Donnerstag, März 28, 2024
StartPolitikEuropaCorona-Krise: Söder als Profiteur und mehr Bedürfnis nach Schutz als nach Freiheit...

Corona-Krise: Söder als Profiteur und mehr Bedürfnis nach Schutz als nach Freiheit – Soziologe

Die Corona-Krise wirkt wie ein gesamtgesellschaftliches Experiment, in dem getestet wird, wie weit Politik eine Bevölkerung steuern und auch kontrollieren kann. Diese Vorgänge sind für Sozialwissenschaften wie die Soziologie mustergültige Prozesse und Studienobjekte. Doch welche Schlußfolgerungen ziehen die Wissenschaftler daraus?

Steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen bei Beschäftigten, Existenzsorgen bei Selbstständigen, zunehmende gesundheitliche Folgeschäden durch die einseitige Ausrichtung auf mögliche Covid-19-Patienten, psychische Kollateralschäden in Folge der massiven Beschränkungen des gesellschaftlichen Lebens – die Liste der sozialen Folgen der Corona-Krise auch in der Bundesrepublik ist lang. Doch von den Soziologen des Landes ist wenig dazu zu vernehmen, schon gar nicht deutliche Kritik an den politischen Entscheidungen, die hauptverantwortlich für die Folgen sind.

Dabei machte der Soziologe Heinz Bude keine Ausnahme, als er kürzlich in einem Online-Pressegespräch Korrespondenten ausländischer Medien Auskunft gab. Dabei sollte es eigentlich um die sozialen Folgen der Corona-Krise gehen, was aber kaum konkretes Thema war. Bude ist Professor für Soziologie an der Universität Kassel und Leiter des Arbeitsbereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er hat Bücher mit Titeln wie „Solidarität – Die Zukunft einer großen Idee“, „Das Gefühl der Welt – Über die Macht von Stimmungen“ und „Gesellschaft der Angst“ veröffentlicht.

Mit seinen Aussagen über die sozialen Folgen der Krise im Zusammenhang mit dem Virus Sars-Cov 2 und der von ihm laut Weltgesundheitsorganisation WHO ausgelösten Krankheit Covid-19 blieb Bude nur im Ungefähren. Zu den wichtigsten Folgen gehört aus seiner Sicht, dass in allen westlichen Gesellschaften das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit als stärker als das nach Freiheit erwiesen habe. Das habe sich durch die Corona-Krise verstärkt, so der Soziologe, wobei er nicht auf die zugrundeliegende Angstmache seitens der Politik einging.

Schutz als Generalthema

Er habe eine „innere Abkehrbewegung von den 40 Jahren des Neoliberalismus“ ausgemacht, was die Ursache dafür sei. Das wachsende Bedürfnis nach Schutz zeige sich in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus, sagte der Soziologe. Die gesellschaftlichen Veränderungen unter dem Stichwort „Globalisierung“ sieht er als Auslöser dafür.

„Die Corona-Krise hat für die Bundesrepublik und für alle westlichen Gesellschaften dieses Thema Schutz als ein Generalthema auf den Tisch gelegt.“ Er glaube, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren dieses Verhältnis von Freiheit und Schutz zugunsten des Letzteren kippe. Die Schutzansprüche der Bürger an den Staat würden wachsen, meinte Bude im Gespräch mit den Mitgliedern des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland (VAP).

„Das Schutzbedürfnis hat sich individualisiert“, erläuterte er und fügte hinzu: „Es gibt keine klare Gruppenzuordnung mehr.“ Es gebe stattdessen die Vorstellung, dass die Individuen selbst Schutz suchen würden, ohne sich als Teil einer sozialen Gruppe oder Schicht zu sehen. Es sei schwer, darauf eine politische Antwort zu finden, erklärte Bude.

Lockdwon als kollektive Bewährung

„Die klassische Antwort ist die populistische Antwort, die das Schutzbedürfnis mit einer Idee der exklusiven Solidarität beantwortet: Schutz gibt es für die Angehörigen einer Ethnie, für die Angehörigen einer Nation oder eines Volkes.“ US-Präsident Donald Trump und die AfD würden solche Antworten geben, so Bude.

Er beschrieb die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten so, dass sich die Menschen zunehmend über Misstrauen statt über Vertrauen sozialisiert hätten. Das hätten alle Protest- und Rebellionsbewegungen im Westen in den letzten zehn Jahren gezeigt, die geprägt gewesen seien vom Misstrauen gegenüber den etablierten Strukturen.

Doch mit der Covid-19-Pandemie habe sich gezeigt, dass das an Grenzen stoße, sagte Bude. In der Folge habe es in der bundesdeutschen Gesellschaft „fast eine Art von Vertrauensbereitschaft gegeben, zumindest in der Zeit des Lockdowns“. Die habe sich in der Teilhabe am allgemeinen Schutzverhalten gezeigt, wo viele in einer Art von „kollektiver Bewährung“ ihren Beitrag leisten würden.

