Montag, April 29, 2024
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„Eine Hand wäscht die andere“ statt „Dem Deutschen Volke“ – Hinter den Kulissen der Macht

Der jüngste Fall um Nebentätigkeiten des CDU-Politikers Philipp Amthor ist nur ein kleines Strohfeuer in der ansonsten völlig im Dunkeln liegenden Welt von Lobbyismus und mächtigen Netzwerken. Doch Stück für Stück enthüllt sich nun ein Geflecht zwischen Union und Wirtschaft, das aufhorchen lässt. Ist das nur die Spitze des Eisbergs?

„Eine Hand wäscht die andere“ – dieser Leitspruch könnte auch hoch oben am Reichstagsgebäude angeschlagen sein. Stattdessen ist dort aber in einer Länge von 16 Metern der Satz „Dem Deutschen Volke“ zu lesen. Doch leider weiß das deutsche Volk sehr oft gar nicht, was ihre Bundestagsabgeordneten hinter den Kulissen oder auch als so genannte „Nebentätigkeit“ wirklich treiben. Der aktuelle Fall um den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel. Es geht hier bei Weitem nicht um den Ausrutscher eines Polit-Newcomers, wie es Springer-Presse und Parteikollegen gerne darstellen. Es geht um ein mächtiges Netzwerk aus Politik und Wirtschaft, es geht um dubiose Verbindungen in die USA und es geht möglicherweise um Betrug und Korruption. Dabei ist der 27-jährige Philip Amthor nur ein kleines Rädchen im riesigen Getriebe der Lobby-Republik Deutschland.

Es ist nicht alles schlecht…

„Für bezahlte Nebentätigkeiten habe ich gar keine Zeit“ – das schrieb der Bundestagsabgeordnete und heutige SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich vor einigen Jahren. Für ihn sei der Beruf des Abgeordneten ein Vollzeitjob. Als Wähler möchte man ihm für diese Aussage anerkennend auf die Schulter klopfen. Wie Mützenich halten es aber leider nicht alle Volksvertreter. Nach Recherchen von „abgeordnetenwatch.de“ haben mehr als 200 der insgesamt 709 Bundestagsabgeordneten in der aktuellen Legislaturperiode mindestens eine bezahlte Nebentätigkeit gemeldet, also mehr als jeder vierte Parlamentarier. Dabei wäre der Terminkalender mit dem Studieren von Anträgen und Gesetzestexten sowie den Anliegen im heimischen Wahlkreis eigentlich zur Genüge gefüllt.

Was ist erlaubt?

Das Abgeordnetengesetz bestimmt in Deutschland, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestags stehen soll. Tätigkeiten beruflicher oder nebenberuflicher Art sind aber grundsätzlich zulässig. Sie müssen jedoch bei der Bundestagsverwaltung angegeben werden, wenn sie einen gewissen Rahmen übertreffen. Das ist der Fall bei Nebeneinkünften ab 1.000 Euro pro Monat oder ab 10.000 Euro pro Jahr. Häufig gibt es aber Nebentätigkeiten, für die Bundestagsabgeordnete etwas viel Besseres als Geld erhalten, nämlich Macht und zahlreiche Vorteile. Das müssen die Politiker im Einzelnen und detaillierte nicht unbedingt veröffentlichen. Im Fall von Philipp Amthor machen wir das jetzt für Sie.

Philipp Amthor ist gebürtig aus Ueckermünde in Mecklenburg-Vorpommern, er stammt aus einfachen Verhältnissen und wuchs bei seiner Mutter auf. Seit 2008 ist er Mitglied der Jungen Union, bereits während seines Jura-Studiums war er Mitarbeiter von Landtags- und Bundestagsabgeordneten. 2017 kandidierte er im Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte und bekam dort ein Direktmandat. Seitdem sitzt der jetzt 27-Jährige im Bundestag. Er ist Mitglied im Innen- und Europaausschuss und er selbst rechnet sich dem konservativen Flügel der Union zu. Seine Reden im Parlament hält er eloquent und mit Sachverstand. Soweit, so gut.

