen Seiten attackierten Regierung zu sein.

Tatsächlich hat kein brasilianischer Präsident seit dem Ende der Militärdiktatur in den 1980er Jahren so wenige Indianergebiete anerkannt wie die derzeitige Staatschefin während ihrer beiden Amtszeiten. Zwischen 1985 und 1990 legalisierte Präsident José Sarney 21 Stammesgebiete (im Portugiesischen »Homologação« genannt). Fernando Collor de Mello segnete dann in nur zwei Jahren Amtszeit die Anerkennung von 112 Territorien ab, bevor er wegen angeblicher Korruption aus dem Amt gejagt wurde. Nachfolger Itamar Franco zeigte sich deutlich weniger indianerfreundlich und unterschrieb für 16 Gebiete.

Es folgte Staatspräsident Fernando Henrique Cardoso: Während seiner achtjährigen Amtszeit von 1995 bis 2002 bekamen 145 Indianerterritorien seinen Segen. Die PT-Regierung von Luiz Inácio »Lula« da Silva erkannte dann immerhin noch 81 Stammesgebiete an. Doch Lulas Parteikollegin und Nachfolgerin Rousseff hält den Negativrekord. Von 2011 bis Juni 2015 hat sie lediglich 14 Territorien legalisiert. Die Anträge von FUNAI und Ureinwohnern verstauben auf den Schreibtischen der Dilma-Bürokratie in Brasília, so Antenor Vaz, der von 2008 bis 2013 in der Indianerschutzbehörde als politischer Koordinator arbeitete. Rund ein Dutzend Anträge auf Demarkierung lägen beim Justizministerium auf der Wartebank. Und etwa 20 Indianergebiete warten seit Jahren auf die Unterschrift der brasilianischen Staatspräsidentin. Insgesamt steckten derzeit mehr als 200 Indianerterritorien noch in den Mühlen der Bürokratie, so das in São Paulo ansässige Instituto Socioambiental (ISA), das seit 1994 Brasiliens Indianerpolitik kritisch begleitet.

Die geplanten Dämme am Rio Tapajós bedrohen aber nicht nur das Land der Munduruku und der von Fischfang und nachhaltiger Waldnutzung lebenden Ribeirinhos. São Luíz und Jatobá drohen zudem Fischreichtum und Artenvielfalt des Amazonaszuflusses auf seiner gesamten Länge zu schädigen, wie der Forscher Philip Fearnside bereits an den Wasserkraftmegaprojekten am Rio Madeira feststellen musste. Viele wandernde Fischarten seien dort am Verschwinden, weil die Dämme ihren seit Hunderttausenden von Jahren bestehenden Zyklus der Reproduktion unterbrochen haben. Auch die errichteten Fischtreppen halfen nur marginal, so Fearnside. Kilometerlange Betonwände versperrten den Fischen den Weg, und nur wenige Arten fänden die im Vergleich zu den Dämmen winzigen Fischtreppen, so die Erfahrung am Madeira. Im Falle des Wasserkraftwerkes São Luíz werde diese Betonwand sieben Kilometer lang sein.

»Eines der Probleme ist, dass der Instinkt die Fische zur stärksten Strömung im Fluss leitet«, erläutert Fearnside. Im Falle der Wasserkraftwerke kommt die stärkste Strömung unterhalb der Dämme aber nicht von den Fischtreppen, sondern aus dem Ausfluss der stromerzeugenden Turbinen – eine unüberwindliche und tödliche Falle. Nach seinen Erfahrungen mit den drastischen ökologischen Folgen am Rio Madeira sieht der Forscher vom Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA) für den Tapajós gleichfalls eher schwarz.

Nichtsdestoweniger ist die »Verstromung« des Rio Tapajós Hauptprojekt des von Dilma Rousseff jetzt im August veröffentlichten Strominvestitionsvorhabens »Programa de Investimento em Energia Elétrica (PIEE)« bis 2018. Dieses sieht zusätzliche Gelder für große Windparks sowie für Solarkraft- und Biomassekraftwerke vor (Solarenergie immer wieder enttäuschend – Windparks überlasten das Stromnetz). Nach 2018 sollen laut PIEE weitere 21 Milliarden Euro (74 Milliarden Reais) in neue Projekte zur Stromerzeugung fließen.

Der Tropische Regenwald: Die Ökobiologie des artenreichsten Naturraums der Erde (Allgemeines Sachbuch) von Josef Reichholf

Saat der Zerstörung. Die dunkle Seite der Gen-Manipulation von F William Engdahl

Natur und Macht: Eine Weltgeschichte der Umwelt von Joachim Radkau

Katastrophenalarm!: Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur? von Stefan Engel

Quellen: PublicDomain/jungewelt.de vom 20.08.2015

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