Sonntag, April 28, 2024
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“FOMO”: Digitale Demenz und unser gefährliches Experiment

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Sie sind uns allen schon begegnet: Das schicke Paar in einem Restaurant, wo beide leidenschaftlich Fehler, Gruppe existiert nicht! Überprüfen Sie Ihre Syntax! (ID: 2) auf ihrem Smartphone herumdaddeln und sich gegenseitig ignorieren.

Beide sind in ihrer eigenen, privaten Welt versunken. Dann gibt es den rücksichtslosen Kinobesucher im Sessel vor uns, der das Verbot, im Kino eine SMS zu schreiben, ignoriert. So werden wir vom grellen Bildschirm seines Smartphones geblendet, der die Netzhaut unserer Augen strapaziert. Dann gibt es die lästige Person in der Schlange bei Starbucks, die das Nachrichtenschreiben nicht lange genug unterbrechen kann, sodass sich die Schlange nicht vorwärts bewegen kann. Alle diese Personen haben etwas gemeinsam: Sie leiden möglicherweise unter FOMO.

FOMO ist die englische Abkürzung für „fear of missing out“, d. h. „die Angst, etwas zu verpassen“.

Der Begriff erschien im „Urban Dictionary“, einem Online-Wörterbuch für englische Slangwörter, am 14. April 2011 als Wort des Tages. FOMO wird als eine Art sozialer Angst betrachtet – eine zwanghafte Sorge, dass man eine Gelegenheit des sozialen Austauschs, eine neue Erfahrung oder irgendein anderes erfüllendes Ereignis verpassen könnte. Oft wird sie ausgelöst durch Meldungen auf Websites sozialer Medien. FOMO spiegelt die Angst wieder, dass Freunde lohnende Erfahrungen haben könnten, an denen man nicht Teil hat.

Tatsachen zu FOMO

Der in der Forschung tätige Psychologe Andrew Przybylski von der University of Essex und Kollegen an der University of California in Los Angeles sowie der University of Rochester haben kürzlich die erste empirische Untersuchung zu FOMO ver-

öffentlicht.

Ihre Ergebnisse:

FOMO ist eine unbewusste Triebkraft für die Nutzung sozialer Medien.

FOMO ist unter jungen Menschen und insbesondere unter jungen Männern am weitesten verbreitet.

Stark ausgeprägtes FOMO hängt mit einer geringen Befriedigung von Bedürfnissen und einer geringen Zufriedenheit mit dem eigenen Leben zusammen.

FOMO ist ein starker Faktor bei Menschen, die sich beim Fahren ablenken lassen.

FOMO ist bei Schülern und Studenten, die während des Unterrichts soziale Medien benützen, weit verbreitet.

Es gibt Hinweise dafür, dass stark von FOMO geprägte Personen in einem Teufelskreis stecken: Sie fühlen sich letztlich zunehmend einsam, weil Kontakte in den sozialen Medien zum Ersatz für Kontakte von Angesicht zu Angesicht werden. Das

erhöht ihr Gefühl der Isolation, was wiederum FOMO verstärkt. Das legt nahe, dass der Begriff „soziales Netzwerk“ ein Oxymoron (Zusammenstellung zweier widersprüchlicher Begriffe, z.B. bittersüß) ist, denn für viele ist es überhaupt nicht sozial oder gesellschaftsfördernd.

Das ehemalige FOMO-Opfer Glennon Melton, ie bei Momastery.com Blogs schreibt, drückt es so aus: „Ich denke, wenn wir zu viel Zeit unseres Lebens in sozialen Medien verbringen, sind wir ständig woanders und alleine.“

Maureen Dowd, die hitzige Kolumnistin der New York Times, stimmt dem zu. Sie glaubt, dass die eigenen elektronischenGeräte die Intimsphäre stören, und sagt: „Die Ausdehnung der Informationsbesessenheit auf die Intimsphäre – die langsame Offenbarung zweier Menschen – ruiniert das Geheimnisvolle, die Poesie und die Spannung. Statt dem Austausch von Zärtlichkeiten wird gepostet; anstelle von Küssen wird weitergeleitet, geteilt und gesendet.”