Hinter den Kulissen

Ein Artikel des „Spiegel“ sorgte dann vor wenigen Tagen für Wirbel im politischen Berlin. Demnach hat der CDU-Abgeordnete Amthor mit einem Brief an den Bundeswirtschaftsminister und Parteikollegen Peter Altmaier Lobbyarbeit für das US-Unternehmen „Augustus Intelligence“ betrieben. Der Entwurf des Schreibens, der dem „Spiegel“ vorliegt, wurde im September 2018 auf dem Briefpapier des Deutschen Bundestags verfasst. Vor dem Versenden an das Ministerium wurde es laut Medienberichten in der Chefetage der US-Firma gegengelesen. In dem Papier lobte Amthor das Startup-Unternehmen und bat Altmaier um politische Unterstützung. Das Schreiben ging am 2. Oktober 2017 im Wirtschaftsministerium ein.

Augustus wer?

Das Unternehmen „Augustus Intelligence“ sagt Ihnen nichts? Kein Wunder, bis auf einen Artikel über eine Klage gegen das Unternehmen Anfang 2020 fand man im deutschsprachigen Google bis vor einer Woche nicht einen einzigen Artikel. Wie der „Spiegel“ recherchierte, hat das Startup seinen Hauptsitz im 77. Stockwerk des New Yorker „One World Trade Center“, dem höchsten Gebäude der USA. Kopf und Gründer des Unternehmens ist der 33-jährige Deutsche Wolfgang Haupt. Ebenfalls in der Chefetage: Der gebürtige Frankfurter IT-Experte Pascal Weinberger, der einst im Silicon Valley für Google im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) tätig war. Viel mehr lässt sich über die beiden ausgewanderten Deutschen nicht herausfinden.

Ein obskures Geschäftsmodell

Die wenigen bekannten Details zu „Augustus Intelligence“ zeigen ein KI-Startup mit großen Ambitionen: Im März hatte es nach eigenen Angaben 80 Mitarbeiter, laut „Spiegel“ gibt es an, in den USA Datenzentren zu betreiben und Software zur Gesichts- und Objekterkennung anbieten zu wollen. Auch gebe es Pläne im Bereich der Spracherkennung. Wenn das stimmt, würde „Augustus Intelligence“ mit den milliardenschweren Unternehmen „Amazon“, „Microsoft“ und „Google“ konkurrieren. Das tun zwar einige KI-Startups, allerdings mit dem Schwerpunkt auf jeweils einen spezielleren Aspekt der Künstlichen Intelligenz: Spracherkennung ODER Gesichtserkennung ODER Übersetzung. Und in der Regel betreiben Startups aus Kostengründen nicht gleichzeitig ihre eigenen Datenzentren.

Hier scheint alles anders…

Auf den Webseiten des Unternehmens wird kein eigenes Produkt angeboten. Das einzige, was dort im Detail beschrieben wird, ist eine Software, die Chatverläufe in Echtzeit in mehrere Sprachen übersetzen kann. Diese „Chatbot-Software“ für Kundenservices mit dem Namen „Satisfaction.ai“ wurde aber eigentlich bereits 2012 von einem anderen Unternehmen und teils französischen Programmierern entwickelt und nun anscheinend von Augustus übernommen. Diese Übersetzungssoftware ist zwar clever, aber nicht neu und auch kein großer Kassenschlager. „Augustus Intelligence“ verkaufte sie unter anderem an eine französische Autofirma.

Prominente Teilhaber

Die beiden Deutschen Chefs haben sich mit den Jahren offenbar ein einflussreiches Netzwerk aus konservativen Politikern aufgebaut. Laut „Spiegel“ ist Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Teilhaber bei „Augustus Intelligence“. Guttenberg besitzt seit einigen Jahren eine kleine US-Beratungs- und Investmentfirma mit Sitz in New York – übrigens auch im „New World Trade Center“. Guttenberg soll erst zahlreiche Aktien von „Augustus Intelligence„ erworben haben und ist nun zum „President in charge of General Affairs“ in dem Unternehmen aufgestiegen. So stand es zumindest im Impressum des Startups. Das Impressum wurde mittlerweile allerdings komplett von der Webseite gelöscht.

