Sonntag, Mai 5, 2024
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EU-Freizügigkeit sei Dank – Schamlose Ausbeutung osteuropäischer Reinigungskräfte in Berlin

In Berlin stößt die unkontrollierte Vergabe von Steuergeldern an Reinigungsfirmen auf Kritik, die durch verbotene Subunternehmer osteuropäische Lohnsklaven ausbeuten. Auslöser war der Fall eines Mannes aus der Republik Moldau, dessen Geschichte aber auch exemplarisch für ein Problem steht, das über Berlin hinausreicht.

Nicolae Caraus wollte eigentlich nur eine Chance nutzen, um den prekären Lebensbedingungen seiner moldauischen Heimat wenigstens für drei Monate zu entfliehen. Dass er so etwas wie das unfreiwillige Gesicht eines Schwarzarbeit-Skandals in Deutschland wurde und deswegen Interviews geben muss, das war allerdings nicht sein Plan. Alles klang so verlockend, als er im Frühsommer 2019 in Bukarest angesprochen wurde. Denn schon für die Summe, die ihm als Nettolohn für einen Monat Reinigungsarbeiten in Berliner und Münchener Schulen in Aussicht gestellt wurde, hätte er in seiner moldauischen Heimat deutlich länger arbeiten müssen. Und insgesamt sollte Caraus drei Monate deutsche Schulen putzen. Für den 39-jährigen, der sich und seine kleine Familie mit Renovierungsarbeiten über Wasser hielt, ein kleines Vermögen.

Doch am Ende erhielt Nicolae Caraus außer einer kleinen Anzahlung kein Geld, sondern eine bittere Lektion im Fach Raubtierkapitalismus. Ermöglicht durch die eine auch in Deutschland überhaupt durch zur Quasi-Religion erhobene Politik der angeblichen Arbeitnehmer-Freizügigkeit – die in Wahrheit nur das profitable Rosinenpicken für jene „Arbeitgeber“ bedeutet, die entweder sowieso schon als Fettaugen auf der Suppe schwimmen oder skrupellos genug sind, Menschen schamlos auszubeuten und zu betrügen.

Dass in dieser Geschichte Berliner Lokalpolitik eine ganz schlechte Figur machte, ist nicht wirklich überraschend, aber fairerweise muss erwähnt werden, dass das hinter diesem Fall liegende Problem grundsätzlicher Natur ist und so auch in jeder anderen deutschen Stadt auftreten kann und auftritt. Dennoch, dass erst ein 39-jähriger Moldauer im wahrsten Wortsinn auf der Straße landen musste, bevor der zuständigen Verwaltung auffiel, dass Rechtsvorschriften mit hochkrimineller Energie umgangen wurden, um Steuergeld einzusacken, deutet darauf hin, dass in gewissen Bereichen offenbar Wildwest-Methoden herrschen.

Trotz Verbot Subunternehmen eingesetzt

Anders ist nicht zu erklären, dass in Berliner Schulen, trotz ausdrücklichen Verbotes, Reinigungsleistungen durch Subunternehmen ausgeführt werden können, die wiederum Menschen beschäftigen, die keine Arbeitserlaubnis besitzen. Anders ist nicht zu erklären, dass diese Praxis ganz offenkundig Standard ist, Kontrollen durch staatliche Behörden eher zufällig stattfinden, wenn sich ein ausgebeuteter Mensch wie Nicolae Caraus dann doch mal wehrt.

Die Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“ schilderte am 10. September 2019 ausführlich, wie Caraus rücksichtslos betrogen und bedroht wurde und wie relativ unwillig die zuständige Berliner Behörde daraufhin (re)agierte, allen voran die zuständige Bildungsstadträtin des Stadtbezirks Reinickendorf, die auf eine Nachfrage der recherchierenden Journalisten tatsächlich antwortete: „In den Sommerferien gab es keine Kontrollen. Wir haben keinen Hinweis darauf, dass da was ist und wollen uns nicht durch weitere Auskünfte verschärfend einbringen. Es ist sehr schwer, gute Unternehmen zu finden.“

Zu diesen „guten“ Unternehmen zählte die Bezirksstadträtin zu diesem Zeitpunkt offenbar auch ihren Vertragspartner, die Firma „Clean Garant“, die seit 2016 für das Bezirksschulamt arbeitet, neben anderen Berliner Einrichtungen und Behörden. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin beschäftigt nach eigenen Angaben im gesamten Bundesgebiet rund 3000 Menschen aus 20 Nationen und bewirbt sich dabei selbst mit dem Slogan „Wir setzen Maßstäbe“. Ob die Firma damit auch meint, sich einfach über geltendes Recht hinwegzusetzen, ist nicht bekannt.

