Mittwoch, Mai 1, 2024
StartPolitikEuropa„Covid-Krise könnte Fachkräfteparadox verstärken“: BMAS hält an Einwanderungsgesetz weiter fest

„Covid-Krise könnte Fachkräfteparadox verstärken“: BMAS hält an Einwanderungsgesetz weiter fest

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hält trotz Corona-Krise an dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz fest. Die Auswirkungen der Pandemie könnten das „Fachkräfteparadox“ noch verstärken. Das teilte das Ministerium auf Sputnik-Anfrage mit. Die Notwendigkeit einer verstärkten Erwerbsmigration bleibt weiterhin umstritten.

Die Covid-19 bedingte Konjunkturkrise hält Deutschland weiterhin fest im Griff. Als Folge der Corona-Pandemie steigt die Arbeitslosenzahl kräftig an. Mit 2.813.000 lag sie im Mai 169.000 höher als im Vormonat, wie das Bundesagentur für Arbeit mitteilt. Gegenüber dem Vorjahr hat sich damit die Arbeitslosenzahl um 577.000 erhöht. Nach aktuellen Daten der Arbeitsagentur wurden vom 1. bis einschließlich 27. Mai für 1,06 Millionen Personen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt – nach zusammen 10,66 Millionen im März und April. Insgesamt liege die Unterbeschäftigung im Mai 2020 bei 3.573.000 Personen. Damit waren es 383.000 mehr als im letzten Jahr.

„Der Start in das zweite Quartal 2020 war für die deutsche Industrie ein bislang beispielloses Desaster. Im April 2020 unterschritt die Produktion das Niveau vom März, als bereits ein Rückgang in Höhe von elf Prozent gegenüber Februar zu verkraften war, nochmals um 22 Prozent. Damit war der Einbruch allein in diesen beiden Monaten schon tiefer als während der gesamten Finanzmarktkrise von 2008/2009“, gab am Dienstag das „Institut der Deutschen Wirtschaft“ (IW) in Köln bekannt. „Vielfach deutlich unterausgelastet“ bleibe auch das Produktionspotenzial im Jahr 2021.

Gleichzeitig empfiehlt eine IW-Analyse, Deutschland soll weiterhin auf Erwerbszuwanderung aus Drittstaaten setzen. Denn: Die Zuwanderung der 2010er-Jahre habe sich nicht nur auf die demografische Struktur der Bevölkerung insgesamt, sondern auch auf die Altersstruktur der Erwerbstätigen in Deutschland günstig ausgewirkt, schreiben die Autoren der Studie.

 „Fachkräfteparadox“?

Doch wie passt das „beispiellose Desaster“ in der Konjunktur und die Forderung nach vermehrter Fachkräftezuwanderung zusammen?

Auch die Bundesregierung setzt weiterhin auf verstärkte Zuwanderung trotz der alarmierenden Zahlen und Prognosen. Auf Bitte der Sputnik-Redaktion, nach einer Einschätzung des IW-Berichts mit dem Titel „Beitrag der Zuwanderung zur Stabilisierung der demografischen Entwicklung“, schreibt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS):

„Eine der zentralen Herausforderung der kommenden Jahre ist und bleibt aber auch der beschleunigte Strukturwandel des Arbeitsmarktes durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischen Wandel. Dies führt zu einer zunehmenden Gleichzeitigkeit von Fachkräftemangel in einige Branchen und Regionen und Jobabbau in anderen Branchen und Regionen. Die Auswirkungen der Corona-Krise könnten dieses Fachkräfteparadox noch weiter verstärken.“

Die Priorität liege auf den inländischen Fachkräftepotenzialen, so das Ministerium. „Zur Wahrheit gehört aber auch: wir sind weiterhin auf qualifizierte Zuwanderung angewiesen. Denn: dass unsere Wirtschaft vor Ausbruch der Corona-Pandemie so gut darstand, beziehungsweise wir jetzt vor dem Hintergrund dieser robusten Wirtschaft agieren können, wäre ohne Zuwanderung kaum möglich gewesen.“

BMAS: „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz“

Dies gelte insbesondere für Fachkräfte aus dem europäischen Ausland, die in den vergangenen Jahren wesentlich zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand durch eine Entspannung der Fachkräftesituation beigetragen hätten. Doch auch hier greife mittelfristig der demografische Wandel. „Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass der Arbeitsstandort Deutschlands für Fachkräfte aus der EU attraktiv bleibt und wir müssen auch beim internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe besser werden. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird uns in dieser Hinsicht helfen, gezielte Fachkräfteengpässe zu lindern.“ Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz trat am 1. März 2020 in Kraft. Der Schwerpunkt liege, so das BMAS, auf der Gewinnung von Fachkräften mit qualifizierter Berufsausbildung.

Gleichzeitig gibt das Ministerium zu:

„Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19 Pandemie betreffen die gesamte und strukturelle Arbeitsmarktentwicklung und haben somit auch Auswirkungen auf die arbeitgeberseitige Fachkräftenachfrage.“ Dazu will das BMAS im Herbst eine erste Prognose vorlegen, „die auch der Komplexität der Situation Rechnung trägt“.

„Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz“, so das Ministerium. Das BMAS habe viele Maßnahmen ergriffen, wie die Anpassung des Kurzarbeitergeldes oder Erleichterungen in der Grundsicherung, um die Zeit überbrücken zu können.

„Mythos vom Fachkräftemangel“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftskrise seien die Empfehlungen der Studie nach größerer Zuwanderung „bei der hohen Unterbeschäftigung, die wir haben, doch etwas aus der Welt gefallen und vielleicht ein bisschen zynisch“, sagt der ehemalige Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Karl Brenke, im Sputnik-Interview

Das Gerede vom flächendeckenden Fachkräftemangel sei aus der Sicht der ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, „ein Mythos, hinter dem sich knallharte Interessenpolitik verbirgt“. „Wo Fachkräfte fehlen, müssen Unternehmen alles tun, um Beschäftigte mit guten Löhnen und dauerhaften Verträgen möglichst langfristig zu binden“, machte die Politikerin in einem Kommentar im Dezember deutlich.

Es mangele nicht an Fachkräften, so Wagenknecht, sondern in erster Linie an Unternehmen, die ausbilden, gute Löhne zahlen und faire Arbeitsbedingungen bieten würden.

„Dazu sollte das Kanzleramt mal einen Krisengipfel machen, statt die Wirtschaft mit billigen Arbeitskräften aus dem Ausland zu versorgen, mit denen sie hier die Löhne drücken können und deren Fähigkeiten und Qualifikationen in ihren Heimatländern dringend gebraucht werden“, schrieb die Linke-Politikerin.

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