Freitag, April 19, 2024
StartPolitikEuropa„Hartz IV reicht kaum zum Leben“ – Berliner Senat kritisiert Bundesregierung

„Hartz IV reicht kaum zum Leben“ – Berliner Senat kritisiert Bundesregierung

Am Freitag wird das Land Berlin gemeinsam mit Bremen zwei soziale Initiativen in den Bundesrat einbringen. Sputnik liegt dazu eine aktuelle Pressemitteilung des Berliner Sozialsenats vor. Demnach sollen Sanktionen und Leistungskürzungen für junge Hartz-IV-Empfänger wegfallen, zudem das Kurzarbeitergeld erhöht werden.

In einer aktuellen Pressemitteilung, die der Sputnik-Redaktion vorliegt, informiert die Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales über zwei soziale Initiativen, die die Länder Berlin und Bremen am Freitag in den Bundesrat einbringen werden. Berlin will demnach einerseits das Kurzarbeitergeld erhöhen sowie andererseits den Leistungsbezug im Bereich des sogenannten Hartz-IV-Regelbezugs, basierend auf das zweite Sozialgesetzbuch (SGB II), stärken. Damit sollen betroffene Menschen besser gestellt werden.

„Auf der Tagesordnung des Deutschen Bundesrates am Freitag (…) stehen zwei Initiativen des Landes Berlin, in denen es um eine Verbesserung der sozialen Situation von Leistungsbeziehenden (SGB II, Kurzarbeitergeld) geht und um ein soziales Europa bei der Bewältigung der Corona-Krise. So fordert der Berliner Senat mit dem Land Bremen ein Ende der Hartz-IV-Sanktionen für junge Erwachsene unter 25 Jahren sowie für Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und Jugendlichen.“

„Leistungskürzungen bedrohen Existenzen“ – Berlins Sozialsenatorin

„Der Regelbedarf von SGB-II-Leistungsbeziehenden reicht kaum zum Leben“, erklärte dazu Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke).

„Wenn Leistungskürzungen dazukommen, sind viele in ihrer Existenz bedroht, das können wir nicht gutheißen. Für junge Erwachsene unter 25 Jahren sind die Sanktionsregelungen besonders hart: Die erste sogenannte Pflichtverletzung führt zum Wegfall der Regelleistung; die zweite innerhalb eines Jahres zum Wegfall der Leistungen für Unterkunft und Heizung. Dies darf nicht sein. Diesen Menschen droht Wohnungslosigkeit. Ein Dach über dem Kopf gehört jedoch zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums dazu.“

Insbesondere „junge Menschen bedürfen vielmehr der gezielten Unterstützung bei der Suche nach Arbeit und Ausbildung, anstatt sie zu sanktionieren. Bei Kindern aus einkommensschwachen Familien liegt bereits häufig ein Mangel in der Versorgung mit existenziellen Gütern vor: Wohnraum ist beengt, gesundes Essen ist oftmals viel zu teuer und an soziale und kulturelle Teilhabe ist in vielen Fällen nicht zu denken.“

Forderung von Berlin: „Kurzarbeitergeld erhöhen“

Berlin starte insgesamt zwei Bundesrats-Initiativen. Gemeinsam mit dem Bundesland Bremen fordere das Land vom Bund außerdem „eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes, um die Corona-Krise gerecht zu bewältigen. Mit dem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, die gesetzlichen Regelungen für die Höhe des Kurzarbeitergeldes rückwirkend vom ersten März 2020 und befristet bis zum 31. März 2021 zu ändern. Das Kurzarbeitergeld soll in dieser Zeit auf 80 Prozent vom Nettoeinkommen über 1700 Euro erhöht werden. Bei einem Nettoeinkommen über 1400 Euro bis zu 1700 Euro soll das Kurzarbeitergeld auf 85 Prozent steigen. Bis zu einem Nettoeinkommen von 1400 Euro soll das Kurzarbeitergeld 90 Prozent betragen. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mindestens einem im Haushalt lebenden Kind gilt ein jeweils um sieben Prozent höherer Satz. Mögliche Nachteile für Kurzarbeitende in Altersteilzeit sollen vermieden werden.“

Kurzarbeit sei „mit spürbaren Einkommensverlusten für die Beschäftigten verbunden“, sagte Senatorin Breitenbach. Kurzarbeit bedeute letztlich, „dass den Betroffenen nur noch 60 bzw. 67 Prozent ihres normalen Nettoeinkommens zur Verfügung stehen. Vielen bleibt dann nur noch der Gang zum Jobcenter, um ergänzendes Arbeitslosengeld II zu beantragen.“