Aber bekannt ist nun, dass „Clean Garant“ rechtswidrig die Reinigungsarbeiten in Reinickendorfer Schulen, deren offizielle Ausschreibung durch den Stadtbezirk sie gewonnen hatte, an ein Subunternehmen weitergegeben hatte, das auch Nicoale Caraus beschäftigte. Und betrog. Denn Caraus sah nach einer Baranzahlung von 370 Euro (etwas mehr als der durchschnittliche Monatslohn in der Republik Moldau) keinen einzigen Cent mehr, obwohl er jeden Tag arbeitete und dazu mehr als 50 Kilometer zwischen Berlin und dem Dorf Heckelberg-Brunow pendelte, wo Caraus mit seinen Kollegen in einem leerstehenden Haus mehr oder weniger campierte.

Beschwerden über Ausbeutung oder ausbleibende Zahlungen werden mit Drohungen beantwortet

Als Nicolae Caraus sich Mitte Juli 2019 wegen der ausbleibenden Zahlungen beschwerte, wurde ihm gedroht. Offenbar so nachdrücklich und überzeugend, das Caraus verängstigt floh und mehrere Tage auf der Straße lebte. Die Mitarbeiter des Berliner Beratungszentrums für Migration und Gute Arbeit (Bema) berichteten, dass sie den völlig entkräfteten Caraus erstmal aufpäppeln mussten, nachdem er nach einer Odyssee zwischen Moldauischer Botschaft, Straßenpassanten und Polizei schließlich bei ihnen landete. Die Auflistung der ausstehenden Löhne, die die Firma „Clean Garant“ Caraus schuldet, kann sich sehen lassen, insgesamt 310 Stunden unbezahlte Arbeit für mindestens 3723,60 Euro, denn die Bema-Mitarbeiter haben nur den tariflichen Mindestlohnanspruch der Reinigungsbranche angesetzt, ohne etwaige Zuschläge oder Verzugszinsen.

Selbstredend hatten sowohl „Clean Garant“ als auch das Bezirksamt Reinickendorf zunächst versucht, die Sache auszusitzen, als sie ruchbar wurde. Und vollkommen selbstverständlich sind sich beide Seiten natürlich keinerlei Schuld oder Verantwortung bewusst. Offenbar hat Nicolae Caraus quasi darum gebettelt „Bitte, beutet mich aus!“

In Berlin wurde 2018 durch Schwarzarbeit ein Schaden von mindestens 90 Millionen Euro festgestellt

2018 führte die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) beim Hauptzollamt Berlin rund 1600 Kontrollen durch. Sie schrieb mehr als 4000 Anzeigen und stellte dabei einen Schaden für die Gemeinschaft der Steuerzahler in Höhe von 90 Millionen Euro fest. Die „Hitliste“ der Branchen, in denen Schwarzarbeit grassiert: 1. Baugewerbe, 2. Transportgewerbe, 3. Gastronomie, 4. Reinigungsgewerbe. Wie gering das Risiko und damit auch die Dunkelziffer des Schadens ist, mag eine kleine Begebenheit deutlich machen, die sich der Autor beim Schreiben dieses Artikels in Erinnerung rief:

Jahrelang befand sich im Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße, genau am Ufer der Spree ein Stützpunkt der Polizei. Genau daneben, sozusagen vor den Fenstern und unter den Augen der Staatsmacht, befand sich ein sogenannter Bauarbeiterstrich, wo jeden Morgen junge Männer in Arbeitskleidung von Männern in Kleinbussen ausgewählt, aufgesammelt und auf die Baustellen der Hauptstadt und ihrer Umgebung transportiert wurden. Obwohl allgemein bekannt und unverkennbar, spielte sich dieses moderne „Hire & Fire“ vollkommen ungestört ab. Und wer je eine Schwarzarbeit-Razzia des Zolls auf Baustellen erlebt hat, wird bemerkt haben, mit welcher relativen Gelassenheit die dort kontrollierten Bauarbeiter inzwischen auf solche Kontrollen reagieren.

Im Hinblick auf das Reinigungsgewerbe lässt sich in Berlin auch etwas anderes Interessantes beobachten. Dazu muss man sich allerdings sehr früh am Spreeufer zwischen S- und U-Bahnhof Friedrichstraße und den Gebäuden des Bundestages postieren und genau zuhören. Dabei wird einem auffallen, dass sich frühmorgens ein Strom von Frauen in Richtung Reichstag, Jakob-Kaiser-Haus, Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus bewegt, die sich angeregt in vorwiegend osteuropäisch anmutenden Sprachen unterhalten. Das ist unter anderem die Armada jener Reinigungskräfte, die in den wichtigsten Gebäuden der deutschen Volksvertreter sauber machen. Ob sie auch von der Firma „Clean Garant“ beschäftigt werden oder ob diese Firma woanders „Maßstäbe setzt“, ist nicht bekannt.

Quelle!:

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