Sherry Turkle, Expertin für soziale Medien und Professorin am Massachusetts Institute of Technology erklärt in ihrem Buch „Alone Together“ (= Zusammen alleine), wie es zur Isolation kommt. „Manche, die sagen, ‚Ich führe mein Leben auf meinem Blackberry‘, geben offen zu, dass sie das ‚Echtzeit‘- Engagement eines Telefonats scheuen. Die neuen Technologien ermöglichen es uns, menschliche Kontakte ‚abzuwählen‘, ihr Wesen und ihren Inhalt genau zu dosieren … . Das Schreiben von SMS (oder WhatsApp) Nachrichten bietet genau das richtige Maß des Kontakts und genau das richtige Maß an Kontrolle.“ Als sie von einer 13-Jährigen spricht, die „das Telefon hasst und nie Sprachnachrichten abhört“, bemerkt Turkle, dass „sie ein modernes Goldlöckchen ist: Beim Schreiben von SMS kommen für sie die Menschen sich nicht zu nahe, sind aber auch nicht zu fern. Sie haben genau die richtige Distanz. Die Welt ist heute voll von modernen Goldlöckchen. Es sind Menschen, die die Annehmlichkeit lieben, mit vielen Menschen in Kontakt zu sein, die sie aber gleichzeitig auf Distanz halten.” Turkle  fasst das Dilemma zusammen, mit dem viele Menschen in einer vernetzten Welt konfrontiert sind: „Wann gibt es eine Zeit der Nichterreichbarkeit und der Ruhe? Die durch Textnachrichten getriebene Welt macht die Selbstbetrachtung nicht unmöglich, aber sie trägt wenig dazu bei, dass sie gepflegt wird.“

Der Psychologe John Grohol, ein Experte im Bereich psychischer Gesundheit im Zusammenhang mit dem Internet und Gründer von „Psych Central“ geht zur FOMO-Dynamik noch mehr ins Detail: „Jugendliche und Erwachsene schreiben Textnachrichten, während sie fahren. Die Möglichkeit der sozialen Verbindung ist für sie nämlich wichtiger als ihr eigenes Leben (und das Leben von Anderen). Sie unterbrechen ein Telefonat, um ein anderes anzunehmen. Dabei wissen sie nicht einmal, wer sich am anderen Ende der Leitung befindet … . Sie überprüfen ihren Stream in Twitter während einer Verabredung, denn es könnte sich ja möglicherweise etwas viel Interessanteres oder Unterhaltsameres ereignen. Es ist keine ‚Unterbrechung‘, es ist eine Verbindung. Aber Moment mal! Es handelt sich dabei aber nicht wirklich um eine ‚Verbindung‘. Es ist einfach die Möglichkeit einer anderen Verbindung. Diese kann besser oder schlechter sein – wir wissen das aber erst, wenn wir nachprüfen. Wir sind durch unsere Twitter-Streams und das Einloggen bei Foursquare (vormals auch soziales Netzwerk), durch Facebook sowie LinkedIn-Updates miteinander so verbunden, dass wir einfach nicht mehr bloß alleine sein können. Die Angst, etwas zu verpassen (FOMO) – was mehr Spaß macht, eine soziale Verabredung, die sich möglicherweise ganz spontan ergibt – ist so stark, dass wir, selbst wenn wir uns entschlossen haben, die Verbindung zu trennen, sie noch einmal herstellen, nur um sicherzugehen.“ Soziale Medien bieten die ständige Chance, anderen „zu gefallen“, Freunde und Anhänger zu haben. Außerdem bieten soziale Medien ständig die Möglichkeit, seinen Status zu vergleichen, so wie bei Facebook, LinkedIn und Twitter: Bei diesen sozialen Medien ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass sie FOMO fördern.

Sind Sie Internet-süchtig?

Hier ist eine Übung zur Selbstdiagnose:

Die Fragen werden von einem chinesischen Team verwendet, das die Auswirkungen starker Internetnutzung auf die

Gehirne von Jugendlichen erforscht.

1.) Haben Sie den Eindruck, ganz im Internet versunken zu sein (Erinnern Sie sich an die letzten Online-Aktivitäten,

oder sehnen Sie sich nach der nächsten Sitzung)?


2.) Empfinden Sie bei der Internetnutzung eine Befriedigung, wenn Sie Ihre Zeit im Internet erhöhen?