Die Bundesregierung habe „zwar nachgebessert und das Niveau des Kurzarbeitergeldes ab dem vierten (…) und ab dem siebten Monat des Bezugs (…) erhöht. Das genügt aber nicht, insbesondere, wenn wir an Geringverdienende zum Beispiel in der Gastronomie denken, die in dieser Krise sehr stark von Kurzarbeit betroffen sind. Menschen mit kleinen Einkommen haben keine Spielräume oder Ersparnisse, um Lohneinbußen zu überbrücken. Sie brauchen sofort mehr Unterstützung. Insgesamt können wir mit unserer Initiative einen Beitrag zur sozial gerechten Bewältigung der Corona-Krise leisten.“

Auf der Sitzung des Bundesrates am Freitag werde sich Breitenbach „für ein starkes soziales Europa in der Corona-Krise einsetzen. Covid-19 hat uns vor Augen geführt, wie dringend wir dieses soziale Europa brauchen. Denn Corona hat die soziale Schieflage in Europa nicht geschaffen, sondern verschärft. 2018 waren 110 Millionen Menschen in der EU, mehr als jeder Fünfte, von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht! Diese Zahlen zeigen: Die sozialen Sicherungssysteme in den Mitgliedstaaten reichen oft nicht aus.“

Berlins Arbeitsmarkt: „Hart durch Corona-Krise getroffen“

Laut einer weiteren Pressemitteilung, die Sputnik vorliegt, erklärte Senatorin Breitenbach im Laufe dieser Woche, dass der Berliner Arbeitsmarkt „von der Coronakrise hart getroffen ist. Insbesondere in den Bereichen Tourismus, Gastronomie, Veranstaltungen und Messen, die für unsere Stadt ein zentraler Wirtschaftsfaktor sind, wird das deutlich. Gerade hier, aber auch in vielen anderen Unternehmen, sind abhängig Beschäftigte auf Kurzarbeit gesetzt und vorerst aufgefangen. Doch je länger ihre Rückkehr an den Arbeitsplatz dauert, desto mehr ist dieser auch vom Wegfall bedroht. Noch ist nicht bis ins Detail abzusehen, welche mittel- und langfristigen Folgen die vergangenen Wochen und Monate für den Arbeitsmarkt haben werden. Es muss jedoch alles getan werden, um Arbeitsplätze zu erhalten.“

Behördenwillkür: Wenn die Menschen dem Staat hilflos ausgeliefert sind

Zudem zeige sich in der Krise wieder einmal, wie wichtig tarifvertraglich festgelegte Arbeitsverhältnisse seien. „So unter anderem beim Kurzarbeitergeld. (…) Deshalb wird das Land Berlin gemeinsam mit dem Bundesland Bremen im Plenum des Bundesrats einen gemeinsamen Entschließungsantrag abstimmen lassen, demnach das Kurzarbeitergeld während der Coronakrise auf 80 Prozent des Nettoeinkommens steigen und für untere und mittlere Einkommen noch höher ausfallen soll. Nur in dieser Höhe kann es für die Betroffenen zu einem wirklichen Rettungsschirm werden.“

„Für all diejenigen, die es auf dem Arbeitsmarkt bislang schon schwer hatten, hat sich die Lage noch einmal verschärft. Beschäftigte ohne eine Berufsausbildung zählen dazu. Auch Beschäftigte mit Fluchtgeschichte, die erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert werden konnten, müssen derzeit um ihre Arbeitsplätze bangen oder haben sie bereits verloren. Gerade im Bereich der Helfertätigkeiten, in dem geringer Qualifizierte arbeiten, ist die Zahl der Arbeitslosen spürbar angestiegen.“

Weiterhin Grund zur Sorge liefere der Ausbildungsstellenmarkt. „Die Akteure der Beruflichen Bildung in Berlin haben eine engere Zusammenarbeit und noch mehr Unterstützung für die ausbildenden Betriebe vereinbart.“ Aber es seien die Berliner Unternehmen und Betriebe, die trotz Corona und seiner Folgen „Ja“ zur Ausbildung und damit zur Fachkräftesicherung sagen müssten. „Dieser Jahrgang an Schulabgängerinnen und -schulabgängern darf uns nicht verloren gehen. Wir alle müssen einen Anstieg von Jugendarbeitslosigkeit verhindern!“

Offiziellen Statistiken zufolge waren im Juni in Berlin insgesamt fast 210.000 Arbeitslose gemeldet. Die Arbeitslosenquote betrage 10,5 Prozent und lag damit um etwa 2,7 Prozentpunkte über dem Wert des Vorjahres.

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