Sonntag, April 28, 2024
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Corona-Krise in Deutschland: Bund und Länder beraten über Ausweg-Plan

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Mittwoch mit dem sogenannten Corona-Kabinett und den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer in einer Schaltkonferenz die Lage in der Corona-Krise nach den Ostertagen bewerten. An Vorschlägen, vor allem aber an Erwartungen, wird es sich offenbar nicht mangeln.

Vor Ostern sagte Merkel, sie werde das weitere Vorgehen an dem Gutachten der nationalen Wissenschafts-Akademie Leopoldina ausrichten.  Die einflussreichsten Wissenschaftler von der Leopoldina plädierten am Montag für einen „realistischen“ Zeitplan zurück zur Normalität. Sie empfahlen, Schulen „sobald wie möglich“ wieder zu öffnen – angefangen bei Grundschulen sowie Unter- und Mittelstufen. Die Deutschen sollen in absehbarer Zeit wieder reisen dürfen – dienstlich und privat. Voraussetzungen für die schrittweise Öffnung seien, dass Hygiene- und Schutzregeln weiter eingehalten werden, die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus sich auf niedrigem Niveau stabilisiere und die medizinische Versorgung aller Patienten gewährleistet sei.

In dem Gutachten steht auch eine Reihe von wirtschaftspolitischen Empfehlungen, um die Folgen des Lockdowns abzufedern. Zur kurzfristigen Belebung der Wirtschaft müsse es eine Reihe von steuerlichen Entlastungen geben. Die Experten bringen dabei auch die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags ins Spiel. Außerdem seien massive öffentliche Investitionen notwendig, etwa im Gesundheitsbereich.

Nach der Krise müssten die Maßnahmen allerdings „sobald wie möglich zugunsten eines nachhaltigen Wirtschaftens im Rahmen einer freiheitlichen Marktordnung rückgeführt oder angepasst werden“. Dazu gehöre das Ende von krisenbedingten Staatsbeteiligungen an Unternehmen ebenso wie der Abbau der Staatsverschuldung. An der Schuldenbremse müsse festgehalten werden.

Länder haben unterschiedliche Vorstellungen

An diesem Dienstag tagt das Corona-Kabinett der Bundesregierung. Am Mittwoch werden Merkel und die Ministerpräsidenten darüber beraten, wie nach dem 19. April verfahren wird. Die Runde hatte am 22. März zunächst für zwei Wochen umfassende Einschränkungen beschlossen. Diese wurden dann bis in die Woche nach Ostern verlängert. Nun könnten die Kanzlerin und die Landesregierungschefs einen Ausweg aus dem Stillstand skizzieren und das Gutachten der Leopoldina als wissenschaftliches Fundament nutzen.

Allerdings: Die Länder haben unterschiedliche Vorstellungen, wie schnell die Schritte in die Normalität erfolgen sollen. Auch innerhalb der Bundesregierung besteht mit Blick auf das Tempo keine Einigkeit.

So wird in Schleswig-Holstein darüber debattiert, bei einer Lockerung der generellen Kontaktbeschränkungen und einer möglichen Lockerung gastronomischer und touristischer Einschränkungen nicht nur strenge Distanzvorschriften beizubehalten. Nachgedacht wird in Kiel auch über ein Ausschankverbot für alkoholische Getränke. Hintergrund ist die Erfahrung, die viele Wirte zu Beginn der Corona-Krise gemacht hatten, als Kneipen und Restaurants noch geöffnet waren, aber bereits Distanzvorschriften galten. Diese wurden mit zunehmendem Alkoholgenuss immer häufiger ignoriert.

Der Kieler Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) rät im Gespräch mit der Zeitung „Die Welt“ zwar von allzu strikten Einschränkungen des Alltags ab, plädiert allerdings für „Sperrstunden und vor allem strikte Abstandsvorschriften“, wenn Gastronomie und Hotels wieder in Gang kommen sollen. Gleiches gelte für den Einzelhandel und bei Dienstleistungen. „Für weitergehende volkspädagogische Maßnahmen“, so Stegner, „dürfte die Akzeptanz in der Bevölkerung gering sein.“

Wie die Zeitung „Handelsblatt“ schreibt, ist Armin Laschet (CDU), der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, die treibende Kraft hinter der Öffnungsfraktion. Vergangene Woche plädierte er in einem Handelsblatt-Interview für eine flexible Lockerung des Lockdowns.
Am Wochenende schickte er die Empfehlungen seines eigenen Expertenrates an Merkel und die anderen Ministerpräsidenten, das Papier ist überschrieben mit „Wege in eine verantwortungsvolle Normalität“. Die Vorschläge aus NRW lesen sich ähnlich wie das Konzept der Leopoldina. „Ein möglicher Weg kann darin bestehen, einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens nach und nach wieder zuzulassen“, heißt es in dem Papier, das dem Handelsblatt vorliegt.