3.) Sind Sie wiederholt daran gescheitert, Ihre Internetnutzung zu kontrollieren, zu verringern oder aufzugeben?


4.) Fühlen Sie sich nervös, launisch, deprimiert oder empfindsam, wenn Sie versuchen, Ihre Internetnutzung zu verringern

oder sie aufzugeben?


5.) Verbringen Sie im Internet mehr Zeit, als ursprünglich beabsichtigt?


6.) Haben Sie wegen des Internets schon riskiert, eine wichtige Beziehung, Arbeit, Bildungs- oder Berufschance zu

verlieren?


7.) Haben Sie Ihre Familienmitglieder, Ihren Therapeuten oder andere Menschen angelogen, um die Wahrheit über

Ihre Internetnutzung zu verbergen?


8.) Verwenden Sie das Internet, um vor Problemen zu fliehen oder Angstzustände zu lindern, z. B. das Gefühl von

Hilflosigkeit, Schuld, Angst oder Depression?

Die Forscher sagen: „Sie sind internetsüchtig, wenn Sie die Fragen 1 bis 5 und mindestens eine der übrigen Fragen mit
‚Ja‘ beantwortet haben.“

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Das Märchen von Goldlöckchen 

Goldlöckchen (Goldilock) ist ein kleines Mädchen und kommt in ein Haus, das von drei Bären bewohnt wird. Die drei Bären haben alle die gleichen Gegenstände, aber in ihrer jeweils eigenen Ausführung. Jeder hat ein Bett, einen Stuhl usw. und auf dem Tisch stehen drei Teller mit Griesbrei. Goldlöckchen sieht sich in dem Haus um und probiert jeweils alle drei aus, findet aber, dass beispielsweise das Bett des Einen zu hart, das des Anderen zu weich, das des Dritten aber gerade richtig ist. Goldilock wird daher im angelsächsischen Sprachraum als Synonym für ein ‚gerade richtig’ zwischen zwei Polen angesehen.

FOMO bekämpfen

„Ich habe festgestellt: Wenn man Bemerkungen über alles Bemerkenswerte macht, wird dadurch alles weniger bemerkenswert … Ich habe mir „Sei ruhig!“ auf mein Handgelenk tätowieren lassen, denn ich weiß, dass uns Gefühle, Kreativität, Inspiration, Weisheit, Frieden und der Rest der guten Dinge uns in stillen Momenten erreichen.“
– Glennon Melton, Bloggerin bei Momastery.com (5)

Martha Beck, amerikanische Soziologin und Bestseller-Autorin, hat einen Bachelor-Abschluss in Ostasiatischen Studien und einen Doktortitel in Soziologie von der Harvard University. Eines ihrer Anliegen ist die schädliche Auswirkung sozialer Medien auf das Leben von Kindern. Beck sagt: „Die Welt der sozialen Medien, die FOMO ihren Namen gegeben hat, hat FOMO auch zu einer Seuche gemacht. Es ist schwer, diese für das 21. Jahrhundert typische Angst nicht zu entwickeln, wenn ein Blick auf das eigene Smartphone tausend eindrucksvolle Dinge offenbart, mit denen die eigenen Freunde – und Feinde – ihre Zeit verbringen.“ Als früher selbst von FOMO Betroffene und als Mutter ist es Beck ein Anliegen, praktische Wege zu finden, wie Kinder der Angst, etwas zu verpassen, widerstehen können…

„Schweigen ist die erste Sprache Gottes. Alles andere ist eine schlechte Übersetzung.“ —Thomas Keating

Lesen Sie hier weiter mit den entsprechenden Quellen und Verweisen.

Verweis:

Originaltitel: LARRY DOSSEY, MD (2014) FOMO, Digital Dementia, an Our Dangerous Experiment; erschienen in: Explore,


Volume 10, Issue 2, Pages 69-73, 2014; http://www.explorejournal.com/article/S1550-8307%2813%2900347-9/fulltext


Übersetzung: R. Tillack für Diagnose-Funk e.V. für www.diagnose-funk.org; mit frdl. Genehmigung des Autors.


DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.explore.2013.12.008;

Quellen: PublicDomain/diagnose-funk.org vom 15.11.2014

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