Sonntag, Mai 5, 2024
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„Hände weg von Libyen“ – Berlin will den Stellvertreterkrieg nicht länger akzeptieren

Der Konflikt in Libyen droht, sich zu einem der gefährlichsten Stellvertreterkriege zu entwickeln. Auch die Türkei ist nun dabei, dort direkt einzugreifen. Politiker und Experten warnen vor einer Eskalation in der Region. Eine Konferenz in Berlin soll erhoffte Lösungen bringen.

„Libyen ist längst zu einem Ort für einen Stellvertreterkrieg geworden. Das wollen wir nicht mehr länger akzeptieren“, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas am Dienstag vor dem sogenannten Libyen-Treffen mit seinen Amtskollegen aus Großbritannien, Frankreich und Italien und dem EU-Außenbeauftragten Josep Borell.

Seit September 2019 führt die Bundesregierung gemeinsam mit dem UN-Libyengesandten Ghassan Salamé im sogenannten „Berlin Prozess“ Gespräche mit Ländern, die in und auf Libyen Einfluss ausüben. „Wir wollen diese dazu in die Pflicht nehmen, das Waffenembargo mitzutragen und den politischen Prozess unter der Ägide der Vereinten Nationen zu unterstützen. Wir wollen aber auch mit den Parteien in Libyen sprechen. Dazu werden wir in den nächsten Tagen mit allen Seiten Gespräche führen“, erklärte Maas vor Journalisten. Wie der Minister weiterhin mitteilte, sei ein Libyen-Gipfel in Berlin geplant. Details nannte er nicht.

Dialog ist zu wenig?

Eine Libyen-Konferenz allein reiche nicht aus, meint FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai. „Europa braucht dringend eine einheitliche Strategie für Libyen und darf nicht länger nur Russland und der Türkei dort das Feld überlassen. Dafür müssen sich Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Maas schleunigst einsetzen“, schrieb der FDP-Bundestagsabgeordnete auf Twitter.

Die Situation in Libyen könne nach Auffassung der Bundesregierung nur politisch gelöst werden: „Den fortgesetzten Einsatz militärischer Mittel – insbesondere durch Dritte – halten wir nicht für sinnvoll, antwortete die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, auf die Frage eines Sputnik-Redakteurs, wie sie die türkischen Pläne einer Militärintervention in Libyen bewertet. „Wir appellieren an alle libyschen und internationalen Parteien, das militärische Vorgehen einzustellen, sich zu einer aufrichtigen und umfassenden Beendigung der Feinseligkeiten zu bekennen und wieder in einen glaubwürdigen Verhandlungsprozess unter Führung der Vereinten Nationen einzutreten“, forderte Demmer am Freitag in Berlin.

„Hände weg von Libyen!“

Der UN-Sondergesandten Salamé hat die internationalen Mächte aufgefordert, sich nicht in den Bürgerkrieg des Landes einzumischen. „Lasst eure Hände von Libyen“, sagte Salamé am Montag nach einer Unterrichtung des UN-Sicherheitsrates in New York. „Das Land leidet schon genug durch vielfältige ausländische Einmischung.“ Libyen brauche keine weiteren Waffen und Söldner – von beidem gebe es dort genug. Salamé sprach von „Hunderten, wahrscheinlich Tausenden“ Söldnern, die nach Libyen kämen.

Salamé reagierte damit auf die Ankündigung der Türkei, erste Soldaten in das Bürgerkriegsland zu schicken. Sie will damit die international anerkannte Regierung von Fajis al-Sarradsch in der Hauptstadt Tripolis unterstützen. Diese kämpft mit dem mächtigen General Chalifa Haftar und einer Gegenregierung im Osten Libyens um die Macht. Haftar hatte im vergangenen Jahr eine Offensive auf Tripolis begonnen. Sein Sprecher erklärte am Montag, die Truppen des Generals hätten die strategisch wichtige Küstenstadt Sirte vollständig eingenommen.

Wie viele Soldaten Ankara nach Libyen entsenden wird, blieb zunächst unklar. Die türkischen Militärs, darunter ein General, sollen sich jedoch nicht an Kampfhandlungen beteiligen, sagte der türkische Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegenüber dem Sender „CNN Türk“. Er sprach von Koordinationsaufgaben in einer „Operationszentrale“. Der staatlichen Nachrichtenagentur „Anadolu“ zufolge geht es auch um Ausbildungs- und Schulungsprogramme und den Austausch von technischem Wissen und Erfahrung. Erdogan betonte, das Ziel sei nicht, zu „kämpfen oder einen Krieg (zu) führen“, sondern die „legitime Regierung“ zu unterstützen. Es gehe darum, eine „Waffenruhe in Libyen zu gewährleisten“ und dem Land zu einem politischen Prozess zu verhelfen.