Ein bekanntes Gesicht

Auch dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen werden Verbindungen zu dem Unternehmen nachgesagt. Unklar ist, in welcher Funktion. Er war aber bei gemeinsamen Dienstreisen mit dem Unternehmenschef und Philipp Amthor unterwegs. Dabei ist auch ein Foto dieser drei Akteure zusammen mit dem prominenten deutschen Unternehmensberater Roland Berger entstanden, das aktuell auf Twitter kursiert. Ein weiterer Akteur bei „Augustus Intelligence“ ist laut „BusinessInsider“ der frühere BND-Chef August Hanning. Der ist mittlerweile nicht nur Betreiber der Unternehmensberatung „Hanning Consult“, er sitzt auch in der Geschäftsführung einer Sicherheitsfirma namens „System 360 AG“ –  spezialisiert auf Sicherheitskonzepte für Wirtschaftsvertreter, um deren Privatleben abzuschirmen. 

​Das unbeschriebene Blatt „Augustus Intelligence“ füllt sich derzeit weiter mit brisanten Fakten: Anscheinend gibt es eine Klage gegen das Unternehmen vor einem New Yorker Gericht. Zwei ehemalige Mitarbeiter werfen dem Unternehmen dubiose Geschäftspraktiken vor, von „Betrug, Illegalität und Korruption“ ist die Rede. Genaueres ist nicht bekannt. Gefeuert wurden die Mitarbeiter zuvor übrigens von Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Funktion als „President in charge of General Affairs“. Seitens der Mitarbeiter habe es einige merkwürdige Vorgänge bei „Augustus Intelligence“ gegeben. Einer davon: Wenn das Unternehmen hochkarätige Gäste oder Investoren erwartete, so seien die wenigen Mitarbeiter zuvor angewiesen worden, Freunde und Bekannte zu mobilisieren und diese in die Geschäftsräume mitzubringen, damit die Büros für Außenstehende gefüllt aussahen.

Und mittendrin: Amthor

Zwar soll kein Honorar an Amthor für seine Vermittlungen und Dienste geflossen sein, dafür aber rund 2800 Aktienoptionen an der aufstrebenden Firma „Augustus Intelligence“. Außerdem bekleidete der CDU-Abgeordnete bei dem Startup einen Direktorenposten. Dem „Spiegel“ liegen laut eigenen Aussagen auch Unterlagen vor, wonach Amthor Reisen und Aufenthalte in Luxushotels mit Augustus-Mitarbeitern unternommen haben soll, zum Beispiel auf der französischen Insel Korsika, inklusive bestelltem Champagner und Austern. Klingt nach einer netten Abwechslung zum politischen Alltag.

Ein wertvoller Mitarbeiter

Amthors Bemühungen für „Augustus Intelligence“ waren anscheinend fruchtend: Im November 2018 gab es gleich zwei Treffen – eines per Video-Konferenz und eines persönlich – im Bundeswirtschaftsministerium. Mit dabei: Vertreter von „Augustus Intelligence“, Philipp Amthor und der damalige parlamentarische Staatssekretär in dem Ministerium, Christian Hirte – ebenfalls CDU. Hirte und Amthor einte nicht nur die politisch konservative Ausrichtung: Hirte will der nächste CDU-Vorsitzende in Thüringen werden, Amthor kandidierte bis zu seinem Skandal-bedingten Rückzug an diesem Freitag als CDU-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern. Laut Wirtschaftsministerium sei es bei dem Treffen damals aber lediglich um eine Vorstellung des Unternehmens gegangen, Aufträge seitens der Regierung seien dabei nicht vergeben worden. Was aber dann?  