Vorrang hätten Schulen und Geschäfte, auch Restaurants könnten wieder öffnen, wenn die Gästezahl begrenzt und Vorgaben zum Tischabstand eingehalten würden. „Großveranstaltungen wie Fußballspiele der Bundesliga mit Zuschauern, aber auch Messen und Kongresse werden auf absehbare Zeit nicht stattfinden können.“

Andere Ministerpräsidenten würden sich aber der Intiative von Laschet nicht so eilig anschließen. So dämpfte Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) Hoffnungen, dass die Kontaktbeschränkungen in Kürze abgebaut werden.
Söder warnte: „Es wird auch nach den Osterferien nicht einfach so weitergehen können wie vorher. Wer zu früh lockert, riskiert einen Rückfall“.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) machte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ deutlich, dass die Lockerung der Maßnahmen von der Zahl der Infizierten, Testkapazitäten, medizinischem Personal und der Zahl der freien Intensivbetten abhänge.

Und auch die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), äußerte sich in einem ARD-Interview eher zurückhaltend: „Natürlich kann man Schritt für Schritt zu Lockerungen kommen. Die müssen aber sehr abgewogen sein, und man muss tatsächlich auch in der Lage sein, dass man damit deutlich macht: Wir brauchen eine neue Hygieneoffensive.“

Situation in der Bundesregierung

In der Bundesregierung hat sich in den vergangenen Tagen vor allem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine baldige Öffnungsperspektive ausgesprochen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gilt dagegen als Anhänger der Strategie, die Ausbreitung des Virus möglichst lange durch harte Maßnahmen einzudämmen.

FDP-Chef Christian Lindner verweist mit Blick auf die kommenden Monate auf „Maßnahmen eines veränderten Alltags in Zeiten der Pandemie“, die die Menschen auch dann begleiten würden, „wenn wir uns freier bewegen können“. So sollte das Tragen von Mund-Nasenschutz-Masken für Pflegekräfte, Heilberufe und Menschen mit vielen Kontakten wie Erzieherinnen in Kitas oder im Service Beschäftigte obligatorisch sein.

Lindner mahnte die Bundesregierung, jetzt „Meilensteine und Bedingungen“ zu benennen, „wann und wie der jetzige Zustand überwunden wird“. Dies sei Voraussetzung für eine andauernde Akzeptanz gesundheitsschützender Maßnahmen. „Der Stillstand“, sagte Lindner  gegenüber „Die Welt“, „verursacht täglich gravierende psychische und wirtschaftliche Schäden.“

Bundesverteidigungsministerin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer warnte am Wochenende vor einem Flickenteppich bei der Normalisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland. „Es ist wichtig, dass wir möglichst einheitliche Regelungen haben. Alles andere wirft zusätzliche Fragen auf“, sagte Kramp-Karrenbauer der Deutschen Presse-Agentur. 

Sie kritisierte, in einem Bundesland seien Baumärkte geöffnet gewesen, in einem angrenzenden Land aber geschlossen. „Da wundert es nicht, dass es sofort einen regen Reiseverkehr dorthin gibt“, sagte sie. „Gerade deswegen haben die Länder ein eigenes Interesse daran, möglichst koordiniert vorzugehen.“ Alle Ministerpräsidenten hätten bei der jüngsten Schalte mit Merkel sehr deutlich gemacht, dass sie diese Frage gut miteinander koordinieren wollten. „Da gehe ich davon aus, dass wir auch zu einheitlichen Regelungen kommen können.“
Unterschiedlich sei die Situation allerdings beim in der Länderhoheit liegenden Bildungsbereich. „Wir haben Bundesländer, die haben noch Pfingstferien, andere nicht“, sagte Kramp-Karrenbauer. „Bei den einen beginnen die Sommerferien schon Mitte Juni, bei den anderen erst Ende Juli.“ Es stelle sich die Frage, wie es mit Prüfungen weitergehe und ob vorher noch Unterricht erteilt werde. „Ich gehe davon aus, dass die Prüfungen – wenn auch oftmals verspätet – an Schulen und Berufsschulen stattfinden“, sagte Kramp-Karrenbauer zuversichtlich.
Entscheidend für das weitere Vorgehen werde allerdings vor allem die Frage sein: „Wirken die Maßnahmen nachhaltig, die wir jetzt ergriffen haben“ und seien überhaupt erste Schritte der Lockerung möglich, sagte Kramp-Karrenbauer.

Es gebe in der Ministerpräsidentenkonferenz die feste Vereinbarung, gemeinsam mit der Bundesregierung ein „gutes Gesamtpaket“ für eine mögliche Öffnung nach den Osterferien vorzulegen. Und dieses Gesamtpaket könnte auf dem Gutachten der Leopoldina fußen.

sm/gs/dpa/sna

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