Montag, Mai 6, 2024
StartPolitikKonflikte„Die Iraner können auf Trump verzichten“ – Movassat (Linke) mahnt zu Zurückhaltung

„Die Iraner können auf Trump verzichten“ – Movassat (Linke) mahnt zu Zurückhaltung

Den USA und den westlichen Ländern wäre ein Regime Change im Iran recht. Jedoch gehen die Menschen für ihre Rechte auf die Straße und nicht für die Interessen des Westens, sagt der Linkspartei-Abgeordnete Niema Movassat. Sollte der Westen Sanktionen erwägen, so dürfen diese nicht auf Kosten der Bevölkerung gehen.

Die Proteste im Iran reißen nicht ab. Zum Freitagsgebet werden größere Demonstrationen erwartet. Die Regierung will mit Gegendemonstrationen antworten. Armeechef Abdulrahim Mussawi soll sogar erwägen, das Militär gegen die regierungskritischen Demonstranten einzusetzen.

Derweil gehen die Spekulationen über mögliche Hintermänner der Proteste, die bereits mindestens 21 Todesopfer gefordert haben, weiter. Die einen vermuten den ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad hinter den regierungskritischen Demonstrationen. Andere sehen einen Machtkampf der Eliten: Der amtierende Präsident Hassan Rouhani gegen den geistlichen Führer Ajatollah Chamenei und die Revolutionswächter. Und dann gibt es noch von eben diesen Eliten den Vorwurf, ausländische Kräfte, allen voran die USA, würden sich in die Belange Irans einmischen und die Proteste befeuern, um möglicherweise einen Regimewechsel herbeizuführen. In einem Beschwerdebrief an den UN-Sicherheitsrat hat die iranische Regierung den USA groteske Versuche der Einflussnahme vorgeworfen.

Washington seinerseits hat den Weltsicherheitsrat und die Uno-Menschenrechtskommission aufgefordert, sich in eigens einberufenen Dringlichkeitssitzungen mit den iranischen Protesten zu befassen. Über den Kurznachrichtendienst Twitter hatte US-Präsident Donald Trump seine volle Unterstützung für die Demonstranten zum Ausdruck gebracht.

„Die USA sollten sich besser zurückhalten“

„Die Iranerinnen und Iraner können gut auf Trump verzichten. Sie gehen nicht für ihn auf die Straße, sondern für sich, für die eigenen Rechte“, kommentiert der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Niema Movassat im Sputnik-Interview. Der Politiker mit Wurzeln im Iran verfolgt die Berichterstattung im In- und Ausland und hat nach eigener Aussage auch „Eindrücke von vor Ort“. Er sagt: Die Interessen der Demonstranten und die der westlichen Länder sind vollkommen unterschiedlich motiviert.

„Die USA und andere westlichen Staaten haben natürlich ein Interesse an einem Regimewechsel im Iran. Aus außenpolitischen Gründen kommt es ihnen zupass, aus innenpolitischen Gründen – Menschenrechte und so – ist es ihnen, glaube ich, egal. Sonst müssten sie sich auch um einen Regime Change in Saudi-Arabien kümmern. Die Menschen im Iran haben im Wesentlichen ein innenpolitisches Interesse.“

Es sei für die Demonstranten im Iran besser, wenn der Westen sich zurückhielte. Denn letztlich sei es ein Argument für das Regime, wenn es sagen kann: Der Westen steckt hinter den Protesten.

Auch im Weltsicherheitsrat hat das Thema nach Ansicht des Linken-Politikers nichts verloren.

„Ich glaube, das ist kein Thema für den Weltsicherheitsrat, weil dieser eigentlich dann agieren soll, wenn es um einen internationalen Konflikt geht. Aus meiner Sicht ist es ein bisschen Show, den Sicherheitsrat anzurufen. In den UN-Menschenrechtsrat passt das Thema besser. Aber wenn das von den USA dort eingebracht wird, dann hat das natürlich immer dieses Geschmäckle …“

Im Iran habe man nicht vergessen, wie die USA 1953 den demokratischen iranischen Premier Mohammed Mossadegh in der Operation „Ajax“ gestürzt haben. Zusammen mit der Rolle, die die USA in Syrien gespielt hätten, wo sie daran beteiligt gewesen seien, einen Bürgerkrieg zu entfesseln, würde das das Bild eines nicht glaubwürdigen Partners abgeben. Daher sei er der Ansicht, gerade die Vereinigten Staaten sollten sich beim Thema Iran zurückhalten, so Movassat.

Trotz zahlreicher Bedenken hält der Weltsicherheitsrat am Freitag die von der Trump-Administration eingeforderte Dringlichkeitssitzung ab.

Ob die meist jungen Menschen, die seit nunmehr einer Woche in zahlreichen Städten Irans gegen soziale Ungerechtigkeit, Jugendarbeitslosigkeit und das korrupte Regime und für Menschenrechte und Versammlungsfreiheit auf die Straße gehen, letztlich etwas an dem System ändern können, bleibt fraglich. Im Iran gebe es keine legale Opposition, daher auch keine Partei, die den Protest koordinieren und anführen könnte, sagt Niema Movassat. Präsident Rouhani, der sich gelegentlich zumindest in Worten für mehr Freiheit im Land ausgesprochen habe, würde an den bestehenden Verhältnissen auch nichts ändern können.

„Rouhani ist Teil des iranischen Mullah-Systems, er ist in keiner Opposition dazu. Er hat sicherlich in bestimmten Punkten einen etwas anderen Zugang zu den Protesten, aber er hat keinerlei Einfluss auf den Sicherheitsapparat. Militär, Armee, Polizei, Revolutionsgarden sind in der Hand der religiösen Führung. Seine Äußerungen klingen für die westlichen Ohren erstmal positiv, wenn er sagt: Legale Proteste sind legitim. Dazu muss man aber sagen, dass es fast keine legalen Proteste gibt. Erfahrungsgemäß erlaubt das Innenministerium die Proteste nur dann, wenn sie pro Regime sind. Durch seine Politik ist Rouhani auch mitverantwortlich für die sozialen Verwerfungen im Land. Deshalb richten sich die Proteste auch gegen ihn selbst.“

Sanktionen – ein legitimes Druckmittel?

Während im Iran die Proteste weitergehen, erwägt der Westen Strafmaßnahmen in Form von Sanktionen. Bereits beschlossen wurden von den USA Sanktionen gegen fünf iranische Organisationen, denen eine Beteiligung am Raketenprogramm des Landes vorgeworfen wird. Diese Strafmaßnahmen sollen jedoch nicht mit den Protesten zusammenhängen. Laut Medienberichten soll außerdem die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi die USA gebeten haben, auch politische Sanktionen zu verhängen.

MdB Niema Movassat warnt indes davor, Wirtschaftssanktionen als Druckmittel einzusetzen. 

„Sanktionen in den Bereichen Militär, Sicherheitsapparat, Polizei sind sinnvoll: Ich würde es begrüßen, wenn man prüfen würde, dass die tatsächlich nicht weiter gegen die eigene Bevölkerung aufrüsten. Sanktionen im Bereich Wirtschaft lehne ich ab. Man hat die Erfahrung aus dem Irak: Da hat man versucht, die Bevölkerung durch Wirtschaftssanktionen systematisch auszuhungern, damit diese den Aufstand gegen Saddam Hussein macht. Aber ein Mensch, der um seine nackte Existenz kämpft, hat gar keine Kraft, eine Revolution durchzuführen.“

Bericht: Ilona Pfeffer

Das komplette Interview mit Niema Movassat (Linkspartei)

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