VIP-Pass in die Bundespolitik

Ob das „wir haben nur geplaudert“ auch für andere Ministerien gilt, ist nicht bekannt. Denn bereits zuvor, am 26 September 2018, gab es ein prominentes Treffen zum Thema Künstliche Intelligenz im Bundesverkehrsministerium. Die Teilnehmer waren damals neben Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hochrangige Unternehmensvertreter von BMW, Bosch, Deutscher Bahn und Deutscher Telekom, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt UND dem Augustus-Chef Wolfgang Haupt. Auf der Seite des Ministeriums kann man noch heute ein hübsches Gruppenfoto finden: Zwölf Personen waren anwesend, in erster Reihe Seit an Seit Herr Scheuer und Herr Haupt. Laut dem „Spiegel“ haben sich Haupt und Scheuer sogar schon im Sommer 2018 allein getroffen. Warum? Darüber herrscht Schweigen im Walde.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bei einem Treffen im Ministerium am 26.09.2018. zum Thema künstliche Intelligenz. Ebenfalls anwesend: Der Chef von „Augustus Intelligence“, Wolfgang Haupt (2. v. rechts)
© FOTO : BMVI
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bei einem Treffen im Ministerium am 26.09.2018. zum Thema künstliche Intelligenz. Ebenfalls anwesend: Der Chef von „Augustus Intelligence“, Wolfgang Haupt (2. v. rechts)

Für „Augustus Intelligence“ war Amthor jedenfalls eine große Hilfe. Das soll auch ein vom „Spiegel“ öffentlich gemachter Chatverlauf belegen. Dort schreibt der CEO der Firma einem Augustus-Mitarbeiter, was er von Amthor generell hält:

„So ein geiler Typ. Wir müssen uns echt bei ihm bedanken.“

In welcher Form diese Danksagung dann 2018 passiert ist, darüber schweigen die Beteiligten. Dank dem „Spiegel“ ist der ganze Vorfall überhaupt nur ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Anscheinend hatte das Magazin bereits seit Monaten zu „Augustus Intelligence“ recherchiert, zu Jahresbeginn auch bereits einen Artikel über die Korruptionsvorwürfe gegen das Unternehmen veröffentlicht. Irgendwann ist man bei den Recherchen dann wohl zwangsweise auf den Namen Amthor gestoßen.

Der Sünder gibt sich geläutert… 

Nach Veröffentlichung des brisanten Falls äußerte sich wenig später auch Amthor selbst. Sputnik hatte seine Stellungnahme zunächst per Mail aus dem Abgeordnetenbüro erhalten, wenig später wurde diese auch auf der Facebook Seite des CDU-Politikers geteilt. Diese trägt die Überschrift „Es war ein Fehler“. Wohl gemerkt nicht „Es war mein Fehler“, oder „Ich habe einen Fehler gemacht“, sondern es war EIN Fehler. Weiter schreibt Amthor, dass er seine Nebentätigkeit für „Augustus Intelligence“ seinerzeit der Bundestagsverwaltung angegeben habe. Wohl gemerkt natürlich nicht mit all den unentgeltlichen Vorteilen, die er dafür parallel empfing. Dann erklärt Amthor:

„Ich bin nicht käuflich.“

Eine sehr kühne Aussage, wenn man bedenkt, dass seine politische Einflussnahme hinter den Kulissen mit 2.815 Aktienoptionen des Startups, einem Direktorposten und allerlei VIP-Schmeicheleien wie Reisen, Hotels und Champagner einhergeht, wenn nicht belohnt wurde. Zwar habe Amthor den Posten und die Aktienoptionen mittlerweile zurückgegeben – doch aller Wahrscheinlichkeit nach nur aufgrund des medialen Drucks. Die Aktienerlöse wären später sicher eine nette Altersvorsorge gewesen.

„Gleichwohl habe ich mich politisch angreifbar gemacht und kann die Kritik nachvollziehen. Es war ein Fehler.“

Er hat sich „politisch angreifbar“ gemacht? Das ist das Framing vom Opfer und den bösen Angreifern. Opfer sind die Guten, Angreifer sind die Bösen. Er gehört also zu den „Guten“. Und Fehler können ja jedem passieren.