Trotzdem soll die Türkei auf Kampfhandlungen Einfluss nehmen: „Als Kampftruppen werden wir dort andere Teams haben, sie werden nicht aus unseren Soldaten bestehen“, sagte Erdogan, ohne zu erklären, wer damit gemeint ist. Manche Beobachter sagen, dass sich von der Türkei unterstützte syrische Milizen in Libyen aufhalten. Erdogans Bemerkungen könnten darauf hindeuten.

Die Linke: „Anspruch auf mögliche Erdgas-Quellen“

„Eine militärische Einmischung der Erdogan-Regierung wird den Bürgerkrieg und die Eskalation in Libyen verschlimmern. Die Behauptung, der Beschluss diene der Stabilität und dem Frieden in Libyen, ist ebenso zynisch wie die behauptete Bedrohung ‚nationaler Interessen‘ durch den Bürgerkrieg in Libyen“, bemängelt die Europaabgeordnete der Linkspartei, Özlem Alev Demirel. Vielmehr gehe es der AKP-Regierung einerseits darum, durch das Verstärken „nationalistisch-chauvinistischer Gefühle“ von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen des eigenen Landes abzulenken und andererseits die mit der Regierung Libyens am 27. November 2019 getroffene Vereinbarung über die Seegrenzen zwischen Libyen und der Türkei aufrechtzuhalten, so Demirel. „Mit dieser Vereinbarung will die Erdogan-Regierung einen Anspruch auf mögliche Erdgas-Quellen im Ost-Mittelmeer erhalten. Stürzt die Sarradsch-Regierung in Tripolis in ihrem Kampf gegen die von General Haftar kontrollierte Libysche Nationalarmee, kann auch diese Vereinbarung fallen“, glaubt die Europapolitikerin.

„Konfrontation mit Nato-Truppen droht“
Es sei zweifellos kein Beitrag zum Frieden oder einem Dialog in Libyen, ist Fritz Edlinger, Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB) überzeugt. „Es ist ein weiterer Beitrag, die ohnehin schon weitergehende Destabilisierung in Libyen zu erweitern. Libyen nimmt ja schon fast eine prominentere Rolle als Syrien ein. Bereits in Syrien hat man gesagt, es sind so viele Player und man weiß nicht wer, mit wem kämpft. In Libyen ist es inzwischen ähnlich.“
Es drohe eine militärische Konfrontation mit den eigenen Nato-Truppen. Es sei besonders verstörend, dass es in dem nordafrikanischen Land europäische Spieler gebe, die sich auf den unterschiedlichen Konfliktseiten befinden, so Edlinger. „Wenn türkische Truppen dort aufmarschieren, haben sie mögliche Konfrontation mit französischen Eliteeinheiten, die auf der Seite von Haftar kämpfen und diesen unterstützen. Sie können sich einer politischen und materiellen Unterstützung Italiens versichern, weil diese wiederum auf der Seite der intranational anerkannten, aber schwachen Zentralregierung stehen. Sie haben ein Problem, sich möglicherweise mit russischen Milizionären auseinandersetzen zu müssen, weil diese in Libyen doch ziemlich klar auf der Seite von Haftar stehen“, behauptet der Libyen-Experte.

Es gebe niemanden in der Welt, der für Krieg und kriegerische Konfliktlösungen arbeitet, der nicht in Libyen präsent ist, fasst der GÖAB-Sprecher zusammen. „Es ist eine Katastrophe und wie immer in solchen Beispielen, das Volk bleibt über“. So werde das Stadtzentrum von Tripolis jeden Tag mit modernsten Waffen beschossen. Das sei ein Nebenaspekt, den man geflissentlich übergehe. Denn seit 2011 gebe es ein internationales Waffenembargo gegen Libyen – gegen jeden in Libyen, betont Edlinger. „Und dieses internationale Waffenembargo wird in Wirklichkeit frisch und fröhlich von allen Seiten gebrochen. Dort haben sie nicht nur die alten, wahrscheinlich schon verrosteten Waffen von Gaddafi, sondern sie haben dort modernste Waffen aus den westlichen und östlichen Arsenalen, die im Wesentlichen jeden Tag eingesetzt werden. Es bricht dort jeder intranationales Recht.“

pal/dpa

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