Sonntag, Mai 5, 2024
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Corona-Krise: Werden Krebstherapien in Deutschland zurückgestellt?

Onkologen warnen in der Corona-Krise vor einer „Bugwelle“ an zu spät anerkannten Krebsfällen. Laut Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums, der Deutschen Krebshilfe und der Deutschen Krebsgesellschaft sind Pandemie-Einschränkungen und Ansteckungsangst für Patienten, die bisher keine Versorgungsengpässe befürchten mussten, besonders spürbar.

Ob die Zahl der Krebsfälle dadurch steigen könnte, ließen die Experten zunächst offen.

Gerd Nettekoven, Vorstandschef der Stiftung Deutsche Krebshilfe, sagt dazu, dass die Krebstherapie grundsätzlich auch jetzt gesichert sei. „Doch wir erkennen inzwischen auch, dass das Versorgungssystem spürbar gestresst ist und die Einschränkungen aufgrund der Krisensituation negative Auswirkungen für Krebspatienten haben können.“

Klinikbetten werden derzeit freigehalten – für Corona-Patienten, die aufgrund der Epidemie-Entwicklung nicht in der zunächst befürchteten hohen Zahl kamen. Früherkennungsprogramme wurden zusammengestrichen, ebenso manche Spezialuntersuchungen bei Krebs. Nicht dringliche Operationen wurden verschoben.

Michael von Bergwelt, Krebsmediziner am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), sagt: „Wir sind bewusst ein bisschen auf die Bremse getreten bei Terminen, die nicht dringlich sind. (…) Wenn eine Patientin vor fünf Jahren Brustkrebs hatte, macht es keinen Unterschied, ob sie einen Monat früher oder später zur Kontrolle kommt.“ Klinikbesuche in nicht dringenden Fällen sollten verringert, aber auch die Kliniken auf den möglichen Ansturm von Corona-Patienten vorbereitet werden.

Es sei Bergwelt zufolge noch nicht absehbar, ob es im Zuge der Corona-Krise mehr Krebstote geben werde. Der Arzt räumte ein, dass das Gesundheitssystem überfordert sei, äußerte im Hinblick auf die Erfahrung der vergangenen Wochen jedoch die Hoffnung, dass ein Anstieg der Todesfälle durch Krebs vermeidbar sei.

Derzeit würden die Leitlinien für die Behandlung bestimmter onkologischer Patienten präzisiert. Man müsse auf dieser Basis sehr individuell beraten. Eine akute Leukämie etwa müsse sofort behandelt werden, so der Arzt.

Michael Baumann, Vorstandschef des Deutschen Krebsforschungszentrums, betont: „Ein Aussetzen von Früherkennungs- und Abklärungsmaßnahmen ist nur über einen kurzen Zeitraum tolerierbar, sonst werden Tumore möglicherweise erst in einem fortgeschrittenen Stadium mit dann schlechterer Prognose erkannt.“ Er bedauerte, dass „Menschen Symptome nicht ärztlich abklären lassen“.

In Praxen und Kliniken bleiben Patienten wegen Angst vor Ansteckung weg. Nicht zuletzt sind Krebskranke mit geschwächtem Immunsystem besonders gefährdet. „Wir sehen deutlich weniger Krebspatienten“, sagt Bergwelt.

Karl-Walter Jauch, ärztlicher Direktor am LMU-Klinikum und Vorsitzender der Universitätsmedizin Bayern, äußert Beunruhigung darüber, dass „manche Patienten aus Sorge vor Infektion gar nicht mehr zum Arzt oder gar nicht ins Krankenhaus kommen“. Diese Ängste müssten den Menschen genommen werden.

Schon vor dem Ausbruch des Corona-Virus rechneten die Experten mit einem Anstieg bei Krebs. Laut Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sich die Zahl bis 2040 fast verdoppeln. Dem Weltkrebsreport der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) zufolge erkrankten 2018 weltweit 18,1 Millionen Menschen an Krebs, 9,6 Millionen starben. 2040 dürften demnach 29 bis 37 Millionen Menschen neu erkranken. Auch Baumann ging Anfang Februar von einer solchen Entwicklung aus. Gründe seien die wachsende und älter werdende Weltbevölkerung, aber auch „Lebensstilfaktoren“.

Das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) rechnete noch im Dezember 2019 mit einer weiter steigenden Zahl an Krebserkrankungen in Deutschland. Für 2020 wurde erwartet, dass die Erkrankungen gegenüber 2016 um knapp 20.000 auf rund 510.000 neu diagnostizierte Fälle ansteigen.

ls/sb/dpa

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