Dienstag, Mai 7, 2024
StartPolitikEuropa„Gescheiterte Allianz“? Deutsch-russische Beziehungen damals und heute

„Gescheiterte Allianz“? Deutsch-russische Beziehungen damals und heute

Einer der wenigen Realpolitiker in Deutschland ist Bundeskanzlerin Angela Merkel, meint Nikolaj Pawlow, Professor für Geschichte und Politik der Länder Europas und Amerikas an der Moskauer Universität für Internationale Beziehungen MGIMO und Autor des Buches „Deutsch-russische Beziehungen: eine gescheiterte Allianz“.

Im Interview mit Sputnik-Korrespondent Nikolaj Jolkin nannte Professor Pawlow auch Wolfgang Schäuble und einige andere. „Was aber Frank-Walter Steinmeier angeht, so ist er mehr Wunschdenker. Angela Merkel dagegen geht beim Aufbau der Politik nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber Amerika und anderen Staaten von den realen Bedingungen der heutigen Lage aus. Sie ist eine nüchterne und kühle Politikerin im Sinne Bismarcks, obwohl sie keine Allianzen wie er aufbaut. Sie berücksichtigt nur alle Kleinigkeiten in der großen Realpolitik auf der internationalen Arena.“

In der Innenpolitik müsse Merkel jetzt eine Koalition bilden, die einer Ehe zwischen vier Partnern ähnele, meint der renommierte russische Deutschland-Experte. Dies sei sehr kompliziert, aber notwendig. Sonst kämen Neuwahlen, die keine der Parteien wolle – außer vielleicht der SPD, die bei den Bundestagswahlen bedeutende Verluste erlitt.

Jedoch glaubt Pawlow nicht, dass die SPD mit Martin Schulz Neuwahlen gewinnen würde. „Außerdem bleibt wenig Zeit, um sich auf den neuen Wahlkampf vorzubereiten. Und das gilt für alle Parteien in Deutschland.“

Strategische Partnerschaft? 

Seinen Wunsch, ein Buch über die deutsch-russischen Beziehungen seit den Zeiten der Kiewer Rus und der Goten bis zur Gegenwart zu schreiben, erklärt der Experte damit, dass „viele Menschen in beiden Ländern eine strategische Partnerschaft ermöglichen wollen. Manche glauben sogar an eine militärpolitische Allianz in der Zukunft.“ Pawlow hält das für einen Fehler. Er ist überzeugt, dass es keine Voraussetzungen für eine solche Allianz gibt, „obwohl sie in der Geschichte unserer Beziehungen existierte. Eine Art Quasi-Allianz gab es zwischen einigen Herrscherhäusern in Deutschland und den ersten Romanows, aber auch später.“

Der Wissenschaftler nennt auch den Molotow-Ribbentrop-Pakt aus dem Jahre 1939. „Aber diese Allianz dauerte nicht sehr lang, ca. ein Jahr und paar Monate. Das war aber keine richtige Allianz. Noch eine Allianz gab es nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der UdSSR.“
Ein solches Bündnis sei heute nicht mehr denkbar, urteilt der Experte. „Damals gehörten wir zu einem militärpolitischen Pakt, zum Warschauer Vertrag. Jetzt ist Deutschland ein Teil der Nato, und Russland hat beim Umgang mit der Allianz zur Zeit große Schwierigkeiten. Deutschland versucht, als Mitglied der Nato und der EU mit Russland zu sprechen. Russland zieht es jedoch vor, bilaterale Beziehungen zu pflegen.“

Deutsche Einheit aus deutscher und russischer Sicht 

Für Deutsche gelte es, die Teilung Deutschlands zu überwinden, führt der Experte aus. „Für die Sowjetunion, Amerika, Frankreich und andere Alliierte im Zweiten Weltkrieg war diese Frage mit der Eliminierung der Gefahr eines neuen Krieges vom deutschen Boden verbunden. Auch im heutigen Russland gibt es Leute, die glauben, dass wir jetzt mit einem deutschen Europa zu tun haben und nicht mit einem europäischen Deutschland. Denn es dominiert in Europa, bis dahin, dass es als,Viertes Reich‘ bezeichnet wird.“

Pawlow widerspricht dem und behauptet: „Deutschland ist ein Teil Europas. Die Frage nach der Nationalität beantworten viele Deutsche mit,Wir sind Europäer‘.“ Und der Experte sieht keine Ambitionen Deutschlands, eine Großmacht zu sein.

Mehr als tausend Jahre zusammen 

Pawlow fährt fort: „Es gab dunkle und helle Seiten unserer Geschichte, aber kein anderes Volk steht uns so nah wie das deutsche Volk.“ Trotzdem zweifelt er an einer strategischen Partnerschaft zwischen Russland und Deutschland, denn diese müsse gemeinsame Wurzeln und auch Werte haben. „Und das haben wir bis jetzt überhaupt nicht. Obwohl wir vieles gemeinsam haben in der Mentalität und in der Geschichte. Wir haben aber auch große Unterschiede in der Wirtschaft, im Aufbau des Staates, in der Innenpolitik, und leider haben wir keine gemeinsamen Werte.“

Beitragsbild: © AFP 2017/ John Macdougall
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