Freitag, Mai 3, 2024
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„Exit-Deutschland“ vor dem Aus: „Propaganda statt Deradikalisierung“ – Exklusiv

Die Aussteigerinitiative „Exit-Deutschland“ warnt in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel, dass der Kampf gegen Extremismus gefährdet sei. Denn die Finanzierung des Programms bleibe im kommenden Jahr ungeklärt. Empört zeigt sich im Sputnik-Interview der Kriminologe und Mitbegründer der Beratungsstelle, Dr. Bernd Wagner.

Die Aussteigerinitiative „Exit-Deutschland“ wurde im Jahr 2000 gegründet. Unterstützt wird die Arbeit im laufenden Jahr im Rahmen des Bundesprogramms von „Demokratie leben“ mit 225.000 Euro. Im Jahr 2013 hatte das Bundeskabinett beschlossen, „Exit-Deutschland“ langfristig zu fördern. Im Zusammenhang mit dem damaligen Verzicht auf einen NPD-Verbotsantrag sowie als Lehre aus den NSU-Morden wurde die Arbeit der Organisation als wichtiges Instrument im Kampf gegen den Extremismus eingestuft. Die Förderung über das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) läuft nun zum Jahresende aus und wird neu organisiert.

Das BMFSFJ wolle „Kompetenzzentren“ statt Strukturentwicklung für einzelne Träger bilden, die ihre Expertise dann bundesweit lokalen Projekten zur Verfügung stellen könnten. Opfer- und Ausstiegsberatung werde „auch in der neuen Förderperiode von besonderer Bedeutung sein“, sagte ein Sprecher der „Frankfurter Rundschau“. Doch nur höchstens fünf Träger sollen gemeinsam ein Konzept abgeben können.

Der Diplom-Kriminalist und Mitbegründer von „Exit-Deutschland“, Dr. Bernd Wagner, befürchtet im Sputnik-Interview, dass seine Aussteigerinitiative sich nicht unter den fünf Trägern wiederfinden werde. Er hat im Jahr 2010 die Arbeitsstelle „Islamismus und Ultranationalismus“ gegründet. Vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck erhielt er für seine Arbeit im Jahr 2014 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Herr Dr. Wagner, Sie haben einen offenen Brief an Frau Merkel geschrieben. Denn Ihrem Aussteigerprogramm „Exit-Deutschland“ droht das Aus. Warum? Was ist da passiert?

Es ist passiert, dass das Ministerium für Frauen und Jugend und andere Gruppen unter der Leitung der sozialdemokratischen Politikerin Dr. Giffey, ein neues Programm für 2020 konzipiert haben und dieses Programm ist so aufgebaut, dass bestimmte Formate der Tätigkeit im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung in Sachen Rechtsextremismus, nicht gefördert werden können – per Konstruktion des gesamten Programmansatzes. Das trifft uns in voller Härte und deswegen haben wir jetzt Not, eine neue Konzeption aufzustellen, die finanziell nur wenig unterdeckt ist.

Wie erklären Sie sich das?

Das hat mit einem Umbau der Philosophie des Ministeriums zutun, das nicht darauf aus ist, die harten Formen des Rechtsextremismus in den Mittelpunkt zu stellen, das auch nicht den Islamismus in bedeutender Weise bedenkt und auch den Linksextremismus weitestgehend in das Reich der Fabel verweist – was in der gegenwärtigen Lage auf der Hand liegen müsste. Es soll in diesen Segmenten sogenannte „Kompetenznetzwerke“ entwickelt werden, in denen wir allerdings keine Rolle spielen.

Da werden Träger wahrscheinlich ausgesucht, die mit dem Thema Deradikalisierung, was wir machen, nichts mehr zu tun haben, sondern sich eher mit der Propaganda und Analyse aufhalten, um gegen Rechtsextremisten zu wettern, zu stigmatisieren, Protestaktionen zu organisieren und allenfalls Medien Interviews zu geben, um die neuesten Elaborate der Wissenschaft der Menschheit zum Besten zu geben. Ansonsten wird ein riesiger Programmteil mit enormen Geldern ausgestattet, dann eher in soziale Arbeit und Pädagogik der Bundesländer hineingestopft und in Bildungsarbeit. Das heißt, weit im Vorfeld jeglichen Extremismus‘ werden Werteproduktion, Werteinstallation in der Gesellschaft versucht zu setzen, die dann den Zulauf zu extremistischen Institutionen zu verhindern suchen. Das hat in den letzten 20 Jahren nicht geklappt, ob das jetzt besser klappen wird, mag dahin gestellt sein. Das ist aber die große Linie, die das Ministerium fährt.

Was bedeutet das für „Exit-Deutschland“ konkret?

Es kann passieren, dass wir jetzt den Aussteigern Schritt für Schritt mitteilen müssen, dass wir sie nicht weiter betreuen können. Das heißt, sie werden faktisch der rechtsextremen Szene zum Fraß vorzuwerfen sein, was mich menschlich total angreift. Denn diese Leute haben mit der rechtsextremen, militanten Szene gebrochen und haben es jetzt nicht verdient, dass der Staat sie schutzlos im Gelände liegen lässt. Das finde ich sehr unanständig und das betrifft im Übrigen – wenn es auch die Generalpolitik der Regierung sein soll – auch Leute aus dem Spektrum des Islamismus. Von denen wir auch über 22 Leute betreuen. Das kann überhaupt nicht im Sinne der Terrorabwehr des Landes sein, eine solche Lücke zu hinterlassen. Aus politischer Eitelkeit und mit einer undurchdachten und durch nichts fachlich untersetzten, inhaltsleeren Konzeption.