„Mein Engagement für das Unternehmen entspricht rückblickend nicht meinen eigenen Ansprüchen an die Wahrnehmung meiner politischen Aufgaben.“

Ein geradezu perfide geschickter Satz, der uns einlullen soll. Typisch das Wort „rückblickend“, von dem es gerne heißt „rückblickend ist man immer schlauer“. Auch schreibt Amthor, dieses Kapitel sei ihm eine Lehre gewesen. Ach wie erfreulich! Wer kann ihm da noch böse sein? Als Konsequenz habe er seine Nebentätigkeit bei dem US-Unternehmen beendet und die Anteilsoptionen des Startups zurückgegeben. Das hätte er wohl kaum getan, wenn nicht der „Spiegel“-Bericht und das öffentliche Echo ihn dazu gezwungen hätten.

War das schon alles? Nein! Schon länger ist auf der Bundestagsseite nachzulesen, dass Amthor ebenfalls seit einigen Jahren als Nebentätigkeit für die US-Wirtschaftskanzlei „White & Case“ als „freier Mitarbeiter“ tätig ist. Verdienst: Bis zu 3.500 Euro monatlich. Hauptsitz der Kanzlei ist übrigens der New Yorker Stadtteil Manhattan, genau wie von „Augustus Intelligence“. Laut Unterlagen, die ebenfalls dem „Spiegel“ vorliegen, pflegen beide Unternehmen geschäftliche Beziehungen. Es besteht der Verdacht, dass Amthor über „White & Case“ als Honorar getarnte Zahlungen von „Augustus Intelligence“ erhalten hat. Der CDU-Politiker weist das zurück. Welche Tätigkeiten er genau für die Wirtschaftskanzlei ausgeübt hat, dazu will Amthor sich aber nicht äußert. Stattdessen möchte er diese Nebentätigkeit nun vorerst ruhen lassen. Man muss schon auf beiden Augen blind und dazu noch taub sein, um hier KEINE Unregelmäßigkeiten zu erkennen.

Als wäre nichts gewesen…

Innerhalb seiner Partei schweigt man das Thema jedoch tot. Weder Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, noch Generalsekretär Paul Paul Ziemiak, oder gar die Kanzlerin äußerten sich zum Fall Amthor. Auch bei der jüngsten Fraktionssitzung, bei der Amthor schweigend in der letzten Reihe saß, wurden die Verfehlungen des Polit-Neulings nicht angesprochen. Lediglich der Unionsvize Johann Wadephul sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland in Bezug auf die Vorwürfe gegen Amthor:

„Er ist eben noch jung.“

Die Linke fordert derweil den Rücktritt von Philipp Amthor, oder vielmehr die Abgabe seines Mandats als Bundestagsabgeordneter. Der Satiriker und Europaabgeordnete der Partei Die PARTEI Nico Semsrott hat nach eigenen Aussagen bereits Strafanzeige bei der Zentralstelle Korruptionsbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin gegen Amthor gestellt, wegen „des Verdachts auf Bestechlichkeit eines Mandatsträgers“. Amthor schade dem Ruf „von uns seriösen Politiker*innen”, erklärte Semsrott auf Facebook.

Einzige Konsequenz?

Immerhin: Amthor war bisher Mitglied des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur Aufklärung des Anschlags am Berliner Breitscheidplatz vom Dezember 2016. Demnächst soll in diesem Ausschuss Hans-Georg Maaßen als ehemaliger Verfassungsschutzchef vernommen werden. Wenn man bedenkt, dass Amthor und Maaßen wohl zusammen kostspielige Reisen unternommen haben, hätte das einen Beigeschmack gehabt. Um dem zu entgehen, kündigte Amthor vor wenigen Tagen seinen Rückzug aus dem Ausschuss an.

