Donnerstag, Mai 2, 2024
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„Ein dickes Parteibuch macht noch keinen Landwirtschaftsminister“ – Bauerndemo in Berlin

In Berlin haben Landwirte mit Traktoren rund um den Verkehrsknotenpunkt „Großer Stern“ gegen die Landwirtschaftspolitik der Bundesregierung protestiert. Die Aktion war Teil von bundesweiten Protesten, denen sich tausende Landwirte anschlossen. Sputnik war in Berlin vor Ort.

Mit rund 100 Traktoren haben etwa 1000 Landwirte den Großen Stern in Berlin blockiert. Das waren deutlich mehr als bei einer vergleichbaren Demonstration im Jahr 2018. Die Bauern waren am Morgen mit einer Sternfahrt in Richtung Berlin auf fünf verschiedenen Routen aus dem Brandenburger Umland in die deutsche Hauptstadt ins dortige Regierungsviertel aufgebrochen. Sie wehren sich vor allem gegen mangelndes Mitspracherecht beim Insektenschutz und gegen das Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit den sogenannten Mercosur-Staaten in Südamerika.

Gegen „Bauern-Bashing“ und für Sachkompetenz in der Politik

Der brandenburgische Landesbauernpräsident Henrik Wendorff war stolz, dass die Landwirte die Demonstration über soziale Netzwerke weitgehend ohne Unterstützung seines Verbandes organisiert haben. Vor Ort traf Sputnik Stefan Overländer aus Milow im Havelland. Er bewirtschaftet nach eigener Aussage rund 700 Hektar in ökologischem Landbau. Im vergangenen Jahr habe er für eine LKW-Ladung Körnermais noch rund 10.000 Euro erhalten. Dieses Jahr sind es nur noch 7.000. Und den Großteil seiner Ernte hat er sowieso durch die Dürre verloren. Es sei ein hartes Brot, aber das sei nur einer der Gründe, warum er und seine Kolleginnen und Kollegen vor Ort seien, erklärt Overländer:

„Politiker, die auf gut Deutsch gesagt, keine Ahnung haben von Landwirtschaft, beschließen, das ist nicht gut, das müssen wir ändern. Und dann wird das so geändert, ohne die Wissenschaft mit hinzu zu ziehen. Dann sind die Bauern schuld am Insektensterben. Obwohl die Bauern vielleicht so einen kleinen Anteil daran haben, und ganz sicher gibt es schwarze Schafe, die übertreiben, die Bienenschutzvorschriften oder sowas nicht beachten, aber die Mehrheit von uns tut das nicht. Die Düngeverordnung soll erneut massiv geändert werden. Wenn das so würde, wie die Vorschläge im Moment sind, werden die Flächen maßlos unterdüngt sein, was den Flächen nicht gut tut, den Erträgen nicht, also den Bauern vor allen Dingen nicht. Und das alles, ohne Wissenschaft hinzu zu ziehen. Das kann so nicht sein, das darf so nicht bleiben.“

Overländer ist natürlich nicht der einzige, der sich gegen das „Bauern-Bashing“ zu Wehr setzt. Alleine in Bonn, am früheren Regierungssitz wurden rund 800 Traktoren und mehrere tausend Landwirte erwartet. Und auch in anderen Städten Deutschlands waren Bauern unterwegs, um ihrem Unmut Luft zu machen, über eine Agrar-Politik, die ihrer Meinung nach von wenig Sachkenntnis geprägt ist. Stefan Overländer in Berlin machte gegenüber Sputnik aus seinem Herzen keine Mördergrube und stellte der bundesdeutschen Landwirtschaftspolitik im Besonderen, aber auch der Politik im Allgemeinen ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis aus:

„Der Posten des Landwirtschaftsministers in deutschen Regierungen der letzten 20-30 Jahre ist fast immer ein Trostpreis. Da muss dann in den Koalitionsverhandlungen noch ein Ministerposten vergeben werden. Und dann kriegt irgendjemand den Posten des Landwirtschaftsministers zugeschoben, und der Landwirtschaftsminister ist dann kein Landwirt. Das ist für mich unvorstellbar. Der Landwirtschaftsminister muss jemand sein, der eine landwirtschaftliche Ausbildung hat, einen Betrieb oder eigentlich Landwirtschaft studiert hat und ein wirklicher Landwirt ist, nur das kann ein Landwirtschaftsminister sein. Und nicht irgendjemand, der ein schönes Jurastudium absolviert hat und ein schönes, dickes Parteibuch hat und deswegen den Landwirtschaftsministerposten verdient hat und auf seine Berater, die vielleicht Ahnung haben, nicht hören muss. Das kann so nicht sein, deswegen sind wir hier.“

Bauerndemo in Berlin
© SPUTNIK / SERGEJ FEOKTISTOV
Bauerndemo in Berlin

Die Politik reagiert vor Ort und in den Medien

Eine Politikerin hatte keine Berührungsängste mit den frustrierten Landwirten und war vor Ort. Carina Konrad, für die Freie Demokratische Partei (FDP) im Bundestag und dort stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft. Sie erklärte Sputnik, warum sie zur Protestveranstaltung der Landwirte gekommen war:

„Vor der Siegessäule hinter mir fahren die Traktoren. Die sind landesweit hergekommen. Traktoren gehören ja eigentlich auf den Acker und nicht hier mitten in die Hauptstadt. Das sehen die Hauptstädter wohl auch so, denn viele sind ein bisschen misstrauisch, was wollen die Landwirte denn eigentlich hier. Ich bin hier, weil ich mit den Landwirten in den Dialog treten möchte. Wir wollen den Landwirten zuhören. Wir Freien Demokraten haben verstanden, dass sie keine Politik von oben herunter, gutsherrenartig haben wollen, sondern, dass man möchte, dass man mit ihnen redet über das, was hier beschlossen wird.“

Die Bundespolitik bekräftigte unterdessen noch einmal, an ihren Plänen festhalten zu wollen. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zeigte ein gewisses Verständnis für die Proteste, aber im ZDF erklärte die Ministerin wenige Stunden vor Beginn der Demonstrationen: „Ich mute den Landwirten etwas zu, Veränderungen, aber ich mache das nicht ohne, dass ich sie auch finanziell unterstütze mit Fördermaßnahmen. Wir sind an der Seite der Bauern, aber auch an der Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher.“

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) beklagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur – DPA, dass  „der dramatische Abwärtstrend bei den Feldvögeln bislang nicht gestoppt“ werden konnte. Deshalb seien „deutlich mehr Anstrengungen“ beim Insektenschutz notwendig, denn die sind die Nahrungsgrundlage der Vögel.

© SPUTNIK / SERGEJ FEOKTISTOV

© SPUTNIK / SERGEJ FEOKTISTOV

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Der Deutsche Bauernverband signalisierte dagegen uneingeschränkte Unterstützung der Anliegen der protestierenden Landwirte in ganz Deutschland. Verbandspräsident Joachim Rukwied. In der Zeitung „Passauer Neue Presse“ bezeichnete Rukwied den „Aktionsplan Insektenschutz“ als den Moment, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. „Ich kann mir vorstellen, dass wir nicht nur am Dienstag Proteste erleben werden, sondern auch in den darauffolgenden Wochen“

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