Wie wichtig ist „Exit-Deutschland“? Und was droht der Bundesrepublik im Falle einer Beendigung ihres Programms?

„Exit“ ist, einschließlich des Islamismus, relevant für die gesamte Form des militanten Extremismus, weil dort tatsächlich echte und oftmals sehr bösartig agierende Kämpfer aus dieser Szene herausgenommen werden. Das ist auch eine Frage des Opferschutzes. Jeder der die Szene militanter Kämpfer verlässt, ob Rechtsextremist, ob Islamist, ist ein Akt des Opferschutzes. Er geht nicht mehr in weitere Serie mit anderen zusammen. Er schießt nicht mehr, schlägt nicht mehr, er zieht sich aus der Szene zurück. Das wäre auch beim NSU damals eine Maßnahme gewesen. Wir haben dieses immer angeboten. Es gab auch Impulse aus dem NSU heraus, die Szene zu verlassen. Das ist nicht aufgegriffen worden. Nicht von den Sicherheitsbehörden, aber auch nicht von den anderen zivilen Organisationen. Die Folgen haben wir dann kennengelernt.

Es gibt natürlich auf der Ebene der Länder Angebote, die aber nicht mit dem harten, dem militanten Rechtsextremismus so gut zurechtkommen. Es gibt auch Angebote von Polizei und einzelnen Verfassungsschutzämtern. Alle Ehren, aber dieses Angebot, was wir über Jahre gemacht haben, hat über 760 Personen – mit Islamisten zusammengerechnet – geholfen, sich der Szene zu entfremden und aus der Szene herauszugehen. Und 760 Personen als Kämpfer ist schon eine ziemlich große Einheit – militärisch und polizeilich gedacht. In solchen Kategorien denken natürlich Politiker selten und schon gar keine SPD-Damen, die mit anderen Sachen zu tun haben – möglicherweise mit Blick auf den Parteivorsitz.

Aus Ihrer Sicht ist es also eine Schwächung des Kampfs mit dem militanten Extremismus?

Eindeutig. Eine deutliche Schwächung und es regt mich sehr auf!

Sie haben im offenen Brief auch den Fall Walter Lübcke erwähnt. Warum ist es in diesem Fall erwähnenswert?

Er ist insofern erwähnenswert, weil er die Spannung der Lage kontrastiert. Das heißt, einerseits werden nicht ausreichend zielführende Programme in die Welt gesetzt – heiß, innig und propagandistisch in die Welt getragen. Andererseits haben Täter aus der rechtsextremen Szene, die möglicherweise verantwortlich sind für den Mord an Herrn Lübcke, freie Hand. Das ist also der Kontrast, der sehr auffällt. Deswegen haben wir ihn erwähnt.

Gab es bereits Reaktionen aus dem Ministerium zu Ihrem offenen Brief? Vielleicht hat sich Frau Merkel bei Ihnen gemeldet?

Frau Merkel hat sich nicht gemeldet. Aus dem Ministerium haben wir lediglich gestern einen Brief von einem untergeordneten Beamten der Ministerin erhalten, indem wir mitgeteilt bekommen, dass wir uns in der Reihe der Bedürftigen beim Ministerium anzustellen haben. Ansonsten sei zu dem Sachverhalt nichts Weiteres zu bemerken.

Warum ist eigentlich das Familienministerium hier für Sie zuständig? Warum nicht das Innenministerium?

Das ist eine Problematik, die schon seit den 1990er Jahren eine Rolle spielt. Man hat den Kampf gegen den Extremismus – insbesondere den Kampf gegen den Rechtsextremismus – immer in das Reich der sogenannten Sonderprogramme verwiesen. Das Parlament hat das getan, alle Regierungen haben das getan – eine absolut unmögliche politische Grundhaltung zu all den Fragen der Demokratiesicherung. Das muss ich allen politischen Parteien und Regierungen, die die Verantwortung übernommen haben, vorwerfen.

Man hat dies nicht als interaktive Regelaufgabe mit der Zivilgesellschaft, die auch eine Verantwortung hat für die innere Sicherheit und die demokratische Kultur, verbunden, sondern hat immer ein Gnadenerweis über Sonderprogramme installiert, wo man dann als Bitsteller, als Bettler bei der Politik anzustehen hatte sowie den Launen der Politiker und administrativen Verantwortlichen zu lauschen und zu folgen hatte. Es ist ein obrigkeitsstaatliches Verhältnis, die Auseinandersetzung mit dem Extremismus nicht auf gleicher Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft. Und deshalb insgesamt über Jahre nicht zielführend, sonst hätten wir heute die Lage nicht.

Haben Sie da noch Hoffnung, dass sich hier noch etwas ändern könnte?

Ich habe in diese Art von Regierungspolitik keine Hoffnung mehr.

Quelle!:

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