Das Netzwerk dahinter…

Interessant ist, dass ein Großteil des Netzwerkes und Geflechts, welches in dem Fall aufgedeckt wurde, in irgendeiner Form mit der Werteunion zu tun hat. Die Werteunion ist ein eingetragener Verein, der als ein Zusammenschluss konservativer und wirtschaftsliberaler Mitglieder innerhalb von CDU und CSU gilt. Den Vorsitz hat der CDU-Politiker Alexander Mitsch, Pressesprecher ist Ralf Höcker. Dieser ist ebenfalls CDU-Mitglied und besitzt eine Anwaltskanzlei, in der Hans-Georg Maaßen seit Ende 2019 tätig ist. Bereits vor zwei Jahren erklärte die Werteunion, sie unterstütze bei der Bundestagswahl 2021 einen neuen konservativen Kandidaten, als Vorschläge wurden Friedrich Merz und Karl-Theodor zu Guttenberg genannt. Merz und Amthor hatten sich zuletzt immer wieder zusammen gezeigt, Amthor unterstützt Merz bei der Wahl zum Parteivorsitz. Die Werteunion unterstützt nebenbei auch die Kandidatur von Christian Hirte zum CDU-Vorsitz in Thüringen. Der konservative Verein hat nur rund 4.000 Mitglieder, im Vergleich zu mehr als 400.000 Mitgliedern allein bei der CDU ist das recht gering. Aber er ist dafür offensichtlich einflussreich.

Transparenz statt Hinterzimmer

Immer wieder geht es auch im Bundestag darum, mehr Transparenz bei Nebentätigkeiten zu schaffen. Etwa die Veröffentlichung auf Euro und Cent genau, oder auch von nicht-materiellen Vorteilen bei Nebeneinkünften. Mehrfach gab es hierzu in den vergangenen Jahren Abstimmungen im Bundestag, um dies zu verschärfen. Zuletzt im November 2019. Redner für die Unionsfraktion im Bundestag war hier kein geringerer als Philipp Amthor! Damals erklärte er:

„Informationsfreiheitsgesetz zu einem Transparentgesetz weiterentwickeln? Das klingt ja wirklich so, als könne man das nicht ablehnen. Aber es ist dann doch mal wieder nur grüne Wohlfühl-Etikettierung.“

Und wie gewohnt stimmte dann auch im November die Union erneut gegen mehr Transparenz – im Gegensatz zu SPD, Grünen und Linken. Knapp 800 Interessenvertreter haben derzeit einen weitgehend unbegrenzten Zugang zum Reichstag, zu den Abgeordnetenbüros, zu den Fraktionsräumen und dem Bundestagsrestaurant. Die Union stellte zuletzt die meisten Hausausweise für Lobbyvertreter im Bundestag aus.

Die Grenze ist überschritten

Lobbyismus ist ja nicht grundlegend zu verurteilen: Ein großer Teil der Interessenvertreter mit Bundestagsausweis kommt beispielsweise aus dem Sozialbereich. Auch ist es völlig o.k. und richtig, wenn sich ein Bundestagsabgeordneter für ein Unternehmen aus seinem Wahlkreis einsetzt, um dort Arbeitsplätze zu erhalten – dafür wird der Politiker schließlich auch gewählt. Die Grenze wird aber überschritten, wenn die gewählten deutschen „Volksvertreter“ in Hinterzimmern für ausländische Akteure lobbyieren, ohne dass die Bevölkerung auch nur ansatzweise davon Wind bekommt.

Es könnte so einfach sein…

Warum werden die Terminkalender der Abgeordneten nicht öffentlich ins Netz gestellt? Manche Minister machen das bereits erfolgreich vor. Eine Verpflichtung würde Abhilfe schaffen. Doch bis es soweit ist, wird die eine-Hand-wäscht-die-andere-Mentalität inflationär weiterbetrieben. Ja, in anderen Ländern mag Lobbyismus wohl noch eine dramatischere Rolle spielen als hierzulande. Das ist aber keine Entschuldigung. Wie gesagt, am Berliner Reichstagsgebäude steht es geschrieben: „Dem Deutschen Volke“. Das ist keine Wohlfühl-Etikettierung, das ist der Leitspruch, das Leitmotiv. Das sollte es zumindest sein. Nachvollziehbar und transparent. Alles andere ist zweitrangig… 

* Die Meinung des Autors muss nicht der der Redaktion entsprechen.

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