Abschied von der Gruppenidentität

Zahlreiche Fakten und Untersuchungen zeigen, dass das Leben der Menschen in Industriegesellschaften immer sicherer wird und auch im globalen Maßstab trotz aller Ungleichheit der Wohlstand zunimmt. Auf eine Sputnik-Frage dazu sagte der Soziologe, die Tatsache des zunehmenden Gefühls der Unsicherheit trotz wachsender materieller Sicherheit habe damit zu tun, dass sich die Einzelnen zunehmend von Gruppenidentitäten verabschieden.

„Ein gutes Beispiel ist der Niedergang der sozialdemokratischen Parteien in allen westlichen Gesellschaften. Das waren ja Parteien, die sich als ‚Schutzmacht der kleinen Leute‘ gesehen haben, wie es einmal der SPD-Politiker und frühere Bundespräsident Johannes Rau ausdrückte. Das geht heute nicht mehr, diese Formel funktioniert nicht mehr.“

Es handele sich um ein „Grundproblem westlicher Gesellschaften“, dass Gruppenidentitäten abnehmen, betonte Bude. Er verwies auf den Soziologen Ralph Dahrendorf, der vor Jahren bereits auf das Verschwinden von sozialen Bindungen aufmerksam machte. „Der Zusammenhang von Schutz, Vertrauen und Bindung ist in Unordnung geraten. Aber in den Corona-Zeiten treten wieder Schutz und Bindungen als Thema auf.“

Söder und Union als Profiteure der Krise

Die konkreteste Folge der Corona-Krise für die bundesdeutsche Gesellschaft, die der Soziologe nannte, war keine soziale, sondern eine politische: Bude sieht den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder als sicheren Kanzlerkandidaten von CDU und CSU. Während der Höhenflug der Grünen beendet sei, seien die Unions-Parteien in der Krise stärker geworden, während die SPD und die Linkspartei nicht von de Lage profitierten. Die Folge sei eine mögliche schwarz-grüne Koalition mit Söder als Kanzler, meinte der Soziologe.

Zuvor hatte er jene, die gegen die politischen Beschränkungen des gesellschaftlichen Leben, die Sars-Cov 2 und Covid-19 eindämmen sollen, protestieren, als Mischung eingeschätzt: aus Selbstverwirklichern wie den Impfgegnern und „aktivistischen Individualisten“ wie die Gruppe jener Leistungsbereiten, die alles Kollektive ablehnen. Diese würden die Anti-Corona-Maßnahmen als Einschränkung ihrer individuellen Fähigkeiten erleben.

Diese beiden Gruppen, die bisher nichts miteinander zu tun gehabt hätten und zuvor eher einerseits bei den Grünen und andererseits eher bei der FDP zu finden waren, würde sich in der Corona-Krise in ihrer Kritik am Staat treffen. Das ist aus Sicht von Bude eine „Chance für die AfD“, die das populistisch mobilisieren könne.

Rebellische Tendenzen

Der Soziologe sieht das Protestpotenzial nicht in den Belegschaften großer Unternehmen, die durch die finanzpolitischen „Hilfspakete“ und Maßnahmen gegenüber den Krisenfolgen relativ gut abgesichert seien. Eher „rumore ein Dissidenzpotenzial“ gerade in den sogenannten systemrelevanten Berufen, die in der Corona-Krise vielbeachtet seien, aber befürchten müssten, dass das ohne Folgen für ihre Lage bezüglich der Arbeitsbedingungen und Einkommen bleibe.

„Gerade in den einfachen Dienstleistungen gibt es das Gefühl: Man wird hochgeschrieben und dann wieder abgeschrieben.“

„Rebellische Tendenzen“ gebe es im Bereich der klein- und mittelständischen Unternehmen sowie unter den Selbstständigen, sagte Bude. Er rechnet mit einer „merkwürdigen Mischung des Protestes wie bei den ‚Gelbwesten‘ in Frankreich zwischen Unterprivilegierten und relativ Privilegierten“. Wenn die Parteien das ignorieren, könnte ihnen daraus politische Probleme entstehen, schätzte der Soziologe ein.

Digitalisierung kein Allheilmittel

Auf wiederholtes Nachfragen nach konkreteren Folgen aus soziologischer Sicht ging Bude nicht ein. Er befürchtet aber, dass sich der Trend der sozialen Spaltung infolge wachsender Ungleichheit in den westlichen Gesellschaften fortsetze. Zugleich widersprach er den Hoffnungen, dass die Digitalisierung alle Probleme lösen könne, die durch die Beschränkung des gesellschaftlichen Lebens wie die Schließung von Bildungseinrichtungen entstanden sind. „Die Chancen werden überzogen dargestellt“, betonte er und warnte vor dem Verlust von Bindungen auch in der Bildung.

„Es gibt die Gefahr, dass man die Studierenden verliert“, beschrieb er die Folgen der „digitalen Ermüdung“, die sich bereits zeige. Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten seien immer auch Orte, wo Menschen sozialisiert werden, erinnerte Bude. „Das ist ein großes Missverständnis, dass es da nur um Wissensvermittlung geht.“ Dafür reichten digitale Bildungsangebote und Kontakte nicht aus. Ebenso könne digitale Kommunikation allein nicht wettmachen, was durch den direkten und weniger zielorientierten Austausch an Kreativität und Innovation entstehe.

Quelle!:

Empfohlene Artikel
- Advertisment -
Translate »